Hochzeit in der Kirche.
Schweiz

Kirchenaustritt und doch kirchlich heiraten? Kirchenrechtler nimmt Stellung

Weinfelden TG, 18.4.16 (kath.ch) Hat jemand, der aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten ist, Anspruch auf eine kirchliche Hochzeit oder ein kirchliches Begräbnis? kath.ch hat die Frage dem Kirchenrechtler Urs Brosi, Generalsekretär der katholischen Landeskirche Thurgau, gestellt. Fazit: Die Frage bedarf einer differenzierten Betrachtung.

Sylvia Stam

Die Debatte ist letzte Woche durch einen Artikel im Konsumentenmagazin K-Tipp einmal mehr entbrannt. Während das Bistum Chur sich gegenüber dem Konsumentenmagazin auf den Standpunkt stellte, der Sakramentenempfang sei nicht von der Kirchensteuer abhängig, konterte die Römisch-Katholische Zentralkonferenz (RKZ): Wer aus der Kirche austritt, hat keinen Anspruch auf kirchliche Dienstleistungen. Im Gespräch mit Kirchenrechtler Urs Brosi wird deutlich, wie differenziert die Frage betrachtet werden muss.

Brosi sieht in den obigen Antworten eine Vermischung von zwei Ebenen, die es zu unterscheiden gilt: Einerseits die Ebene der Mitgliedschaft in einer staatsrechtlichen Körperschaft, andererseits die Ebene des kirchlich-religiösen Verhaltens als Voraussetzung dafür, ob man Sakramente oder kirchliche Dienste in Anspruch nehmen darf. «Diese beiden Ebenen müssen sich nicht ausschliessen, aber sie sind auch nicht deckungsgleich», so Brosi.

Mitgliedschaft in der katholischen Kirche

Schon die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche wird auf verschiedenen Ebenen definiert. In der deutschen Schweiz gibt es mit dem sogenannten dualen System einerseits die Mitgliedschaft in der Kirchgemeinde, also in der staatskirchenrechtlichen Körperschaft, welche die Kirchensteuer einzieht.

Eine andere Ebene ist die Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Kirche im Sinne der Weltkirche. Die Aufnahme in diese Weltkirche geschieht durch die Taufe: «Durch die Taufe ist jemand einerseits ein Glied der umfassenden Kirche Christi, dies gilt auch für reformierte oder orthodoxe Christen, zugleich wird ein Katholik dadurch der weltweiten römisch-katholischen Kirche zugehörig.»

Sind diese beiden Voraussetzungen – die Taufe und die Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Weltkirche – erfüllt, so besteht laut Brosi ein grundsätzlicher Anspruch auf den Empfang von Sakramenten. Dieser Anspruch gilt jedoch nicht absolut: «Es gibt für jedes Sakrament gewisse Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit jemand ein solches Sakrament erhält. Das gilt für eine kirchliche Trauung ebenso wie für ein kirchliches Begräbnis, auch wenn letzteres kein Sakrament ist.»

Innere Haltung prüfen

Konkret geht es hier um die innere Haltung, die jemand hat, der ein Sakrament empfangen möchte: «Sind die Brautleute bereit und willens, die Unauflöslichkeit der Ehe zu akzeptieren und den Bund vor Gott zu schliessen?» Laut Brosi hat ein Seelsorger diese Frage zu prüfen, und zwar nicht nur, wenn er von einem konfessionslosen Paar um eine kirchliche Trauung gebeten wird. Wenn das Paar jedoch in keiner Hinsicht einen Bezug zum Glauben zeigt, sondern lediglich am schönen Ambiente der Kirche mit Pfarrer und Orgelmusik interessiert ist, «dann kann ein Seelsorger die kirchliche Trauung verweigern, selbst wenn Braut und Bräutigam Mitglieder der Kirchgemeinde sind und Kirchensteuern zahlen.»

«Ein Seelsorger kann die kirchliche Trauung verweigern, selbst wenn Braut und Bräutigam Mitglieder der Kirchgemeinde sind.»

Nach Kirchenrecht spielen also nicht die Finanzen eine Rolle, sondern es geht um die innere Haltung derjenigen, die kirchliche Dienste beanspruchen. Brosi räumt allerdings ein, dass es für einen Seelsorger oft schwierig zu entscheiden sei, ob ein Paar wirklich aus dem Glauben heraus eine kirchliche Trauung wünsche. In der Praxis sei man in der Regel eher grosszügig.

Der Austritt und seine Folgen

In den meisten Fällen ist ein Austritt aus der römisch-katholischen Körperschaft auch ein Ausdruck davon, dass die Person sich vom Glauben distanziert hat. Gerade deshalb sei bei solchen Paaren die innere Haltung erst recht zu prüfen, so Brosi. Er weiss allerdings auch von Katholiken, die wegen den Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche gerade aus Glaubensgründen ihren Austritt «aus der Kirche» erklären wollten. In diesem Fall tritt die Person formal aus der Körperschaft aus, denn die römisch-katholische Weltkirche kennt kein Austrittsrecht.

Darf nun also jemand, der aus der Körperschaft ausgetreten ist, die Dienste der Kirche weiterhin in Anspruch nehmen, obwohl er keine Kirchensteuern zahlt? «Das katholische Kirchenrecht kennt zwar keine Steuerpflicht, wohl aber eine Solidaritätspflicht», entgegnet Brosi. Weltkirchlich wird das Ausbleiben der Solidarität der Gläubigen mit ihrer Kirche zwar nicht sanktioniert, im Bistum Basel und St. Gallen haben die Bischöfe aber Einschränkungen festgelegt. Denn dieser Schritt «ist in jedem Fall ein schwerwiegender Verstoss gegen die Kirche als Gemeinschaft», heisst es in den Regelungen des Bistums St. Gallen.

Diese Einschränkungen betreffen die Taufe der eigenen Kinder, die Übernahme der Patenschaft eines Täuflings oder Firmlings, teilweise die Eheschliessung und das kirchliche Begräbnis.  Konkret ist gemäss den Regelungen im Bistum St. Gallen «eine kirchliche Trauung nur möglich, wenn wenigstens ein Partner voll der katholischen Kirche angehört». Beim kirchlichen Begräbnis einer aus der Kirche ausgetretenen Person sei grundsätzlich der Wille des Verstorbenen zu respektieren. Wenn der Austritt Ausdruck einer Ablehnung der Zugehörigkeit zur Kirche gewesen sei, könne «eine kirchliche Beerdigung nicht erfolgen.»

Solidaritätsfonds

Als Besonderheit haben die Bistümer Basel und Chur einen Solidaritätsfonds eingerichtet. Mit regelmässigen Einzahlungen in diese Fonds können jene Katholiken ihre Solidaritätspflicht erfüllen, die aus Gewissensnot aus ihrer Kirchgemeinde vor Ort austreten wollen, sich aber von der inneren Haltung her der katholischen Weltkirche immer noch verbunden fühlen. Eine solche Gewissensnot kann entstehen, wenn eine Kirchgemeinde Kirchensteuergelder für Zwecke einsetzt, die für die betreffende Person mit katholischen Werten nicht vereinbar sind, beispielsweise für luxuriöse Bauprojekte. Ein solcher Austritt mit anschliessender Zahlung eines Solidaritätsbeitrags in der Höhe der bisherigen Kirchensteuer wird auch als «Teilaustritt» bezeichnet. Die teilausgetretene Person erleidet keine Einschränkung ihrer Rechte bezüglich Sakramente und anderen kirchlichen Diensten, sie verliert lediglich die Stimm- und Wahlrechte innerhalb der Kirchgemeinde und Landeskirche.

«Es ist nicht Aufgabe der Kirche, sich als Dienstleisterin für äusserliche ‹Zeremonien›bezahlen zu lassen.»

Die Bistümer Basel und St. Gallen unterstützen das duale System grundsätzlich, während Exponenten des Bistums Chur diesem kritisch gegenüberstehen. Einig sind sich die Bistümer jedoch in dem Punkt, dass sie es ablehnen, Tarife für kirchliche Dienste festzulegen für Menschen, die aus der Körperschaft ausgetreten sind. «Das wäre ein falsches Signal», sagt Brosi. «Aufgabe der Kirche ist es, in Menschen den Glauben zum Klingen zu bringen, und nicht, sich als Dienstleisterin für äusserliche ‹Zeremonien›bezahlen zu lassen.» (sys)

Hochzeit in der Kirche. | © pixabay.com
18. April 2016 | 10:17
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