Sepp Hollinger
Schweiz

Tiere gehören einfach in ein Kloster: Esel, Perle und ein Übersetzungsproblem

St. Urban LU, 18.7.17 (kath.ch) Tiere gehören einfach in ein Kloster, sagt Diakon Sepp Hollinger. Er hält auf seiner Klosteranlage gleich zwei Arten– und zwar nicht irgendwelche. Es sind biblische Tiere. Eine weitere Tierart aus der Bibel hat sich im Kloster eingenistet. Der Rundgang durch das ehemalige Zisterzienserkloster in St. Urban enthüllt eine ganze Menge von Geschöpfen, von denen man nicht denkt, sie hätten mit der Bibel zu tun. Ein Beitrag der Sommerserie «tierisch heilig».

Georges Scherrer

Der Diakon ist Pfarreileiter in St. Urban. Er erinnert sich: «Als ich hierher kam, war kurz zuvor die Schafzucht eingestellt worden. Der letzte Bauernhof verschwand aus dem Dorf.» Nutztiere gab es nicht mehr.

Die Zisterzienser hatten immer Tiere: Schafe und Pferde. Aber keine Kühe. «Die kamen erst später in unserer Kultur», erklärt Sepp Hollinger. In seiner Familie gab es schon immer Tiere, etwa Meerschweinchen und Hasen. Er beschloss darum und nicht zuletzt auch, weil St. Urban über eine Psychiatrieklinik und ein Altersheim verfügt, Tiere anzuschaffen, «weil sie den Menschen gut tun».

Der Diakon wählte Schafe. Heute leben sie auf dem Klostergelände. Er führt den Besucher am Eingang der Klosterkirche vorbei und bleibt bei einem eingezäunten Rasen stehen. Hier weiden sie. Ihre Geschichte reicht weit zurück und beginnt mit Jakob, der, wie es im 1. Buch Mose heisst, um die Hand Rahels freite. Jakob begann, um beim Ehehandel mit Laban dessen zwei Töchter Rahel und Lea zu erhalten, Schafe zu züchten.

Genmanipulation in der Genesis

Mit einem leichten Schmunzeln bemerkt Sepp Hollinger: «Der Basler Immunologe und Nobelpreisträger Rolf Martin Zinkernagel sagte, dass damals die erste Genmanipulation stattfand.» In der Bibel steht geschrieben, Jakob habe mit speziell geschnittenen Pappeln, Mandelbäumen und Platanen-Zweigen die Zucht beeinflusst. Entstanden ist das Jakobsschaf. Es handelt sich um ein robustes, genügsames, langhaariges, mehrfarbiges Tier mit wunderschön geschwungenen Hörnern. Für diese entschied sich Sepp Hollinger.

Im bernischen Huttwil hält ein Hof «pro specie rara»-Tiere, die alle Wolle tragen: Lama, Kamel, Wollschweine und weitere behaarte Tiere. Dort fand der Diakon, was er suchte. Er kaufte zwei Schafe, heute hat er eine kleine Herde, die innerhalb der Klostermauern aber auch ausserhalb weidet und mit ihren bimmelnden Glocken schon von weit her vernommen werden kann.

Ein «majestätisches Schaf»

Wegen seiner Wolle war das Jakobs-Schaf hochinteressant für die Kleiderproduktion. Fleisch dagegen setze es viel langsamer an. Es brauche doppelt so lange wie die Schweizer Fleischschafe, erklärt der Diakon. Das Fleisch des Jakobsschaf hat wenig Fettanteile. Darum sei dieses Fleisch weit weg vom Geschmack, der Schafe prägt. Das genügsame Tier wurde auf der Seefahrt als lebende Fleischreserve mitgenommen und kam so nach England. Dort wurde das «majestätische Schaf» in fürstlichen Jagdgebieten gehalten. Es kann bis zu sechs Hörnern haben.

Seinen Schafen gesellte Sepp Hollinger als urbiblisches Tier Esel bei. Zwei behielt er. Den Hengst gab er weg. Heute hütet dieser Schafherden. Sepp Hollinger ist begeistert von diesen Tieren. Der Esel ist bekannt als Nutztier für den Menschen. Er besitzt aber noch eine ganz andere Qualität. Er ist ein Herdenschutztier. Der ehemalige St. Urban-Hengst steht heute im Dienst des Projekts «Esel gegen Wölfe».

Eine Gefahr für die Wölfe

Ein Esel könne sehr schnell springen und gleichzeitig mit den Hufen ausschlagen, führt Sepp Hollinger aus. Wölfe und Hunde hätten keine Chance gegen Esel. Er verfüge zudem über eine elastische Haut, so dass ein Raubtier den Esel nicht packen könne – «ausser an der Kehle». Auch Hollingers Esel weiden auf dem Klostergebiet, sofern sie nicht an Weihnachten, Palmsonntag oder Sankt Niklaus gemäss den Vorlagen in der Bibel einen kirchlichen Dienst ausüben.

Gibt es noch weitere biblische Tiere in St. Urban? Sepp Hollinger weist auf die Klosterkirche, wo sich ein Übersetzungsproblem der Bibel eingenistet hat: Turmdohlen. Mit diesen hatten die Bibel-Übersetzer ihre liebe Mühe, die das Tier unter anderem als Pelikan, Chamäleon, Kropfgans oder Rohrdommel interpretierten. Achtzig dieser putzigen Dohlen leben nun im Kloster St. Urban, dies aber nicht so sehr zur Freude des Sakristans, der ihren Unrat wegräumen muss.

Dämonische Tiere

Und wie ist es mit den Katzen auf dem Klostergelände? Der Diakon denkt kurz nach. Im positiven Sinn erscheinen Katzen nicht in der Bibel, meint er. Beim Prophet Jesaja taucht die Wildkatze in der Gefolgschaft der Dämonen auf.

Hunde hingegen kommen besser weg. Tobias wird auf seinem Weg vom Erzengel Raphael und einem Hund begleitet. Der Hund taucht auch in der Lazarusgeschichte auf, wo Hunde den armen Lazarus lecken. Bei Matthäus bittet eine Sünderin Jesus, ihre Tochter zu heilen, was er aber mit dem Hinweis, sie sei nicht Jüdin, ablehnt. Mit einer Bemerkung über Hunde, die Brosamen aufnehmen dürfen, stimmt sie Jesus um.

Und Sepp Hollinger lädt nun zum Besuch der Klosterkirche ein, die einen wunderbares Chorgestühl mit vielen Schnitzereien beherbergt. Dort kommt es zu einem überraschenden Anblick: In einem der Schnitzwerke begleitet ein Hund Jesus auf seinem Weg zum Kreuz.

Tauben und Perlen

Tiere haben ganz verschiedene Funktionen in der Bibel. Die Taube, das Zeichen für den Heiligen Geist, wird im Nahen Osten verzehrt. Auch sie taucht in der Kirche St. Urban auf neben all den Tieren, welche ebenfalls die anderen Kirchen bevölkern – wie der Löwe und der Adler.

Eine grosse Anzahl von einem Tier, das man so in einer Kirche gar nicht erwartet, findet sich in St. Urban. 96 Jakobsmuscheln zählt der Diakon in seiner Kirche. Die Muschel ist ein Ursymbol des Christentums. Mit der Jakobsmuschel am Rucksack wandern die Pilger nach Santiago de Compostela. Die Perlen tauchen in der Bibel an verschiedenen Stellen auf.

So leben, dass man zur Perle wird

In St. Urban befinden sich Perlen zum Beispiel am oberen Abschluss der Säulen. Ihnen kommt auf diese Weise ein ganz besonderer Stellenwert zu. In der Offenbarung zieren die Perlen als das Kostbarste, was die Muschel zu geben vermag, im Einklang mit anderen wertvollen Gütern die zwölf Tore zum Neuen Jerusalem, das Jesus verheissen hat.

In barocken Kirchen, zu denen St. Urban gehört, nimmt die Perle nach dem Motto «Du sollst so leben, dass du am Schluss eine Perle bist» einen ganz wichtigen Stellenwert ein, bemerkt Sepp Hollinger, bevor er sich wieder bewundernd den Tieren in seiner Kirche zuwendet, die Altar, Chorgestühl und architektonische Teile des Gebäudes zieren. Dann geht es wieder hinaus. Die Esel sollen an dem Tag die Weide wechseln.

 

Sepp Hollinger | © zVg
18. Juli 2017 | 16:02
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