Franz Kreissl, Leiter Amt für Pastoral und Bildung St. Gallen
Schweiz

Ein Seelsorger, der nicht betet, ist unprofessionell

St. Gallen, 20.2.17 (kath.ch) Franz Kreissl weigert sich, pauschal von einer spirituellen Krise bei Pfarrern, Priestern und Pastoralassistentinnen zu sprechen. Im Interview mit kath.ch macht der Pastoralamtsleiter des Bistums St. Gallen aber klar, dass auch das Gebet die Professionalität von Seelsorgenden ausmacht. Kreissl sagt zudem, was der Strukturwandel in der Seelsorge bedeutet und welche Kompetenzen Menschen haben sollten, die in der Pastoral tätig sind.

Barbara Ludwig

In jüngster Zeit hört und liest man vermehrt von Seelsorgenden, die wegen ihres Berufes am Limit laufen. Gibt es ein Hauptproblem, mit dem Seelsorgende heute zu kämpfen haben?

Franz Kreissl: Ich weigere mich, ein Hauptproblem zu benennen. Man muss sehr stark differenzieren. Zum einen gibt es Fragen, die die Kirche betreffen. Zum anderen gibt es auch bei Seelsorgenden persönliche Krisen, die nichts mit der Arbeit zu tun haben.

Bleiben wir beim Faktor «Kirche». In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Strukturen der Seelsorge stark verändert. Stellt dieser Wandel eine Belastung für Seelsorgende dar?

Kreissl: Das ist ein wichtiger Punkt. Aber auch mit den Schwierigkeiten, die der Wandel mit sich bringt, kann man so oder so umgehen. Ich kann sie aktiv und kreativ angehen. Allerdings kann es auch vorkommen, dass die Umstellungen jemanden in eine Krise stürzen.

Früher war es klar, wer und was ein Pfarrer ist.

Worum geht es beim Wandel der Seelsorgestrukturen im Kern?

Kreissl: Früher war die soziale Rolle des Pfarrers oder des Priesters in Mitteleuropa klar durch die Gesellschaft festgelegt. Wie beim Arzt oder beim Lehrer – es war klar, wer und was ein Pfarrer ist. Der österreichische Pastoraltheologe Paul Zulehner hat einmal gesagt, ein Priester bestünde aus 90 Prozent katholischem Milieu und 10 Prozent Persönlichkeit. Das Milieu hat also die Rolle stark vorgegeben. Die eigene Persönlichkeit war weniger entscheidend.

Heute ist es gerade umgekehrt. Egal ob als Priester, Diakon, Pastoralassistent oder Pastoralassistentin: Heute brauchen Seelsorgende, ein gutes Selbstbewusstsein. Das ist eine ganz wichtige Änderung auf der Persönlichkeitsebene.

Wie kam es soweit?

Kreissl: Die Kirche als Ganzes ist kein geschlossenes Milieu mehr. Sie hat ihre Rolle als alleinige Sinngeberin verloren. Hinzu kommt, dass Menschen sich ihre Religion und ihren Glauben individuell gestalten. Seelsorgende müssen als Repräsentanten der Institution Kirche sehr genau wissen, warum und wie sie unterwegs sind. Es gibt kaum noch ein Milieu, das ihnen den Rücken stärkt.

Was sich auch stark verändert, sind die Funktionen und Zuständigkeiten. Im Bistum St. Gallen zum Beispiel gibt es keine hauptamtlichen Seelsorger mehr, die nur für eine einzige Pfarrei zuständig sind. Heute müssen Seelsorger in einem Pastoralteam arbeiten. Sie müssen mit ihren Kolleginnen und Kollegen aushandeln, wofür sie zuständig sind. Wir vom Pastoralamt sehen es jedoch zuerst als Chance, in Teams zu arbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen und zu bereichern.

Es gibt kein katholisches Milieu mehr, das Seelsorgenden den Rücken stärkt.

Stellen Sie fest, dass Seelsorgende wegen all dieser Veränderungen Probleme bekommen?

Kreissl: Wenn einer Priester seine Aufgaben anders wahrnimmt, als Menschen von ihm erwarten, kann er in Not geraten. Oder wenn jemand Theologie studiert hat, um für sich alleine eine Pfarrei zu managen, und sich dann in einer Seelsorgeeinheit als Teil eines grösseren Pastoralteams wiederfindet, kann er sich unwohl fühlen – falls es ihm nicht gelingt, eine positive Einstellung dazu zu finden.

Daneben gibt es Seelsorgende, die während Jahren mit Elan arbeiten, aber vergessen, auf sich selber zu achten. Seelsorgende sollten unter anderem Menschen des Gebets sein. Wer das Gebetsleben aus dem Blick verliert, wird irgendwann nicht mehr wissen, wofür er in der Kirche arbeitet. Auch die Gesundheit und Entspannung, der Freundeskreis und die Interessen ausserhalb der Kirche sowie die Weiterbildung sollten nicht vernachlässigt werden.

Kann man denn von einer spirituellen Krise bei Seelsorgenden reden?

Kreissl: Natürlich gibt es spirituelle Krisen. Ich weigere mich aber auch an dieser Stelle, pauschal von einer spirituellen Krise zu sprechen. Das wäre zu absolut. Mir sind keine statistischen Angaben zur Zahl betroffener Seelsorger bekannt.

Gibt es eine bestimmte Spiritualität, die hilft, den heutigen Herausforderungen positiv zu begegnen?

Kreissl: Es gibt viele Formen und Farben von Spiritualität. Wichtig ist, dass Seelsorger überhaupt eine haben. Weil das Angebot an spirituellen Wegen gross ist, gehört es zur persönlichen Entwicklung, dass Seelsorgende herausfinden, was ihnen entspricht. Grundsätzlich gilt: Spiritualität ist nur hilfreich, wenn sie verinnerlicht ist – und das hat wiederum viel mit Übung zu tun.

Welcher Typ von Seelsorger ist heute gefragt?

Kreissl: Auch hier bin ich sehr zurückhaltend. Ich würde nicht sagen, dieser oder jener Typ ist gefordert. Viel lieber möchte ich von den Kompetenzen sprechen, die heute gefordert sind.

Seelsorgende müssen auch Nein sagen können

Und das wären?

Kreissl: Wenn ich die pastoralen Fachkompetenzen einmal bei Seite lasse, sage ich bewusst als Erstes: Seelsorgende müssen für sich selber sorgen können, sich selber gegenüber achtsam sein. Dazu gehören die Pflege des Gebetslebens, Weiterbildung und Exerzitien, der Freundeskreis und die Fähigkeit abzuschalten – kurz gesagt: die Liebe und die Sorge für sich selber.

Zweitens müssen Seelsorgende heute fähig sein, mit anderen kirchlichen Diensten und mit Freiwilligen zusammenzuarbeiten. Drittens sollten sie in der Lage sein, mit möglichst vielen verschiedenen Situationen umgehen zu können; sie sollten auf neue Menschen und neue Konstellationen reagieren können. Auch die Fähigkeit, Nein zu sagen und Erwartungen nicht zu erfüllen, gehört zu den Anforderungen.

Persönlichkeit und Professionalität liegen gerade in der Seelsorge sehr nahe beieinander.

Bei allem dem geht es nicht nur um Persönlichkeit, sondern es hat auch mit Professionalität zu tun. Ein Seelsorger, der nicht auf sein Gebetsleben achtet, ist für mich unprofessionell. Das ist, wie wenn einer aus der IT-Branche sich nicht mit neuen Programmen befasst. Nach einer bestimmten Zeit wird er niemandem mehr etwas zu bieten haben. Persönlichkeit und Professionalität kommen gerade in der Seelsorge sehr nahe zueinander.

Franz Kreissl, Leiter Amt für Pastoral und Bildung St. Gallen | © Regina Kühne
20. Februar 2017 | 08:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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Wie das Bistum St. Gallen sein Personal unterstützt

Seit vielen Jahren sei das Bistum St. Gallen mit den Seelsorgenden über die Veränderungen in der Pastoral im Austausch, sagt Franz Kreissl, Leiter Pastoralamt, gegenüber kath.ch. Die Veränderungen würden bereits im Rahmen der Berufseinführung thematisiert. Den Pastoralteams bietet das Bistum Praxisbegleitung an. Zudem gibt es eine Gruppe von Organisationsberatern, die auf die Dinge gebrieft werden, die in der Diözese wichtig sind. Ebenso gibt es das Angebot «Seelsorge für Seelsorgende» und eine Liste von Einzel- und Teamsupervisoren. «Den Pastoralteams empfehlen wir Teamsupervision», sagt Kreissl.

Alle Mitarbeitenden in der Seelsorge haben gemäss ihrem Anstellungsvertrag jährlich Anrecht auf Exerzitien und Fortbildung. Ausserdem gibt es im Bistum St. Gallen das Angebot von freiwilligem Bildungsurlaub für Hauptamtliche: Nach acht Jahren kann man zwei Monate, nach zwölf Jahren drei Monate Bildungsurlaub beziehen. Wichtig ist aus Sicht des Pastoralamts eine geistliche Begleitung: «Wir empfehlen jedem Seelsorger, eine solche aufzusuchen», sagt Kreissl

Ombudsstelle und Schutzkonzept

Das Bistum hat einiges unternommen, um die Bedingungen für das Personal zu verbessern. So sehe das neue Personaldekret regelmässige Mitarbeitergespräche vor, sagt Kreissl. Der Pastoralamtsleiter weist auch auf die neu geschaffene Ombudsstelle hin, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Anlaufstelle bietet. Ausserdem gibt es ein «Schutzkonzept für seelische, geistige und körperliche Integrität der Menschen im Bereich des Bistums St. Gallen». Dieses regelt präventive Massnahmen und soll helfen, Gewalt, Mobbing und Arbeitsplatzkonflikte zu vermeiden. Das Schutzkonzept soll laut Kreissl über den Kreis der Mitarbeitenden hinauswirken und auch Freiwillige miteinbeziehen. (bal)