Die Künstlerin Amee aus der Cote d'Ivoire mit ihrem Spoken-Word -Rap
Konstruktiv

Wie sich der Priester Al Imfeld in die afrikanische Poesie verliebte

Wollen Sie im hektischen Alltag abschalten? Besuchen Sie das Zürcher Literaturmuseum Strauhof und tauchen Sie ein in den Gefühlskosmos afrikanischer Poesie! Schon der Priester Al Imfeld liess sich von den Gedichten verzaubern.

Wolfgang Holz

«Meine Haut, mein Gesicht / Wie Sanddünen / Achten auf den Tropfen der vom Himmel fällt: / Um diesen unendlichen Durst zu löschen / Nach Frische und Luft / Reines Glück / Es streift den Lauf der Zeit.»

So lautet die letzte Strophe des Gedichts «Der Regen spricht mit» von Tanella Boni, die 1954 an der Elfenbeinküste geboren wurde. Ihr Gedicht erzählt von ihrem persönlichen Freiheitskampf – und erscheint programmatisch für diesen poetischen «Tour d’Horizon» im Zürcher Strauhof-Literaturmuseum.

Al Imfeld
Al Imfeld

Ausgangspunkt der Ausstellung ist die monumentale Anthologie «Afrika im Gedicht», die 2015 in Zürich erschien. Das vom Schweizer Priester Al Imfeld (1935–2017) herausgegebene Buch umspannt die Zeit von 1960 bis 2014 und umfasst mehr als 550 Gedichte aus allen Teilen des afrikanischen Kontinents.

Ursprünglich hiess Al Imfeld Alois Johannes Imfeld. Er stammte aus dem Entlebuch und wurde Priester. Die Familie bewirtschaftete ein «Schattloch», war also arm und zudem ortsfremd. Zeitungsausschnitte und vor allem Briefwechsel mit afrikanischen Autorinnen und Autoren illustrieren die Leidenschaft des Sohns einer Bauerfamilie mit 13 Kindern für die Lyrik des afrikanischen Kontinents.

1967 erstmals auf einer Missionsstation

Al Imfeld verbrachte 1967 eine Zeit als Lehrer auf einer Missionsstation im damaligen Rhodesien, dem heutigen Zimbabwe. Früh setzte er sich für die Dekolonialisierung ein. Allerdings lehnte er sich gerne aus dem Fenster, er eckte überall an – bis man ihn rauswarf.

In Zimbabwe bezichtigte man ihn, für die Kommunisten agitiert zu haben. Es folgten viele längere und kürzere Aufenthalte in diversen Ländern Afrikas. Sein Grossprojekt «Afrika im Gedicht» wäre ohne jahrzehntelange Kontakte nicht entstanden.

«Al Imfeld gehörte zur Generation der Literatur- und Afrika-Begeisterten der 1970er-Jahre.»

Chudi Bürgi

Sein Fokus lag auf dem anglophonen westlichen und südlichen Afrika, insbesondere Nigeria. Die Korrespondenz belegt Imfelds Rolle als Literaturvermittler, Übersetzer und Rezensent. Er stand mit Dichterinnen und Dichtern sowie namhaften Persönlichkeiten im Austausch, darunter auch mit dem Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka.

«Al Imfeld gehörte zur Generation der Literatur- und Afrika-Begeisterten der 1970er-Jahre, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, Literatur aus Afrika im deutschen Sprachraum präsenter zu machen», würdigt Literaturvermittlerin Chudi Bürgi in einem Video in der Ausstellung.

Katakombe der Gedichte: Ausstellungssaal im Literaturmuseum Strauhof.
Katakombe der Gedichte: Ausstellungssaal im Literaturmuseum Strauhof.

Diese Gruppe habe sich eigentlich eher aus dem politisch-sozialen Engagement gegen die Apartheid in Südafrika formiert. Erstes literarisches Highlight war dann 1980, als Afrika Gastkontinent auf der Frankfurter Buchmesse war.

Die Ausstellung rückt die Lyrik ins Zentrum. In vielen der präsentierten Gedichte verschmelzen Körper- und Naturwahrnehmungen mit dem Wunsch nach persönlicher Freiheit und schürft dabei Sätze purer Emotion.

Ganzheitliche Weltsicht

Emotionen, die man im Vergleich zu so manch sperriger europäischer Lyrik als sehr erfrischend rezipiert. Eine Art ganzheitliche Weltsicht, die befreiend und wohltuend wirkt. In der aber gleichzeitig stets die Melancholie des afrikanischen Post-Kolonialismus mitschwingt. Und in der am Ende die Ambivalenz zwischen Sehnsucht nach Freiheit und nicht ganz unerfüllter Befreiung als sinnlicher Eindruck haften bleibt.

Den Reiz der Gedichte-Ausstellung «Poesien eines Kontinents» im Strauhof macht gerade die lebendige Präsentation afrikanischer Poesie aus. Denn die Poeme kleben nicht nur als Lesestoff in Buchstabenform an den Wänden – auf Englisch, Französisch und sogar in arabischer Schrift. Die deutsche Übersetzung findet sich jeweils auf einem Faltblatt unmittelbar darunter.

Zeitungsausschnitt in der Ausstellung "Poesien des Kontinents", der das publizistische Interesse an afrikanischer Lyrik demonstriert.
Zeitungsausschnitt in der Ausstellung "Poesien des Kontinents", der das publizistische Interesse an afrikanischer Lyrik demonstriert.

Das eigentlich Spannende an dieser Lyrik-Gala ist die Möglichkeit, die Gedichte von den Autoren per Bild und Ton in der Originalsprache vorgelesen zu bekommen. Das Poem kann man gleichzeitig auf dem Bildschirm in deutscher Übersetzung mitlesen. Ein berührendes Erlebnis, das einen sofort gefangen nimmt und tief in die Welt afrikanischer Verfasstheiten eintauchen lässt.

Völlig berauschend wird dieser audiovisuelle Akt per Kopfhörer dann vor dem grossen Bildschirm in dem Ausstellungssaal, der wie ein geheimnisvoller Gral lockt. Die Videos, die vor allem moderne Poetry Slams und Spoken-Words-Gedichte inszenieren, lassen einen vollends einsinken in die Akustik der afrikanischen Seele. «Amee», eine 1985 geborene Künstlerin der Cote d’Ivoire, faltet zu ihrem rhythmischen Rap «Au Commencement» («Am Anfang») ihre Hände zum Gebet.

Rosaroter Gummibadeschlappen mit Aufdruck «Love»

In dem Zeichentrick-Video «To make use of water» von Safia Elhillo, einer sudanesisch-amerikanischen Dichterin, landet ein rosaroter Gummibadeschlappen mit dem Aufdruck «Love» aus den Gewässern der Meere im Schnee einer kalten amerikanischen Grossstadt – beschädigt und von Haien massakriert. Eine anti-imperialistische Öko-Selbstkritik und Ausdruck zivilisatorischer Identitätskrise.

Farbenfroh: Ausschnitt aus einem Videoclip.
Farbenfroh: Ausschnitt aus einem Videoclip.

Anrührend wirkt auch, wie 13 Personen in der Schweiz mit einem Bezug zum afrikanischen Kontinent ein Gedicht teilen und vortragen. Das verleiht Poesie ein menschliches Antlitz.

«Du hast dich keiner Zeit verschrieben. Und die Zeit hat dich befreit.»

Babacar Sall über Nelson Mandela in seinem Gedicht «Totem mit Löwenherz»

Einige politische Gedichte zählen ebenfalls zu den präsentierten «Poesien des Kontinents». Das Gedicht «Totem mit dem Löwenherz» des Senegalesen Babacar Sall etwa würdigt den Kampf und das Werk Nelson Mandelas: «Aber du hast dich keiner Zeit verschrieben. Und die Zeit hat dich befreit.»

Rege Korrespondenz Al Imfelds mit afrikanischen Dichtern und Dichterinnen.
Rege Korrespondenz Al Imfelds mit afrikanischen Dichtern und Dichterinnen.

James Matthews, Dichter aus Südafrika, wanderte wegen seiner Lyrik gegen die Apartheid auch mehrere Jahre ins Gefängnis. «Blumen wachsen einfach nicht mehr im Ghetto», beginnt sein gleichnamiges Gedicht und beschreibt die Trostlosigkeit der Unterdrückung.

Zakes Mda schliesslich, auch aus Südafrika, lässt die politischen Widerständler «mit dem Regen kommen» – von Malcom X über Martin Luther King bis zu Nelson Mandela und Steve Biko. Er beschwört die Stimmen der Freiheit, wie Regen auf den fruchtbaren Boden des Widerstands zu tropfen. Natur lässt so neue politische Hoffnung aufkeimen, die in der Saat der Revolution aufgeht und «unsere ausgelaugten Seelen heilt». Wow!

Die Ausstellung «litafrika: Poesien eines Kontinents» ist bis zum 4. September im Strauhof in Zürich zu sehen. Die Öffnungszeiten finden Sie hier.


Die Künstlerin Amee aus der Cote d'Ivoire mit ihrem Spoken-Word -Rap | © Wolfgang Holz
29. Juni 2022 | 05:44
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