Köchin Wafa Trbal mit ihrem Mann beim Anlass des Vereins «Viwo»
Schweiz

Aus Hilfe für Flüchtlinge auf Wohnungssuche wird Freundschaft

Winterthur, 30.10.16 (kath.ch) Der Verein «Viwo» hilft Flüchtlingen, eine eigene Wohnung zu finden. Was das konkret heisst, erzählten Freiwillige und Flüchtlinge anlässlich des einjährigen Bestehens des Vereins in Winterthur. Dankbarkeit war an dieser Feier ein tief empfundenes Wort.

Sylvia Stam

«Ich habe fast ein Jahr lang gesucht, gestern habe ich eine Wohnung gefunden!», erzählt Attaullah Babakhel (24) aus Afghanistan. Der junge Mann strahlt, die Erleichterung ist ihm ins Gesicht geschrieben: «Viel Stress ist jetzt weg!» Sonst hätte er in einem «Container» wohnen müssen, wie er gegenüber kath.ch sagt. Denn das Asylwohnheim in Hegifeld, wo er bislang wohnte, schliesst in zwei Tagen seine Türen.

Bei der Wohnungssuche geholfen hat ihm der Verein Viwo (siehe Kasten), der am Freitag, 28. Oktober, sein einjähriges Bestehen im Zentrum der Pfarrei Laurentius in Winterthur-Wülflingen feierte. Aus diesem Anlass waren Flüchtlinge, Freiwillige, Hausbesitzer und Behörden zu einem reichhaltigen Abendessen aus Libyen eingeladen.

Am besten bei Privatpersonen

Was Unterstützung bei der Wohnungssuche konkret bedeutet, erläutert Zita Haselbach, Präsidentin von «Viwo», die von einer Freiwilligen als «Herz des Vereins» bezeichnet wird: Freiwillige unterstützen vorläufig aufgenommene oder anerkannte Flüchtlinge (Aufenthaltsstatus F beziehungsweise B) beim Schreiben von Bewerbungen, sie besichtigen mit ihnen Wohnungen und sie stehen auch nach Bezug der Wohnung als Ansprechperson für Vermieter zur Verfügung. Sie selbst habe eine Frau begleitet, die seit neun Jahren auf Wohnungssuche war und 200 Bewerbungen geschrieben hatte.

Neun Jahre gewartet und 200 Bewerbungen geschrieben

«Bei gewissen Immobilienfirmen müssen wir es gar nicht mehr probieren», sagt Haselbach gegenüber kath.ch. «Sie sagen, ihre Klienten wollten das nicht.» Am besten gehe es mit Privatpersonen. «Wir versprechen, dass wir die Mieter auch weiterhin begleiten», sagt Haselbach, die bis zu ihrer Pensionierung Ende 2014 Gemeindeleiterin in der Pfarrei St. Ulrich in Winterthur war. Dass die Vermieter eine Ansprechperson haben, sei offenbar etwas vom Wichtigsten.

«Sofort rennen, wenn etwas ist»

Dies bestätigt auch Lissy Bannister, die sich als Freiwillige bei «Viwo» engagiert. Sie hat für eine Afghanin aus dem Iran und deren Sohn innerhalb von knapp vier Monaten eine Wohnung gefunden. «Das war relativ schnell», sagt die pensionierte Anwältin, die mit der Frau, die sie begleitet, am Tisch sitzt. Es sei eine schöne Aufgabe, «aber man muss sofort rennen, wenn etwas ist» – etwa eine plötzliche Wohnungsbesichtigung – «man kann nicht immer planen.»

Jakob Elmer, ebenfalls Freiwilliger, gibt an diesem Abend vor den rund 60 Gästen ein paar Müsterchen zum Besten, was Flüchtlinge in der Schweiz sonst noch so wissen müssen: «Sie müssen die richtigen Nägel zum Aufhängen der Bilder benutzen, damit die neue Tapete nicht zerkratzt wird, und die richtigen Pfannen für den Induktionsherd.» Er selbst habe umgekehrt gelernt, neben einem laufenden Fernseher Fragen zu Mietzins und Haftpflichtversicherungen zu besprechen.

Die grösste Herausforderung sei jedoch gewesen, so Elmer lachend, «meinen Freunden ” – gemeint sind die Flüchtlinge – «mit Nachdruck klar zu machen, dass ich meinen Kaffee tatsächlich ohne Zucker trinke!»

Dank der Kirche auf «Viwo» aufmerksam geworden

Viele Flüchtlinge kommen vermittelt durch den städtischen Sozialdienst zu «Viwo». Freiwillige wie Jakob Elmer, aber auch die Hausbesitzerin Anita Jörger sind über die Kirche auf den Verein aufmerksam geworden. Auf der Suche nach Mietern für eine Wohnung in ihrem Haus, stiess sie in der Kirche auf den Flyer. «Es kann ja nichts schiefgehen, dachte ich mir, und rief tags darauf Zita Haselbach an», sagt sie gegenüber kath.ch.

Auch die Waschküche ist immer sauber

Drei Wochen später zog eine eritreische Familie mit zwei Kindern ein. «Ich höre fast nichts von ihnen!», sagt sie lachend und umarmt eines der Kinder ihrer Mieter, das neben ihr sitzt. Die Wohnung sei immer sauber, «auch die Waschküche!», ergänzt sie schmunzelnd, und erzählt begeistert von der Kaffee-Zeremonie, die erlebte, als sie zum ersten Mal bei den eritreischen Mietern zu Besuch war.

Für die erste eigene Wohnung Gott gedankt

Dass Essen und Trinken in der Kultur der Herkunftsländer vieler Flüchtlinge eine zentrale Bedeutung hat, wird auch an diesem Abend deutlich: Wafa Trbal aus Libyen hat unter Mithilfe ihres Mannes und der beiden Töchter ein aufwändiges Menü für alle Anwesenden gekocht: Auberginenmousse, sehr dünne, spaghettiartige Nudeln mit Nüssen, frittierte Pouletstücklein in Form kleiner Vögel, gefüllte Teigtaschen und zum Nachtisch eine zu Blüten geformte Nussmasse. Seit elf Uhr morgens stehe sie in der Küche, sagt Trbal, deren Familie ebenfalls über die «Viwo» zu einer Wohnung gekommen ist.

Wie dankbar die Menschen, die eine Wohnung gefunden haben, sein können, erzählt Jakob Elmer: Als eine Familie, die er begleitete, zum ersten Mal in die eigene Wohnung kam, waren sie überwältigt. «Sie fragten mich nach der Kirche. Dort angekommen, sind sie hingekniet und haben Gott gedankt.»

Köchin Wafa Trbal mit ihrem Mann beim Anlass des Vereins «Viwo» | © Sylvia Stam
29. Oktober 2016 | 16:34
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Der Verein «Viwo»

Der Verein Viwo – Vinzenz Wohnungen, im Dezember 2015 gegründet, hilft Flüchtlingen in Winterthur vor allem bei der Wohnungssuche: Der Verein gibt beispielsweise Vermietern Garantien ab oder gewährt Flüchtlingen Darlehen für Mietzinskautionen. «Viwo» unterstützt Flüchtlinge zudem bei der Integration in ihre neue Wohnung.

Die Seelsorgekommission der römisch-katholischen Kirchgemeinde Winterthur hat sich Anfang 2016 zum Ziel gesetzt, konkrete Unterstützungsangebote für asylsuchende und flüchtende Menschen zu machen. Die Kommission ging auf Zita Haselbach zu, welche diese Idee schon früher hatte. Daraus ist der Verein Viwo hervorgegangen (Vinzenz Wohnen; Vinzenz zeigt die Verbindung zu den pfarreilichen Vinzenzkommissionen, die caritative Arbeit leisten). Die Vinzenzkommissionen sind in der Vinzenzgemeinschaft zusammengefasst.

Im ersten Jahr konnte «Viwo» 17 Wohnungen an 40 Personen aus Libyen, Syrien, Äthiopien, Eritrea, Tschetschenien, dem Balkan und anderen Ländern vermitteln. Bislang engagieren sich rund 25 Freiwillige. Eine Geschäftsstelle in einem kleinen Pensum soll laut Haselbach geschaffen werden.

«Viwo» erhielt bisher 24’000 Franken an Spenden und 28’000 Franken an Darlehen von Privatpersonen und Vinzenzkommissionen. Unter den Spenden waren auch einige Kirchenopfer sowie ein Beitrag von 10’000 Franken der römisch-katholischen Kirchgemeinde Winterthur. Das Geld wird vor allem für Kautionen und Genossenschaftsanteile verwendet.

Der Verein steht unter dem Patronat der römisch-katholischen Kirche Winterthur. Eine ökumenische Ausweitung ist derzeit in Diskussion. (sys)