Fabienne Bucher wird vom St. Galler Bischof Markus Büchel geweiht
Schweiz

Wenn die Sehnsucht nach Stille endlich gestillt wird

St. Gallen, 22.3.17 (kath.ch) Schwester Fabienne Bucher ist seit Jahrzehnten im kirchlichen Dienst. Ob als Schönstätter Marienschwester, Pastoralassistentin oder Spitalseelsorgerin – einen Wunsch hatte sie immer: Den Wunsch nach Stille. Im Interview mit kath.ch erklärt sie, was sie in der Stille findet. Am 18. März hat der St. Galler Bischof Markus Büchel Schwester Fabienne Bucher in der Kathedrale St. Gallen zur  Eremitin geweiht. Ihr Wunsch ist damit in Erfüllung gegangen.

Evelyne Graf

Was hat Sie zum eremitischen Leben geführt?

Fabienne Bucher: Seit der Erstkommunion ist meine Beziehung zu Jesus gewachsen. Das hat mich bewogen, einen kirchlichen Beruf zu wählen. Während dieser vielen Jahre – ob als Schönstätter Marienschwester, als Pastoralassistentin oder Spitalseelsorgerin – war die Sehnsucht nach Stille und Gebet immer da. In den 80er Jahren konnte ich erstmals für vier Wochen in einer Einsiedelei leben. Mein Wunsch, für ein bis zwei Jahre als Eremitin zu leben, wurde mir in der Gemeinschaft nicht erfüllt.

Was hat Ihrem eremitischen Leben zum Durchbruch verholfen?

Bucher: In meinem Bildungsurlaub 2008 konnte ich rund 40 Tage in einer Waldklause oberhalb des Ranfts verbringen. In dieser Zeit kam meine tiefe Sehnsucht wieder auf. Der brennende Dornbusch, Gottes Zusage: «Ich bin da» (Exodus 3), haben mich tief berührt und der innere Ruf: «Lass dich ein!» haben mich bewogen, Schritt für Schritt meinen ursprünglichen Weg zu suchen.

2008 suchte ich erstmals mit Bischof Markus das Gespräch. Ein reger Austausch mit meinem geistlichen Begleiter und anderen religiösen Menschen halfen mir weiter. Meine Ferien und viel Freizeit verbrachte ich in verschiedenen Einsiedeleien in Deutschland und in der Schweiz: Mein eremitisches Dasein nahm langsam Gestalt an.

Wie konkretisierte sich nun Ihr Weg?

Bucher: Bischof Markus Büchel hat mich am 12. Januar 2011 als Diözesan-Eremitin des Bistums St.Gallen angenommen und seither begleitet. In diesem Jahr ergab sich auch die Möglichkeit, in meine jetzige Einsiedelei in Niederteufen AR einzuziehen. 2013 liess ich mich frühpensionieren, um vermehrt in der Stille leben zu können. Nach einer Zeit der Erprobung dieses Lebens durfte ich am 18. März 2017 durch Bischof Markus Büchel die Eremitinnen-Weihe empfangen und mein «Adsum», meine Bereitschaft, aussprechen, diesen Weg für immer zu gehen.

Was bedeutet das eremitische Leben genau?

Bucher: Für das eremitische Leben sind das Hören und die Nachfolge Jesu wichtig. Die Vita Antonii (Lebensbeschreibung des heiligen Einsiedlers Antonius), von Athanasius aufgeschrieben, hat schnell weite Verbreitung gefunden und viele Männer, aber auch Frauen dazu bewogen, alles zu verlassen und sich am Rande der Wüste unter der Leitung eines Abbas oder einer Amma niederzulassen. So entstand die erste Form des gottgeweihten Lebens im Christentum. Bis zum heutigen Tag gehören zu einem eremitischen Leben:

  • Nachfolge Christi in Armut, Gehorsam und Jungfräulichkeit
  • Zurückgezogenheit
  • Schweigen und Stille
  • Bemühen um das immerwährende Gebet
  • Bereitschaft zur ständigen Umkehr
  • Die Sorge für den eigenen Lebensunterhalt.

Was zeichnet Ihr eremitisches Leben aus?

Bucher: Den Morgen lebe ich mehr in der Stille, im Gebet und lese in der Heiligen Schrift. Am Nachmittag bin ich offen für Menschen, die ein Seelsorgegespräch wünschen. Das Jesusgebet begleitet meinen Alltag rund um die Uhr, sogar bei Handarbeiten: Kerzen giessen und ziehen, Gebetsschnüre knüpfen, Haus- und Gartenarbeiten.

Das tönt sehr still…

Bucher: Die Stille und Zurückgezogenheit nehmen immer mehr Platz ein. Die Gottesmutter ist für mich Urbild der Kontemplation. Von ihr lerne ich, was es heisst, alles im Herzen zu bewahren und zu bewegen, Christus im Herzen zu tragen, ihn auf die Nöte der Menschen aufmerksam zu machen, mit ihm unter dem Kreuze stehen, inmitten der Kirche sein und um Gottes Geist bitten.

«Alles wirkliche Leben ist Begegnung», sagte Martin Buber. Wie leben Sie diese Erfahrung als Eremitin?

Bucher: Die Urbegegnung ist für mich der Bund, den Gott mit uns Menschen geschlossen hat im Alten Testament. Mit Jesus Christus haben wir den neuen Bund geschlossen. Auch in Seelsorgegesprächen geht es oft um Begegnungen mit andern, mit mir selber, sogar mit dem eigenen Schatten. Natürlich gibt es die Begegnung mit Gott im konkreten Alltag.

Helfen Sie anderen, in Begegnung mit Gott zu treten?

Bucher: Ich selber verstehe mich manchmal als «Bundes-Knüpferin», indem ich die Freuden, Sorgen, Nöte, Ängste der Menschen mit Gott verknüpfe. Ich bin mit den Menschen solidarisch und bringe alles im Gebet vor Gott. Manchmal knüpfe ich auch Begegnungen zwischen Menschen, die sich vorher nicht kannten, die aber ähnliche Fragen haben.

«Du musst Gott nur bis zu dir selbst entgegen gehen», sagte Augustinus. Wie leben Sie dies als Eremitin?

Bucher: «Gott ist zwischen den Kochtöpfen» sagte Teresa von Avila. Das heisst für mich, dass ich Gott überall entdecken, mich aber auch von ihm finden lassen kann. Wo kann ich Gottes Spuren in meinem Alltag, im Nächsten, in Worten aus der Heiligen Schrift, in der Lektüre, in den Nachrichten, in den Begegnungen mit anderen Menschen entdecken? Dieser Schritt aus mir heraus, im Hören und Schauen, das ist eremitischer Alltag, hin zu Gott. Gottesbegegnung kann ich nicht erschaffen, sie ist immer Geschenk, Gnade und auch Aufgabe.

Was bedeutet die Eremitinnen-Weihe für Sie?

Bucher: Sie ist für mich die Konsequenz der Taufe. Ein Leben führen, aus dem Bund, den Gott mit mir geschlossen hat. Ebenso in der Nachfolge Jesu das umsetzen, was ich als Anruf Gottes verstanden habe. Es ist ein Gott geweihtes Leben inmitten von Kirche und Welt, wenn auch ganz klein und verborgen. Jetzt, nach langem Suchen und Ringen, nach dem Erproben des eremitischen Lebens, sagte ich nun auch im Gottesdienst: Ich bin bereit, diesen Weg für immer zu gehen.

Welche Impulse gibt Ihnen Bruder Klaus?

Bucher: Bruder Klaus, der Ranft und Dorothee sind für mich ganz wichtig. Mein Einsiedelei heisst «Eremo Bruder Klaus». Es freut mich, dass ich im Gedenkjahr des 600. Geburtstags von Niklaus von Flüe die Eremitinnen-Weihe empfangen durfte. Ich vertraue auf seine Fürbitte. Wichtig ist mir das Radbild von Bruder Klaus, sein Gebet der Ganzhingabe, das für mich zum «täglichen Brot» geworden ist.

Was ist Ihr Ziel als Eremitin?

Bucher: Die Gott-Suche im Hier und Jetzt und das Bemühen, den Alltag mit Gott zu verbinden, sind für jeden Christ eine lebenslange Herausforderung, so auch für mich. Die Benediktsregel ist mir für mein eremitisches Leben wertvoll und wichtig geworden, wie dem Gottesdienst den Vorrang zu geben und die Bedeutung des Massvollen.

Welches sind «Sternstunden» in Ihrem eremitischen Leben?

Bucher: Sterne sieht man nur in der Nacht. Licht und Dunkel sind nahe beieinander. Die 40 Tage 2008 im Ranft sind für mich ein wichtiges Fundament, welches mich die letzten Jahre durchgetragen hat. Die Erfahrung von Gott «Ich bin da» in Allem und in Allen. Er ruft mich immer wieder: «Lass dich ein!» Diese zwei Erfahrungen fanden im Bild zu meiner Eremitinnen-Weihe konkreten Ausdruck und stärken mich in meinem eremitischen Alltag.

Kennen Sie keine Einsamkeit, Leere, Langeweile, innere Trockenheit…?

Bucher: Langeweile kenne ich nicht. Leere und innere Trockenheit gehören zu jedem spirituellen Weg. Wichtig ist das Hindurchschreiten durch solche Zeiten, die Treue im Kleinen und das richtige Mass in allem. Hilfreich ist für mich der Austausch mit erfahrenen Eremiten, Eremitinnen, andern Gott-Suchenden und spirituelle Literatur.

Auch die jährlichen Exerzitien sind wichtig, sowie eine gute geistliche Begleitung. Bis jetzt hat mich Gott so geführt, dass ich im entscheidenden Moment auch die richtige Person fand, die mich weiter in die Tiefe führte.

Welches ist Ihr persönlicher «Dienst» an der Welt, an den Menschen?

Bucher: Das Dasein vor Gott in der Stille im fürbittenden und stellvertrenden Gebet. Ein Ohr und ein Herz haben für Menschen, die zum Seelsorgegespräch kommen oder denen ich begegne und für das, was ich in den Nachrichten höre. Achtsamer Umgang mit der Schöpfung, solidarisch leben, teilen, was ich an Gütern, Zeit und Fähigkeiten habe.

Wann sind Sie am glücklichsten?

Mir fällt der Liedvers ein: «Die Freude an Gott, ist unsere Kraft» (Nehemia 8,10). Ich nenne die kleinen und grossen Glücksmomente lieber als Freuden im eremitischen Alltag.

Doch manchmal sehe ich auch mehr das Negative bei mir und bei anderen, in unserer Kirche und Welt. So war es wichtig, in der Vorbereitung auf meine Eremitinnen-Weihe eine grosse Dankbarkeit spüren zu dürfen. So viele Menschen haben mich auf meinem Weg begleitet und mir Wohlwollen und echte Freundschaft geschenkt. Dafür bin sehr dankbar und es macht mich froh und stärkt mich für meinen weiteren Weg. (ft)

Fabienne Bucher wird vom St. Galler Bischof Markus Büchel geweiht | © Ueli Steingruber
22. März 2017 | 14:48
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