Kardinal Joseph Zen Ze-kiun, ehemals Bischof von Hongkong.
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«Wie kann der Vatikan in so eine Regierung Hoffnungen setzen?»

Bonn/Peking, 8.4.18 (kath.ch) Der chinesische Kardinal Joseph Zen Ze-kiun (86) übt deutliche Kritik am kommunistischen Regime in Peking. Mit dem neuen Religionsgesetz seit 1. Februar werde der Staat den Zugriff auf die Kirchen und Religionsgemeinschaften verstärken, sagte der frühere Bischof von Hongkong im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn. Sogar in den Kirchen würden Überwachungskameras angebracht. «Nennen Sie das Religionsfreiheit?», fragte Zen.

Alexander Brüggemann

Herr Kardinal, noch sprechen Sie. Das heisst, Sie haben noch Hoffnung für ein gutes Abkommen zwischen dem Vatikan und China?

Joseph Zen Ze-kiun: Nicht viel. Tatsächlich gibt es immer weniger Hoffnung, dass es gut wird. Wissen Sie, ich bin immer für einen Dialog gewesen. Ich habe von 1989 bis 1996 in Seminaren auf dem Festland gearbeitet. In dieser Zeit habe ich viel mit der Partei gesprochen, mit Regierungsstellen, mit Kirchenfunktionären. Aber heute sehe ich nur noch wenige Möglichkeiten für ein gutes Abkommen. Und dann muss man doch sagen: Auf Wiedersehen wir kommen wieder, wenn es etwas Neues gibt. Wir dürfen uns doch nicht selbst ausliefern.

Ich sage: Kein Abkommen ist besser als ein schlechtes Abkommen.

Sie haben angekündigt, bald womöglich gar nichts mehr zu sagen. Warum?

Zen: Die Verhandler im Vatikan sagen uns ja sogar, ein schlechtes Abkommen sei besser als gar kein Abkommen. Das ist doch unglaublich. Ich sage: Kein Abkommen ist besser als ein schlechtes Abkommen. Man kann ja ein nicht perfektes Abkommen machen aber doch kein schlechtes.

Schlecht wäre, die Macht zur Ernennung von Bischöfen in die Hände der Kommunisten zu geben.

Was wäre denn so ein schlechtes Abkommen?

Zen: Die Macht zur Ernennung von Bischöfen in die Hände der Kommunisten zu geben. Die sagen uns: Nein, nein, das letzte Wort hat doch der Papst. Aber das ist eine Lüge. Wenn sie den Kandidaten bestimmen was soll denn der Papst da noch sagen? Er kann ein Veto einlegen, ja aber wie oft kann er das tun? Wenn so etwas tatsächlich unterschrieben würde, würde ich verstummen. Im Moment bin ich nur überzeugt, dass Leute in seinem Umfeld, wie Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, ein Abkommen um jeden Preis wollen. Da liegt der Fehler, nicht beim Papst. Aber wenn er wirklich irgendwann ein solches Abkommen unterzeichnete, dann bin ich raus. Gegen den Heiligen Vater kämpfe ich nicht. Dann sage ich gar nichts mehr und lebe ein monastisches Leben.

Ich denke, der Papst ist vorsichtiger geworden.

Aber Sie sind fest überzeugt, dass der Papst nur schlecht informiert ist?

Zen: Inzwischen ist er es nicht mehr. Inzwischen ist er in Sorge über die Angelegenheit. Am Anfang waren da nur Leute, die einem solchen Abkommen das Wort redeten. Doch immer mehr besonnenere, ältere Leute haben ihn mittlerweile gewarnt. Ich denke, der Papst ist vorsichtiger geworden.

Ich bin in Sorge, dass sie die Gotteshäuser der Untergrundkirche bald konfiszieren könnten.

Wie wirkt sich Chinas neues Religionsgesetz vom 1. Februar aus?

Zen: Seit dem jüngsten Volkskongress haben Regierung und Behörden all die neuen Regeln in Kraft gesetzt. Vorher gab es deutlich mehr Toleranz in religiösen Dingen selbst für die Untergrundkirche. Derzeit bin ich in grosser Sorge, dass sie die Gotteshäuser der Untergrundkirche bald konfiszieren könnten. Selbst in einer Grossstadt wie Shanghai gibt es eine Untergrundkirche. Jeder weiss das, auch die Nachbarn schon weil dort so viele Menschen hingehen. Da wird Messe gefeiert, gesungen; Taufen, Erstkommunion. Manchmal liessen sie sogar die Türen auf. Aber das ist vorbei. Heute heisst es: «Betreten verboten für Personen unter 18 Jahren». Noch nicht überall aber nach und nach.

Und das neue Verkaufsverbot für Bibeln? Die Ankündigung neuer, regierungsfreundlicher Bibelübersetzungen?

Zen: Das war gerade gestern ein Schock. Bibelübersetzungen «gemäss der chinesischen Tradition», also gemäss der kommunistischen Ideologie. Unfassbar. Wie kann der Vatikan in solch eine Regierung Hoffnungen setzen?

Jetzt soll es plötzlich heissen: Ergebt euch. Das ist eine Tragödie.

Erklären Sie doch bitte die Schnittmenge zwischen der Untergrundkirche und der sogenannten Patriotischen Vereinigung.

Zen: Die Kommunisten in Peking forderten eine komplette Unterwerfung unter die Parteilinie. Wer sich dem widersetzte und sagte: «Nein, wir sind Katholiken   wir haben dem Papst zu gehorchen», der wurde ins Gefängnis gesteckt. Erst nach der Kulturrevolution wurden schliesslich wieder Kirchen geöffnet als Kirchen der staatstreuen Patriotischen Vereinigung. Doch wer aus dem Gefängnis zurückkam, der ging nach Hause: in seine Kirche, in den Untergrund. Die beiden Gruppierungen sind einander keine Feinde. Aber es scheint, dass der Vatikan jetzt den Papsttreuen sagt: Ihr könnt auch der Regierung in Peking gehorchen. Nach all diesen Jahren, in denen sie so viel gelitten haben. Rom hat ihnen immer gesagt: Haltet durch. Und jetzt soll es plötzlich heissen: Ergebt euch. Das ist eine Tragödie.

Würden denn alle Untergrundkatholiken den Weg eines Abkommens mitgehen? Oder befürchten Sie neue Spaltungen?

Zen: Viele Untergrundkatholiken würden zu den Patriotischen überlaufen. Da ist es doch sicherer. Im Moment werden noch nicht viele verhaftet aber vielleicht demnächst. Warum noch ein Risiko für den Papst eingehen, wenn Rom sagt: Alles ok. Da gäbe es viel Wut und Enttäuschung, wenn all die Jahre der Treue umsonst gewesen sein sollten.

Ich sage den Leuten: Macht keine Revolution wir beten weiter für den Papst.

Würden sich die ganz Treuen dann von Rom abwenden?

Zen: Ich befürchte das. Ich sage den Leuten: Macht keine Revolution wir beten weiter für den Papst. Denn der Papst ist nicht zwangsläufig der Heilige Stuhl. Schon auf Papst Benedikt haben sie dort nicht gehört. Und Papst Franziskus sagen sie heute auch nicht die Wahrheit.

Werden Sie in den kommenden Wochen oder Monaten noch einmal Gelegenheit haben, mit dem Papst persönlich zu sprechen?

Zen: Nein, er hat mir genug seiner Zeit gewidmet. Er hat mir sehr gut zugehört, hat sehr gut verstanden, was ich ihm mitteilen wollte. Ich habe ihm viele, viele Briefe geschrieben, und ich kann ihm wieder schreiben, ja aber ein weiteres direktes Gespräch wird nicht nötig sein.

Ihr Nachfolger in Hongkong, Kardinal John Tong, scheint weniger pessimistisch als Sie. Er nennt Widerstände gegen das Abkommen «unvernünftig».

Zen: Ich nenne ihn einen Optimisten ich würde ihn nie unvernünftig nennen. Wenn er mich unvernünftig nennt …

Reden Sie denn miteinander über diese Dinge?

Zen: Sicher. Kardinal Tong hat im vergangenen Jahr zwei lange Beiträge veröffentlicht. Im ersten hiess es, jemand greife sogar den Papst an und eine Zeitung in Hongkong schrieb daraufhin: Kardinal Tong meint, Kardinal Zen greife den Papst an. Und er hat dem nicht widersprochen. Das war schon ziemlich peinlich. Die Zeitung hat das dann auf meine Bitte hin geradegebogen. Und ich habe Kardinal Tong gebeten, doch in der Öffentlichkeit die Brüderlichkeit zu wahren. Er ist ein Optimist, ich bin ein Pessimist so weit, so gut.

Selbst in Kirchen werden Überwachungskameras installiert. Nennen Sie das Religionsfreiheit?

In chinesischen Städten wird derzeit ein System der Komplettüberwachung etabliert. Regierungskonformes Handeln im Internet, bei Abstimmungen, im Verkehr wird belohnt, kritisches Handeln abgestraft. Das erinnert stark an «1984».

Zen: Selbst in Kirchen werden Überwachungskameras installiert. Nennen Sie das Religionsfreiheit? Da sehe ich wenig Spielraum für Optimismus. Das mag jetzt wie ein Scherz klingen aber es ist keineswegs lustig gemeint: Konnte der heilige Josef mit Herodes verhandeln?

Der argentinische Kurienbischof Marcelo Sanchez Sorondo sorgte kürzlich für Verwunderung, als er in einem Interview das kommunistische China lobte: «Es gibt keine Elendsviertel, junge Leute nehmen keine Drogen.» Stattdessen gebe es ein «positives Nationalbewusstsein».

Zen: Ich wünsche dem Mann noch ein gutes Leben. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.

Kardinal Joseph Zen Ze-kiun, ehemals Bischof von Hongkong. | © KNA
8. April 2018 | 12:02
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Preis für verfolgte Christen

Der 86-Jährige Kardinal Joseph Zen Ze-kiun erhielt am Samstagabend in Bonn den Preis der Stephanus-Stiftung für verfolgte Christen. Zen werde damit für seinen Mut und seine Beharrlichkeit im jahrzehntelangen Einsatz für die Freiheitsrechte ausgezeichnet, teilte die Stiftung mit. Die Ehrung fand im Rahmen der Jahrestagung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) statt.

Die Stephanus-Stiftung ist nach dem gleichnamigen Diakon der christlichen Urgemeinde benannt, der als erster Märtyrer wegen seines Bekenntnisses zu Christus gesteinigt wurde. Die Stiftung hilft laut ihren Statuten verfolgten Christen in Not, etwa durch einen Zuschuss zum Lebensunterhalt oder zu Anwaltskosten. Zu den bisherigen Preisträgern zählen die syrisch-orthodoxe Ordensfrau Hatune Dogan (48), der chaldäisch-katholische Patriarch Louis Raphael I. Sako (69) und der 2014 in Syrien ermordete Jesuit Frans van der Lugt.

Zen wuchs in sehr armen Verhältnissen auf. Er stammt aus der Diözese Shanghai, wo er 1932 als Sohn eines christlichen Teehändlers geboren wurde. Als junger Mann trat er dem Salesianerorden Don Boscos bei; unter anderem studierte er an den Ordenshochschulen in Turin und Rom. In Italien erlebte Zen auch die für ihn prägende Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965).

Von 1989 bis 1996 lehrte er Philosophie Theologie an verschiedenen chinesischen Seminaren, unter anderem in Shanghai. Dann ernannte Papst Johannes Paul II. (1978-2005) den Theologen zunächst zum sogenannten Bischofskoadjutor in Hongkong, um den dortigen Bischof zu unterstützen. 2002 rückte Zen auf den Bischofssitz der Sieben-Millionen-Metropole mit ihren rund 350’000 Katholiken. 2006 nahm ihn Benedikt XVI. ins Kardinalskollegium auf. (kna)