Rainer Uster ist seit 36 Jahren Religionspädagoge und Katechet.
Schweiz

Warum Religionsunterricht so wichtig ist: «Lernen, in die angstfreie Zone zu kommen»

Erster Schultag nach den Sommerferien. Da steht auch der Religionsunterricht für viele Schülerinnen und Schüler auf dem Stundenplan. Obwohl das Fach nicht versetzungsrelevant ist, ist das Nischenfach Religion dennoch elementar, so Katechet Rainer Uster.

Wolfgang Holz

«Für mich ist mein Beruf sehr wichtig, er ist eine echte Berufung», sagt Rainer Uster überzeugt. Sein Blick wirkt hellwach. Im kurzärmeligen Sommerhemd sitzt er im historisch sanierten Pfarrhaus in der gemütlichen, holzgetäfelten Stube unweit des Kachelofens.

Religionslehrer seit 36 Jahren

Seit 36 Jahren ist Rainer Uster an den Schulen Unterägeri und Allenwinden als Religionspädagoge und in der Pfarrei Unterägeri und Allenwinden als Katechet tätig. Er freut sich schon auf seine neuen Klassen in der Oberstufe und in der Primarschule. Wer schon so lange Religionsunterricht wie Rainer Uster gibt, weiss wovon er spricht.

Auch der Religionsunterricht basiert auf detaillierten Lehrplänen.
Auch der Religionsunterricht basiert auf detaillierten Lehrplänen.

«Früher gab es noch Frontalunterricht, inzwischen sind die speziellen gruppendynamischen Lehrkonzepte, die Schülerinnen und Schüler aktiv am Religionsunterricht beteiligt, längst auch in anderen Schulfächern Standard in der Methodik», sagt der 61-jährige Pädagoge.

Nach Vorgaben des Lehrplans

Selbstverständlich orientiert sich Uster an den Vorgaben des Lehrplans Religionsunterricht und Katechese, der Kompetenzbereiche wie Identitätsentwicklung, religiöse Ausdrucksfähigkeit und christliche Werte vorgibt – wie er in einem Ordner auf dem Tisch zeigt. Gerade Verbindlichkeit des Inhalts und Qualität des Religionsunterrichts, was von Eltern auch eingefordert wird, sind ihm wichtig. Im persönlichen Fokus seines Unterrichts steht aber stets der Mensch, Kinder und Jugendliche.

«Religion ist so ein schönes Fach.»

Rainer Uster

Auf diese Weise gelingt es ihm offensichtlich immer wieder, seine Schülerinnen und Schüler zu motivieren. «Religion ist so ein schönes Fach, ja das einzige Fach in der Schule, das dem Einzelnen Raum gibt, sich mit dem eigenen Leben intensiv auseinanderzusetzen.»   

«Interesse, sich mit ihrem Leben zu beschäftigen»

Und dank dieser persönlichen Neugier für das eigene Leben schafft es Uster im Religionsunterricht das Interesse der Jugendlichen zu wecken.

Bibeln
Bibeln

«Auch wenn das Interesse der Gesellschaft an Sinngebung durch die Kirche längst relativiert ist, und viele junge Menschen heutzutage mit kirchlichen Inhalten, beispielsweise mit dem Umgang der Bibel, nicht mehr sehr vertraut sind, hegen sie dennoch ein grosses religiöses Interesse, sich mit ihrem Leben zu beschäftigen. Sinnfragen zu stellen. Nach Sinnerfüllung zu suchen.»

«Null-Bock-Schüler» sind selten

Selbst «Null-Bock-Reli-Schüler» geraten bei ihm ins Grübeln, wenn er sie damit konfrontiert, ob sie es denn nicht interessant finden, über ihr Leben nachdenken zu wollen. «Wenn jemand tatsächlich dauerhaft im Unterricht stört, was nicht oft bei mir passiert, kontaktiere ich die Eltern und suche nach Lösungen. Eine Möglichkeit wäre dann, dass der Schüler, die Schülerin eine Auszeit nimmt.

Die Schöpfung - hier in der Kapelle des Uni-Spitals Zürich.
Die Schöpfung - hier in der Kapelle des Uni-Spitals Zürich.

Beim Thema Schöpfungsgeschichte kommen bei Rainer Uster im Religionsunterricht der Oberstufe beispielsweise neben Aspekten zum Genesis-Paradies, zur Schlange, zu Evolution, Naturwissenschaften und Urknall am Ende existenzielle Fragen auf den Tisch. Wie etwa: Warum gibt es die Welt überhaupt? Wo stehe ich? Wer bin ich? Wie soll ich leben mit der Natur?

Symbolik der Bibel entschlüsseln

Bei der Lektüre der biblischen Geschichten, die der Unterägerer Religionspädagoge mit seinen Schülerinnen und Schülern liest, hilft er die Symbolik der Heiligen Schrift im Unterricht zu entschlüsseln.

Gott kann so viele schöne Namen tragen: Seite aus Religions-Lehrbuch.
Gott kann so viele schöne Namen tragen: Seite aus Religions-Lehrbuch.

«Die Geschichten sind nämlich oft doppelbödig und hintergründig und erschliessen sich jungen Menschen von heute nicht sofort», erklärt Uster. Thematisch auf spezielle Fragstellungen bezogen, sucht er jeweils passende Bibeltexte aus. Eine seiner Lieblingsgeschichte ist die vom barmherzigen Samariter. «Weil wir nicht nur gut, sondern auch barmherzig sein sollen», sagt er.

«Stabiles Verhältnis zu Gott aufbauen»

Auf der Suche, dem Selbst auf die Spur zu kommen, will Rainer Uster den jungen Menschen im Religionsunterricht vor allem vermitteln, den Weg in die «angstfreie Zone» zu öffnen. «Denn wer ein stabiles religiöses Verhältnis zu Gott und Jesus aufbauen kann, erlebt eine Sinnerfüllung und einen festen Halt in seinem Leben», ist er überzeugt. Dann müsse man nicht länger im Hamsterrad strampeln, um ständig besser, reicher oder stärker als andere zu sein. «Man braucht dank Religion, dank dem Urvertrauen, dass Gott uns liebt, keine Angst in seinem Leben zu haben.»

Frust gegenüber der Kirche

Frustmomente im Religionsunterricht erlebe er selten, wie er versichert. Doch empfindet der Katechet manchmal gegenüber der Kirche Frust.

Gleichberechtigung. Punkt. Amen.
Gleichberechtigung. Punkt. Amen.

«Dass Frauen im Jahr 2023 noch immer nicht Priesterinnen werden dürfen, und hierarchische Strukturen dominieren, hat uns in der katholischen Kirche weit von der jesuanischen Praxis entfernt», kritisiert er. Die Kirche müsse sich wieder endlich mehr an Jesus Christus orientieren, den einzelnen Menschen ernst nehmen und wertschätzen – und nicht zuletzt «innerhalb ihrer Strukturen aufräumen». Angesichts des grassierenden Missbrauchs bedürfe die Kirche dringend wieder Glaubwürdigkeit, im Sinne einer opfergerechten Aufarbeitung.

Sakramente sind begehrt

Gleichzeitig nimmt Rainer Uster, der in der Pfarrei Unterägeri auch in der Katechese tätig ist, ein wachsendes Interesse der Gemeindemitglieder wahr, wenn es darum geht, die kirchlichen Sakramente zu erhalten.

Bischof Joseph Bonnemain gibt einem jungen Firmling in Thalwil die Hand.
Bischof Joseph Bonnemain gibt einem jungen Firmling in Thalwil die Hand.

Wobei die Pfarrei einen besonderen Wert darauf lege, das Spenden der Sakramente wie Erstkommunion und Firmung als ganz persönliches Erlebnis für die Beteiligten zu gestalten.

«Wir laden zum Beispiel Eltern und Firmlinge in die Kirche ein, wo die Eltern ihren Kindern die Taufkerze übergeben.»

Rainer Uster

«Im Rahmen einer Feier laden wir zum Beispiel Eltern und Firmlinge in die Kirche ein, wo die Eltern ihren Kindern die Taufkerze übergeben und damit ein Zeichen zur Selbständigkeit geben. Das verwandelt die Feier in ein sehr persönliches Erlebnis», sagt Uster.

Viele kleine Erstkommunionfeiern

Und während Corona habe man an der Erstkommunion in einem Jahrgang allein neun verschiedene kleine Einzelfeiern ermöglicht – um allen Personen möglichst gerecht zu werden in puncto Sicherheit und Familienatmosphäre. «Wir möchten den Beteiligten jeweils ermöglichen, ein angenehmes, sinnerfülltes, religiöses Fest zu erleben».

Erstkommunion
Erstkommunion

Eine Strategie, die offensichtlich bei vielen Gläubigen in Unterägeri auf Zustimmung stösst. «Dreiviertel der früheren Erstkommunionkinder haben sich bei uns auch wieder zur Firmung gemeldet», sagt Rainer Uster. Das ist zweifellos ein Erfolg persönlicher religiöser Wertschätzung.


Rainer Uster ist seit 36 Jahren Religionspädagoge und Katechet. | © Wolfgang Holz
21. August 2023 | 06:00
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