«Der Markt regelt sich, aber meist nicht im Sinn der Gerechtigkeit»

Chef der Zürcher Kantonalbank und Bischof Gmür sprachen über die Banken und das Geld

Kappel am Albis ZH, 22.6.11 (Kipa) Ein neuer Bischof zieht viele Neugierige an, besonders wenn er auch noch über Geld spricht. Rund 160 Personen kamen am Dienstag nach Kappel am Albis, um sich das Gespräch zwischen dem neuen Bischof von Basel, Felix Gmür, und dem Vorsitzenden der Generaldirektion der Zürcher Kantonalbank, Martin Scholl, anzuhören. Organisiert wurde der Anlass vom Forum Kirche und Wirtschaft, einer Fachstelle der katholischen Kirche im Kanton Zug.

Der Basler Bischof erinnerte an drei Prinzipien der katholischen Soziallehre. Auch in der Wirtschaft muss der Mensch im Zentrum stehen. Nach dem Subsidiaritätsprinzip muss das, was ein Mensch leisten kann, nicht von einem anderen oder einem Vorgesetzten getan werden. Und gemäss dem Solidaritätsprinzip muss man sich gegenseitig helfen.

Der Bischof enthielt sich nicht einer Kritik an der Marktwirtschaft, die sagt, die unsichtbare Hand des Marktes regelt alles von selbst. «Natürlich regelt sich dieser Markt von selbst, aber meist nicht im Sinne der Gerechtigkeit, so dass jeder das, was ihm zusteht, auch bekommt.» Gmür verwies auf die Entwicklung des Bankwesens in der Renaissance, als die Reichen, die «maggiori», den nicht Wohlhabenden, den «minori», Geld auszuleihen begannen. Oberitalienische Städte gründeten «montes»; gemeint war damit «Kapital» (Berge von Geld), das durch Darlehen aufgebaut wurde.

Kapital, Zinswucher und Arbeit

Um dem damaligen Zinswucher dieser «montes» zu begegnen, schuf Ende des 15. Jahrhunderts der Franziskaner Bernhardin von Feltre die ersten «montes pietatis» (Berge der Barmherzigkeit). Die Kirche erlaubte mit der Zeit diesen «Leihanstalten» einen geringen Zins zu erheben. Gmür zog eine Parallele zu heute, als er sagte, Anstalten wie die Raiffeisen-Banken seien aufgebaut worden, weil die gängigen Banken nicht allen Interessierten Kredite gewährten.

Der Bischof forderte die Banken auf, sie sollten auf die «Qualität» der Produkte achten, die sie ihren Kunden verkaufen. Die eben zurückliegende Wirtschaftskrise mache deutlich, dass Banker oft Produkte verkauften – in den USA etwa Hypotheken auf Häuser -, von deren Qualität sie selber nicht überzeugt waren. Der Bischof bemängelte weiter, es gebe Banken, die Gewinne «personalisieren» und Verluste «sozialisieren», diese also breit auf die Gesellschaft abwälzen. Gmür: «Es ist Aufgabe der Kirche, auf diese Gefahr hinzuweisen.»

Das «Kapital», mit dem die Banken arbeiten, teilte Gmür in ein «virtuelles Kapital» und in ein «Humankapital» auf. Als virtuelles Kapital bezeichnete er das «unsichtbare Geld». Die Angestellten stellten das Humankapital dar, das besonders gepflegt werden müsse. Zur Arbeit gehöre nämlich eine Erholungszeit, «ein Tag in der Woche». Es müsse ein Verbot von Zwangsarbeit geben. Zu dieser rechnet der Bischof etwa die Schwarzarbeit und die Kinderarbeit. Es müsse aber auch ein «ethisches Verbot der Überforderung und der Unterforderung» geben. Die extreme Ausprägung letzterer ist die Arbeitslosigkeit, so der Bischof.

«Gewinnmaximierung» und «Gewinnoptimierung»

Der CEO der Zürcher Kantonalbank, Martin Scholl, blickte der Begegnung mit dem Bischof gelassen entgegen. Er sei zwar als Bankenvertreter nach Kappel am Albis gekommen, also als «Kristallisationspunkt für alles Böse». Den schwarzen Peter schob Scholl aber auf die grossen Banken UBS und CS in Zürich ab. Diese hätten die «Gewinnmaximierung» auf ihre Banner geschrieben, die Kantonalbank hingegen müsse aufgrund ihres Auftraggebers, dem Kanton Zürich, nach kaufmännischen Grundsätzen lediglich eine «Gewinnoptimierung» verwirklichen. Scholl: «Wir wollen einem Kunden, dem wir etwas verkauft haben, auch fünf Jahre später in die Augen sehen können.»

Natürlich ständen Banken immer in einem Spannungsfeld. Im Nachhinein liessen sich oft aus ethischer Sicht Bedenken anbringen. Ein solches Spannungsfeld beschrieb Scholl mit der Lieferung von Schweizer Zügen nach Weissrussland. Für den Export dieses Rollmaterials gewährte der Bund eine Exportrisikogarantie. Hingegen sei es den Banken verboten, Gelder von Politikern aus dem Staate von «Diktator Lukaschenko» entgegenzunehmen, meinte der Banker mit spitzen Lippen.

Ein Lob auf die Vernunft

Der Markt braucht das korrigierende Eingreifen, sagten beide Redner. Als Vertreter der Kirche müsse er immer wieder darauf aufmerksam machen, «es gibt nur eines, das über allem ist, und das ist nicht der Markt», so Gmür. Diese «Steuerungskraft» ortete der Banker hingegen nicht am gleichem Ort wie der Bischof. Beide Redner sprachen sich gegen eine Überregulierung aus. Gmür meinte, «je mehr Gesetze es gibt, desto mehr Lücken entstehen». Als Beispiel führte er das komplizierte deutsche Steuerrecht an, das er am eigenen Leib erlebt habe.

Gmür setzte auf die Vernunft der Akteure, Verantwortung zu übernehmen und integer zu handeln, sowie auf ein «Sensorium» der Gesellschaft. Dazu zählte er eine freie Presse, einen freien Austausch sowie freien Zugang zu Informationen und Daten. Zur christlichen Verantwortung gehöre es, mit offenen Augen durch diese Welt zu gehen und «nicht nur Gesetze, sondern auch Frühwarnsysteme zu entwickeln.» Die verschiedenen Krisen zeigten, dass Gesetze nicht genügten, um Katastrophen zu verhindern.

Auch der Bankenvertreter fällte ein negatives Urteil über komplexe Regelwerke. Diese könnten nur noch mit Check-Listen bewältigt werden. Man habe dann keine Zeit mehr, «sich Gedanken darüber zu machen, welche Risiken in fünf Jahren bestehen können».

Hinweis: Das nächste Gespräch, welches das Zuger Forum Kirche und Wirtschaft organisiert, findet am 13. September ebenfalls im Kloster Kappel am Albis statt. Der CEO von Nestlé, Peter Brabeck, und der «Wasser»-Spezialist Martin Kowarsch sprechen dann über das stark bedrohte «Menschenrecht Wasser».

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(kipa/gs/am)

22. Juni 2011 | 17:29
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