«Christ, der Retter, ist da?»

Zürich, 24.12.16 (kath.ch) Gedanken zum Festtag: 25. Dezember 2016, Weihnachten

Josef Imbach*

O Heiland reiss die Himmel auf,

herab, herab vom Himmel lauf!

Reiss ab vom Himmel Tor und Tür;

reiss ab, wo Schloss und Riegel für!

Als der Jesuitenpater Friedrich Spee im Jahr 1622 diese herzzerreissenden Verse niederschrieb, lag über Deutschland tiefe Nacht. Die Hexenverfolgung erreichte damals ihren fürchterlichen Höhepunkt. Unzählige Unschuldige, mehrheitlich Frauen, wurden des Pakts mit dem Teufel bezichtigt, gefoltert, verbrannt. Als Beichtvater kannte Friedrich von Spee die körperlichen und seelischen Qualen der Opfer und suchte sie auf ihrem Weg zum Holzstoss zu trösten, wo der Tod den Magistraten zum Entzücken und dem Pöbel zur Belustigung seinen Lusttanz tanzte. Friedrich von Spee selber blieb trostlos, weil er erkannte, dass eine verblendete Christenheit alljährlich und hartnäckig die Ankunft eines Erlösers behauptete, von der nichts zu sehen und nichts zu spüren war.

Wenn wir Friedrich Spees Verse vor dem Hintergrund der damaligen Zeit lesen, erkennen wir plötzlich, dass das ganze Lied ein einziger Hilfeschrei ist, wie nur Menschen ihn ausstossen können, die an Gott und an sich selber verzweifeln.

So lässt sich der Dichter bei der Niederschrift der dritten Liedstrophe nicht etwa von der Weihnachtsbotschaft inspirieren, sondern von einer Stelle aus dem Jesajabuch: «Aus dem Baumstumpf Isais spriesst ein Reis empor, ein Jungtrieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg» (11,1 und 9). So könnte unsere Welt aussehen, menschlich und wohnsam, wenn eine verblendete Christenheit die Geburt des Messias nicht nur für wahr halten, sondern dessen Willen wahr machen würde.

Wo bleibst du Trost der ganzen Welt,

darauf sie all ihr Hoffnung stellt?

Das ist kein Freudenruf, kein «Christ, der Retter, ist da!», sondern eine Wehklage und ein Sehnsuchtsschrei. Die weihnachtliche Liturgie aber erinnert daran, dass der Himmel uns nahegekommen ist – aber nur, wenn wir ihm Raum geben. Darauf verweist auch Friedrich von Spee in einem anderen altbekannten Liedtext: Zu Betlehem geboren ist uns ein Kindelein. Und zeigt so auf, was wir gern vergessen, nämlich, dass Gott sich im Kleinen und im Geringen offenbart. Die jüdische Überlieferung kennt die Geschichte von einem Rabbi, den seine Schüler fragten: «Warum suchen so viele Menschen vergeblich nach Gott?» Die Antwort: «Weil sich heute niemand mehr so tief bücken will.»

In seine Lieb’ versenken will ich mich ganz hinab.

Das Kind liegt unten, in der Krippe. Man muss sich zu ihm hinabneigen, um es lächeln zu sehen.

* Josef Imbach ist Verfasser zahlreicher Bücher. Er unterrichtet an der Seniorenuniversität Luzern und ist in der Erwachsenenbildung und in der praktischen Seelsorge tätig. 

24. Dezember 2016 | 14:22
Lesezeit: ca. 2 Min.
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