«Die Hostie ist direkt vor meinen Augen»: Fronleichnam als sinnliches Glaubensfest

Fronleichnam stellt den christlichen Glauben zur Schau. Ist Fronleichnam eine Art Hollywood? Und was empfindet ein Pfarrer, wenn er den Leib Christi durch die Strassen trägt? Der Zuger Pfarrer Reto Kaufmann (56) spricht über seine Seelenzustände.  

Wolfgang Holz

Was ist das Besondere am Fronleichnamsfest?

Reto Kaufmann: Wir feiern Christus, der ja das Zentrum unseres Glaubens darstellt, in der Eucharistie. An Fronleichnam zeigt sich die Liebe Gottes zu uns Menschen und zur ganzen Schöpfung. Deshalb tragen wir den Leib Christi in Form der Hostie in der Monstranz bei der Prozession durch die Zuger Altstadt: dorthin, wo die Menschen leben, wo sie arbeiten und wo sie ihre Freizeit verbringen.

Was empfinden Sie als Pfarrer, wenn Sie den Leib Christi durch die Strassen tragen?

Kaufmann: Es ist ein besonderer Moment. Ein Moment, der mich auch persönlich betrifft. Weil es auch meinen Glauben zum Ausdruck bringt, dass Christus in Gestalt des Brotes unter uns ist. Und normalerweise feiert man die Eucharistie im geschützten Raum der Kirche.

«Chinesische Gäste zücken ihre Handys, um Fotos zu schiessen.»

An Fronleichnam wird die Eucharistie draussen gefeiert. Das ist etwas Besonderes. Es gibt Touristen, die in Cafés sitzen oder durch die Stadt flanieren und die Prozession beobachten. Beispielsweise chinesische Gäste, die eine solche Prozession noch nie gesehen haben und dann ihre Handys zücken, um Fotos zu schiessen. Vielleicht überlegen sie sich auch, was da gerade im Rahmen dieser Prozession passiert. Die Musik geht voraus, dann kommen die Erstkommunikanten. Es nehmen Trachtenfrauen teil, die sich schön angezogen haben. Behördenvertreter sind mit von der Partie. Und alle gehen Jesus hinterher, folgen ihm quasi nach, könnte man sagen.

Wie konzentriert ist man als Priester bei der Prozession? Wird man da nicht auch abgelenkt von äusseren Einflüssen?

Kaufmann: Nein, ich lasse mich nicht ablenken. Denn ich bin fokussiert auf die Monstranz und auf die Hostie. Die Hostie in der Monstranz befindet sich direkt vor meinen Augen. Ich muss mich zudem auf den Weg konzentrieren – mit der Monstranz in meinen Händen. Ich nehme in meinem Blickfeld schon wahr, was sich rechts und links von mir abspielt. Aber ich konzentriere mich voll und ganz auf die Monstranz. 

Die Monstranz ist ein liturgisches Schaugerät. Die Monstranz Ihrer Pfarrei St. Michael ist über einen Meter hoch und hat mit rund vier Kilogramm ein ordentliches Gewicht. Wenn Sie da eine knappe halbe Stunde unterwegs sind: Spüren Sie das Gewicht im Arm?

Kaufmann: Ja, mit der Zeit spürt man die Monstranz sicher im Arm. Es geht schon, es ist sicher keine Form der Kasteiung, die Monstranz zu tragen (lacht). Am Anfang halte ich die Monstranz mit beiden Händen. Und wenn ich dann das Gewicht zusehends spüre, stütze ich zwischendurch die Monstranz mit einer Hand von unten. Das ist meine Technik, die hilft. Am Abend merke ich dann schon die Anstrengung im Arm. Aber ich trainiere vorher deshalb nicht mit einer Hantel.

Als Ministrant durfte ich einmal bei der Fronleichnamsprozession die Hostienaufbewahrungskassette mit mehreren Reservehostien tragen. Ich fühlte mich stolz, den geweihten Leib Christi sozusagen in mehrfacher Form in den Händen halten zu können – während in der Monstranz ja nur eine Hostie gezeigt wird. Kindlicher Irrglaube?

Kaufmann: Kindlicher Glaube. Dieser Glaube entwickelt sich später und wird erwachsen. Das ist gut so. Der Glaube ist ein Weg und wird reifer.

Kann man sagen: Fronleichnam ist das sinnlichste Fest der Kirche?

Kaufmann: Es ist sicher eines der sinnlichsten Feste der Kirche. Zum einen durch die grundsätzliche Ausgestaltung mit einer Prozession. Zum anderen wird Fronleichnam auf dem Land noch traditionell viel feierlicher mit Blumenteppichen gefeiert. Das ist in der Stadt nicht mehr so.

Ist Fronleichnam eine Art Hollywood der katholischen Kirche?

Kaufmann: Wenn es positiv gemeint ist, warum nicht. Es handelt sich ja um eine Zurschaustellung. Und Monstranz kommt ja von «monstrare», zeigen. Das passt sicher zu dieser Form der Schaustellung und Prozession. Vor allem handelt es sich um eine Art Veröffentlichung des Glaubens. Oft wird gesagt, Glauben sei nur eine private Angelegenheit. An Fronleichnam wird aber deutlich, dass Glauben auch eine öffentliche Dimension mit gesellschaftlicher Bedeutung hat. Denn die vielen Leute, die an einer Prozession teilnehmen, zeigen mit ihrer öffentlichen Teilnahme, dass sie zu ihrem Glauben stehen.

Über Fronleichnam hinaus betrachtet – wie muss man sich eigentlich den Seelenzustand eines Pfarrers oder Geistlichen während einer Messe vorstellen? Trance? Konzentration? Religiöse Erfüllung? Oder klerikale Routine?

Kaufmann: Es ist hoffentlich nie Routine. Ich bin nie im gleichen Zustand. Wahrscheinlich trifft der Begriff Konzentration meine persönliche Verfasstheit während einer Messe am besten. Wobei es nicht nur um die Liturgie der Messe geht. Der Wortgottesdienst spielt auch eine bedeutende Rolle. Im Wort, in der Predigt, begegnet uns Christus genauso wie in Gestalt des Brotes und des Weins auf dem Altar. Ich feiere den Gottesdienst nicht für mich, sondern mit den Menschen zusammen, den Mitfeiernden. 

Wie meinen Sie das konkret?

Kaufmann: Da ich mich als Pfarrer auch als Mensch während einer Eucharistiefeier zeige, kann natürlich meine persönliche Verfasstheit eine Rolle spielen – wenn ich beispielsweise gerade traurig bin. So eine Gemütsverfassung kann sicherlich unabsichtlich in eine Eucharistiefeier miteinfliessen. Genauso, wie wenn ich mich glücklich und zufrieden fühle. Was ich sagen muss: Auch nach 25 Jahren Priestererfahrung bin ich vor Sonntagsgottesdiensten, in denen ich predige, noch immer ein bisschen nervös. Und das ist gut so. Denn wenn das nicht mehr der Fall ist, wird Gottesdienst zur Routine. Und das würden die Leute in der Kirche merken. Um vor dem Gottesdienst zur Ruhe zu kommen, sammle ich mich deshalb oft im Pfarrhaus in Form eines Gebets.

* Pfarrer Reto Kaufmann (56) ist seit 24 Jahren katholischer Priester. Er leitet seit sechs Jahren den Pastoralraum Zug-Walchwil. Zuvor war er in Cham und Luzern tätig.


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