Beichtstühle in der Luzerner Jesuitenkirche.
Schweiz

Priester dürfen im Beichtstuhl nicht nach Sex fragen

Als erstes Bistum der Schweiz plant das Bistum Chur einen weitreichenden Verhaltenskodex. Er soll der Prävention von spirituellem Missbrauch und sexueller Ausbeutung dienen. Priester dürfen im Beichtstuhl nicht von sich aus das Thema Sex ansprechen.

Raphael Rauch

«Keine Sauna, keine Massagen», titelte der «Blick» am Mittwoch, und zitierte aus dem neuen Verhaltenskodex für das Bistum Chur: «Intime Begegnungen (zum Beispiel Saunabesuche, Wellness, Massagen) in Abhängigkeitsverhältnissen sind nicht zulässig.»

«Kulturwandel» gefordert

Prävention solle keine «wohlgemeinte Absichtserklärung» bleiben, betonen Karin Iten und Stefan Loppacher im Vorwort des 32-Seiten-Papiers. Die beiden sind die Präventionsbeauftragten des Bistums Chur und haben den Verhaltenskodex geschrieben. Inzwischen ist er online auf zhkath.ch abrufbar.

Karin Iten und Stefan Loppacher sind die beiden Präventionsbeauftragten des Bistums Chur.
Karin Iten und Stefan Loppacher sind die beiden Präventionsbeauftragten des Bistums Chur.

Die Präventionsbeauftragten sprechen von einem «Kulturwandel», der erst «durch die wiederkehrende und regelmässige Thematisierung im Alltag» erreicht werden könne. «Alle kirchlichen Institutionen und ihre Akteur*innen stehen in der Verantwortung, die hier vorgelegten Massnahmen zu besprechen und umzusetzen.»

«Halb abgedunkelte enge Beichtstühle nicht geeignet»

Bischof Joseph Bonnemain will das Dokument im April zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern der Kantonalkirchen unterschreiben. Ab dann soll es verbindlich im Bistum Chur gelten.

Bischof Joseph Maria Bonnemain
Bischof Joseph Maria Bonnemain

Der Verhaltenskodex geht detailliert auf verschiedene Situationen im kirchlichen Alltag ein. Zum Beispiel: «Für das Beichtgespräch suche ich nach transparenten und doch diskreten Möglichkeiten, die eine gute Atmosphäre bieten. Halb abgedunkelte enge Beichtstühle sind dafür nicht geeignet.»

Keine innigen Umarmungen

Rituale mit Körperkontakt dürften nur mit vorheriger Zustimmung stattfinden. «In Trostsituationen biete ich Auswahlmöglichkeiten an und frage, was die Person braucht», steht im Verhaltenskodex. «Innige Umarmungen, Massagen oder Küsse passen nicht zu meiner Rolle in der Machtposition.»

Mehrdeutig interpretierbare Situationen sollten vermieden werden: «Für delikate Aufgaben, zum Beispiel Zeckenkontrolle, vermeide ich den Zweierkontakt und ziehe eine Drittperson bei.» Bei Freizeiten solle die Zuteilung der Schlafräume vorgängig im Team besprochen werden. «Ich übernachte nicht im selben Raum wie die Kinder und Jugendlichen – zum Schutz beider Seiten.»

Bruch mit der gängigen kirchlichen Praxis

Der Kodex fordert auch, den kirchlichen Auftrag vom Privatleben zu trennen. «Seelsorgegespräche führe ich in neutralen kirchlichen und nicht in meinen eigenen privaten Räumen durch.» Und: «Einladungen von Minderjährigen zu mir nach Hause sind zu unterlassen.» Kinder oder Jugendliche aus dem beruflichen Kontext dürften nicht auf Dienstreisen oder private Unternehmungen mitgenommen werden.

Der Verhaltenskodex enthält auch Stellen, die einen Bruch mit der gängigen kirchlichen Praxis bedeuten könnten: «Ich anerkenne die sexuellen Rechte als Menschenrechte, insbesondere das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.» Die Geschichte der kirchlichen Beichtpraxis ist eng mit dem Thema Sex verbunden. Der neue Verhaltenskodex hält fest: «In Seelsorgegesprächen greife ich Themen rund um Sexualität nicht aktiv auf.»

«Das Intimleben geht die Arbeitgeberin Kirche nichts an»

Die Regeln betreffen nicht nur Seelsorge-Situationen, sondern auch die Kirche als Arbeitgeberin: «In jedem Fall unterlasse ich offensives Ausfragen zum Intimleben und zum Beziehungsstatus. Dies gilt auch für Gespräche, die ich als Vorgesetzte*r führe.»

Die verbotene Liebe eines Priesters: Rachel Ward und Richard Chamberlain in "Dornenvögel".
Die verbotene Liebe eines Priesters: Rachel Ward und Richard Chamberlain in "Dornenvögel".

Letzte Woche sagte die Präventionsbeauftragte des Bistums Chur, Karin Iten, an einer Diskussion in der Zürcher Paulus-Akademie: «Das Intimleben geht die Arbeitgeberin Kirche nichts an. Es ist beschämend und grenzverletzend, am Arbeitsplatz darüber Auskunft geben zu müssen. Zum Beispiel, ob ein Priester zölibatär lebt oder nicht. Oder ob eine Seelsorgerin geschieden oder lesbisch ist.»

Was ist mit Geschiedenen und LGBTQ?

Dabei widerspricht der Verhaltenskodex der gängigen kirchlichen Personalpolitik. Bei der Vergabe von bischöflichen Beauftragungen in den Generalvikariaten ist das Privatleben durchaus immer wieder Thema – etwa wenn Geschiedene ein zweites Mal heiraten oder Schwule oder Lesben in einer eingetragenen Partnerschaft leben. Bischof Joseph Bonnemain will sich erst im April zum neuen Verhaltenskodex äussern, wenn dieser offiziell vorgestellt und unterzeichnet wird.

Karin Iten
Karin Iten

Dass der Verhaltenskodex verbindlich gemeint ist, daran lassen die Präventionsbeauftragten keinen Zweifel: Wer den Verhaltenskodex nicht unterschreiben wolle, zeige «massive Qualitätsdefizite in der Reflexionsfähigkeit, da die Person zu Pauschalurteilen neigt oder das Anliegen der Prävention nicht genügend mitträgt. Von einer weiteren Zusammenarbeit ist abzuraten.»

Simon Spengler: «Good news für die Kirche»

Der Verhaltenskodex ist auf zhkath.ch einsehbar. «Eigentlich war die Publikation gleichzeitig mit der Präsentation durch Bistumsleitung und Landeskirchen Anfang April vorgesehen Nachdem der Kodex jetzt zum öffentlichen Thema geworden ist, wäre es nicht nur unprofessionell, sondern auch kontraproduktiv, das Dokument unter Verschluss zu halten», sagt Simon Spengler, Sprecher der katholischen Kirche im Kanton Zürich. «Wir haben nichts zu verstecken. Im Gegenteil: Dieser Kodex ist eine Good News für die Kirche und wir freuen uns, wenn Medien darüber berichten. Deshalb machten wir die Broschüre, in Absprache mit den Präventionsbeauftragten, auf unserer Homepage zugänglich.»


Beichtstühle in der Luzerner Jesuitenkirche. | © Christian Merz
16. März 2022 | 15:25
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