Martin Hobi, Kirchenmusiker und Professor an der Hochschule Luzern - Musik.
Schweiz

«Wenn sich Kirche trifft, dann tönt es heute so»

Anfang August wurde im Vatikan die offizielle Hymne zum Heiligen Jahr der Barmherzigkeit vorgestellt. Martin Hobi, Professor für Kirchenmusik, hat das Musikstück für kath.ch ganz genau angehört. Die meditative Form des Liedes lasse sich sehr gut in den Gemeinden einsetzen, sagt Hobi. Und: Dieses Lied stehe für die Musik der katholischen Kirche weltweit.

Martin Spilker

Martin Hobi, welches ist Ihr erster Eindruck, wenn Sie die neue Hymne hören?

Martin Hobi*: Es tönt sehr traditionell, erinnert stark an die Gesänge aus Taizé und ist musikalisch auch dort angelehnt. Die Musik ist sehr meditativ, verinnerlicht, ein Gebet. Und ich war überrascht, dass dieses Stück mit «Hymne» überschieben ist. – Da hätte ich eher ein kräftiges Lied, eine bewegte Melodie erwartet.

Das Stück beginnt mit einem mehrfach wiederholten lateinischen Text «Misericordes sicut Pater» – «Barmherzig wie der Vater». Was sagen Sie zum Text?

Hobi: Der Text ist wie eine Litanei gestaltet. Wie gesagt, unter Hymne verstehe ich einen mächtigen Gesang, beispielsweise von einem grossen Chor vorgetragen. Hier aber haben wir einen musikalisch sehr beschaulich gestalteten Text, der sich an den Psalm 136 anlehnt, eine Dankeslitanei für Gottes Grösse. Es folgen vier Strophen, zu je vier Zeilen, die immer mit dem Ruf «Denn seine Güte währt ewiglich» abgeschlossen werden. Nach jeder Strophe folgt der Leitvers «Misericordes sicut patres», der die Hymne auch eröffnet hat. Man kann die Melodie schnell mitsingen oder auch nur mitsummen. Die Musik ist einfach und kann je nach Möglichkeiten leicht für Gruppen, Vorsänger oder andere Instrumente ausgebaut werden. Auf alle Fälle ist hier an das Mittun Vieler und damit an die heutige Liturgie gedacht worden.

Die weltweite katholische Kirche kennt gerade bei der Musik sehr unterschiedliche kulturelle Formen. Kann da überhaupt eine Hymne für die ganze Weltkirche eingesetzt werden?

Hobi: Auf alle Fälle. Die Taizé-Gesänge sind ja auch um die ganze Welt gegangenen. Man kann zu dieser Hymne sogar sagen: Wenn sich die katholische Kirche aus aller Welt trifft, dann tönt es so. Negativ formuliert ist es der kleinste gemeinsame Nenner, positiv ist, dass sich bei einem solchen Musikstück alle einbringen können, egal aus welchem Kulturkreis sie stammen.

Wird diese Hymne ein katholischer Schlager? Oder: Was braucht es, damit die Hymne in den Pfarreien ankommt?

Hobi: Ein Schlager wird das nicht. Das muss es auch nicht werden. Es gibt in der Kirche viele vergleichbare Lieder, die sehr gerne gesungen werden. Es ist auch kein Stück, das zur Eröffnung des Heiligen Jahres vom Kirchenchor gesungen werden muss. Hier geht es ums mitsingen, ums mitwirken der Gemeinde. Es kann eine Vorsängerin, ein Vorsänger oder eine Vorsängergruppe eingesetzt werden. Aber wichtig ist, dass die Gemeinde oder die Gruppe, wo die Hymne gesungen wird, mittun kann. Das entspricht einem Bild von Kirche, die sich nicht extrovertiert, nach aussen gerichtet gibt, sondern nach innen, auf das Gebet verweist.

Wie lautet Ihr Urteil zusammengefasst?

Hobi: ich erachte dieses Stück als Hymne für das Heilige Jahr als eine angemessene Wahl. Es ist sehr traditionell katholisch. Das bedeutet aber auch, dass wer diese Hymne hört, der weiss: «Aha, das ist Musik der Kirche». Damit wird auch ein Zeichen zur Musikwahl in der Kirche heute gesetzt, wo ja stilistisch fast alles möglich ist. (ms)

So klingt die Hymne

* Martin Hobi ist Professor für Kirchenmusik an der Hochschule Luzern – Musik, er hat einen Lehrauftrag im selben Fach an der Universität Luzern und ist Redaktor der Fachzeitschrift «Musik und Liturgie». Weiter ist er Mitglied des Kuratoriums im Liturgischen Institut der deutschsprachigen Schweiz.

Martin Hobi, Kirchenmusiker und Professor an der Hochschule Luzern – Musik. | © zVg
16. August 2015 | 05:00
Lesezeit: ca. 2 Min.
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Zitat aus dem Lukasevangelium

Die Hymne zum Heiligen Jahr der Barmherzigkeit beginnt mit einem Zitat aus dem Lukasevangelium (Kapitel 6, Vers 36), dem Titel des Heiligen Jahres: «Barmherzig wie der Vater». In den Strophen wird der dreifaltige Gott gepriesen: Erste Strophe Gott Vater in seiner Güte und Schöpfer der Welt; zweite Strophe Gottes Sohn, das Licht der Welt; dritte Strophe der Heilige Geist als Mittler der sieben Gaben (Weisheit, Verstand, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit, Gottesfurcht) und Quelle des Guten. In einer vierten Strophe wird um Friede für die Welt und Erneuerung des Himmels und der Erde, mit einem Zitat aus dem Buch der Offenbarung (Kapitel 21, Vers 1) gebeten. In dieser vierten Strophe, welche das Dreifaltigkeits-Lob ergänzt, sieht Martin Hobi denn auch einen wichtigen Verweis auf das Handeln der Kirche in der heutigen Zeit, wie es Papst Franziskus immer wieder hervorhebt. (ms)

Der Text der Hymne