Krzysztof Wojtkiewicz
Schweiz

Krakau: Weltjugendtag zwischen den Polen der Gesellschaft

Krakau, 7.7.16 (kath.ch) Rund 400 Schweizer Jugendliche reisen an den Weltjugendtag nach Krakau. Seit in Polen die nationalkonservative Partei die Macht übernommen hat, sind Land und Kirche heillos zerstritten. Zwei Polen in der Schweiz erklären ein Land, das doch so gerne gastfreundlich wäre. Krzysztof Wojtkiewicz ist Leiter der polnischen Mission in der Schweiz. Dorian Winter arbeitet am Institut für Theologische Ethik der Universität Luzern.

Remo Wiegand

Beten und Feiern, Glaube und Gemeinschaft, Heiterkeit und Heiligkeit: Eine Neuauflage des Weltjugendtags steht vor der Tür. Zwei Millionen Jugendliche werden im polnischen Krakau erwartet. Die Grossparty soll den Glauben beleben – und den Tourismus. «Entdecke Polen», werben die Organisatoren prominent auf ihrer Homepage. Ein Filmchen der Tourismuszentrale preist das Land als harmonisches Idyll an.

Die Realität sieht weniger rosig aus. Seit den Parlamentswahlen von Oktober 2015 ist Polen ein zerstrittenes und zerrissenes Land. Die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) schlug sofort nach der Wahl einen autoritären Kurs ein und fällte Entscheide, die Grundrechte wie die Medienfreiheit beschnitten. Bald schon rief die PiS-Regierung heftige Proteste hervor. Letzten Mai demonstrierten 240›000 Menschen gegen ihren Kurs und den neuen Stil – die grösste Protestkundgebung in Polen seit dem Ende des Kommunismus.

Trauma Fremdherrschaft

Der Riss in der polnischen Gesellschaft zieht sich auch durch die katholische Kirche, der fast das ganze Land angehört (87 % der Polen sind katholisch, 54% praktizieren ihren Glauben). Eine Mehrheit der Katholiken sympathisiert mit der Politik der PiS. c (52), Priester und Leiter der polnischen Mission in der Schweiz, die rund 30’000 polnische Katholiken in der Schweiz betreut, kann das verstehen; er sympathisiert mit den Sympathisanten, ohne zu ihnen zählen zu wollen. Wojtkiewicz sieht die PiS als einzige Kraft, die ernsthaft die polnische Identität verteidigt: «In Europa gibt es eine Ideologie, die den Nationalstaat abschaffen will. Das lehne ich auch ab. Die nationale Identität ist wichtig, damit Menschen wissen, wer sie sind.» Die tief eingebrannten Erfahrungen der Fremdherrschaft bis 1989 haben in Polen einen starken Patriotismus und Widerstandswillen eingeimpft. Heute richtet sich dieser gegen eine europäische Union, die nicht bloss ökonomisch, sondern auch politisch zusammengewachsen ist.

Wie Wojtkiewicz stammt auch Dorian Winter aus Stettin im Westen Polens. Politisch trennen die beiden allerdings Welten. Winter (27), der als Assistent am Institut für Theologische Ethik der Universität Luzern arbeitet, kritisiert vor allem den Stil der neuen Regierung: «Es hat eine sehr bedenkliche verbale Aufrüstung stattgefunden. Der politische Gegner, Demonstranten und auch Flüchtlinge werden abgewertet und entpersonalisiert. Das ist eine Rhetorik, die aus dem Faschismus bekannt ist.» Winter macht in Polen einen Kulturkampf aus: Hier eher gebildete Menschen, sprach- und reisefreudig, die unter den Bedingungen des freien Marktes gut leben gelernt haben, dort ein neo-romantischer Rückzug auf die eigene Identität, die in einer unsicheren Welt Halt vermittelt. Ein Rückzug, der oft einher geht mit einer ängstlichen Abwehr des Anderen.

Polen als «Christus unter den Nationen»

Die katholische Kirche gehört – spätestens seit dem erfolgreichen Widerstand gegen den Kommunismus, im Verbund mit Landsmann Papst Johannes Paul II. – zum Identitätsschatz der Polen. Zugleich provoziert der Glaube bisweilen eine problematische Selbstüberhöhung. «Es gibt eine Lesart unserer Geschichte, die Polen zum Christus unter den Nationen emporstilisiert», berichtet Winter. Dieser messianische Nationalismus tendiert zum Freund-Feind-Denken. Tatsächlich sieht auch Krzysztof Wojtkiewicz Katholisch-Polen in einem permanenten Kampf. Nach dem Ende des Kommunismus bezeichnet er den Gegner heute als «Kultur-Marxismus»: «Schauen Sie nach Frankreich, Italien oder Deutschland: In diesen Ländern gibt es eine radikale Ökonomisierung und Technisierung, und parallel dazu eine Entchristlichung der Gesellschaft. Das Leben soll künstlich hergestellt und verhindert werden. Das ist marxistische Ideologie.»

Winter kontert: Wenn es einen Kultur-Marxismus gebe, dann in Polen selber: «Der Kommunismus hat die Menschen gelehrt, nur für sich zu schauen. Um das Gemeinwohl muss sich der Staat kümmern. Wenn eine Strasse dauernd schmutzig ist, kommt in Polen niemand auf die Idee, selber etwas dagegen zu unternehmen. Uns fehlt eine funktionierende Zivilgesellschaft, wie es sie in der Schweiz gibt», analysiert Winter. Auch in der polnischen Kirche bemängelt er eine fehlende Mündigkeit der Gläubigen – und eine Gängelung durch den Klerus. Viel zu oft würden ex cathedra politische Fehlentwicklungen gegeisselt. Die aufgeschlosseneren Priester seien jene, die nur das Evangelium verkündeten und danach fragten, wie es dem Einzelnen helfe, sein Leben zu bewältigen.

Politik kein Tabuthema

Trotz aller (und gegenteiliger) Sorgen teilen Winter und Wojtkiewicz die Liebe zu ihrem Land und seiner Kirche. Beide vertrauen auf die Stärke des polnischen Rechtstaats, beiden geht die sinnlich-mystische Spiritualität ihrer Heimat ans Herz, beide singen ein Loblied auf die polnische Gastfreundschaft. Am Weltjugendtag dürften die Schweizer Jugendlichen Kostproben davon erfahren. Ob auch die Politik in den Krakauer Begegnungen ein Thema sein wird? Wojtkiewicz animiert dazu: «Die Jugendlichen sollen darüber sprechen. Sie werden lernen, dass es in Polen eine grosse Vielfalt gibt.»

Auch Winter hätte nichts gegen die eine oder andere politische Diskussion am Weltjugendtag. Dass die Jugend einen Beitrag zur Befriedung des zerrissenen Landes leisten kann, glaubt er allerdings nicht. Wenn von jemandem ein prophetisches Wort ergehen sollte, dann vom Papst: «Ich hoffe, dass Franziskus etwas zur Flüchtlingskrise sagt», meint Winter. «Er hat immer wieder auf die Leiden und die Unrechtserfahrung von Flüchtlingen hingewiesen, in denen wir heute Christus erkennen können. Wenn er es schafft, den Akzent von der polnischen Geschichte auf dieses messianische Motiv zu lenken, hat er bereits viel erreicht.» (cm)

Programm WJT Krakau 2016
Polnische Mission in der Schweiz

Krzysztof Wojtkiewicz | © 2016 zVg
7. Juli 2016 | 10:56
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Papst Franziskus meets Schwester Faustyna

Im polnischen Krakau findet vom 26. bis zum 31. Juli der katholische Weltjugendtag statt. Der Massenevent ist gefüllt mit Gottesdiensten, Sport-, Musik- und Tanzveranstaltungen. Höhepunkt ist der Besuch von Papst Franziskus, der im Rahmen seiner Polen-Reise auch die KZ-Gedenkstätten in Auschwitz und Birkenau sowie den Marienwallfahrtsort Tschenstochau besucht. Das Motto des Weltjugendtags lautet «Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden.» (Mt 5,7). Entsprechend richtet der Anlass auch ein besonderes Augenmerk auf die heiliggesprochene Ordensschwester Faustyna Kowalska (1905-1938), deren Lebensthema die Barmherzigkeit Gottes war. Aus der Schweiz reisen rund 400 Jugendliche nach Krakau, begleitet werden sie unter anderem von Jugendbischof Marian Eleganti.