Urs Bucher vor den Arkaden des Kapuzinerklosters Solothurn
Konstruktiv

Warum ein ehemaliges Kapuzinerkloster auf hässliches Gemüse setzt

Manches Gemüse kann nicht verkauft werden, weil es etwas krumm ist. «Ugly vegetables», «hässliches Gemüse» ist nur ein Schwerpunkt des ehemaligen Kapuzinerklosters in Solothurn. Im Fokus stehen Geselligkeit, Inklusion und Solidarität. Ein Osterfest bringt Menschen aus der Ukraine und Russland zusammen.

Regula Pfeifer

Urs Bucher (67) geht in die Klosterküche und schaut, ob es klappt mit dem Suppenschöpfen. Es gibt Solidaritätssuppe für den Frieden in der Ukraine an diesem Montagmittag.

Judith Schallberger steht auf einem Schemel und schöpft aus einer riesigen, alten Blechpfanne. «Ich wollte etwas für die Ukraine tun», sagt die Solothurnerin. Sie engagiert sich seit kurzem als Freiwillige im Kapuzinerkloster.

Judith Schallberger engagiert sich als Freiwillige im Kapuzinerkloster Solothurn.
Judith Schallberger engagiert sich als Freiwillige im Kapuzinerkloster Solothurn.

Eine Person nach der anderen hält Judith Schallberger ihre leere Schale hin und geht dann in den holzbekleideten Saal nebenan essen. Rund 80 Personen sitzen an den Tischen, die hufeisenförmig angelegt sind. Alle reden angeregt miteinander. Auch Urs Bucher gesellt sich zu ihnen.

Im halboffenen Raum hinter der Küche wäscht Irem Ugurlu das Geschirr. Die etwa Dreissigjährige bezieht IV und arbeitet seit gut zehn Wochen hier mit. «Ich helfe überall mit, in der Küche, im Garten», sagt sie. Abgemacht ist, dass sie drei Monate in Kapuzinerkloster mitwirkt. «Ich würde aber gern länger bleiben», sagt sie. «Die Leute sind nett, ich arbeite das erste Mal gerne.» Im nächsten Jahr könne sie eine Lehre beginnen, sagt sie lächelnd.

Irem Ugurlu gefällt ihr Einsatz im Kloster.
Irem Ugurlu gefällt ihr Einsatz im Kloster.

Urs Bucher ist überall. Mal schaut er in der Küche vorbei, mal setzt er sich unter die Essenden, mal verschwindet er im Büro. Und oft packt er irgendwo mit an. Und spricht ein paar Worte hier und da. Der Mann mit grauen Haaren und Bart ist kein Chef mit lauter Stimme. Freundlich und leise sagt er, was es gerade zu sagen gibt.

«Ich war ein Leben lang Gastronom», sagt er später. Der gelernte Koch hat in jungen Jahren die Hotelfachschule in Luzern besucht und danach vielerorts in der Gastronomie gearbeitet. Rund zehn Jahre hat er sein eigenes Hotel in Saas-Fee geführt. «Das war schön», sagt er.

Urs Bucher (rechts) mit Gästen der Suppenaktion für Frieden in der Ukraine.
Urs Bucher (rechts) mit Gästen der Suppenaktion für Frieden in der Ukraine.

«Die schönste Zeit ist jetzt.»

Urs Bucher, Initiant Projekt Kapuzinerkloster Solothurn

«Aber die schönste Zeit ist jetzt», fügt er gleich an. Was er jetzt macht, befriedigt ihn. Er wollte nach der Pensionierung etwas zurückgeben an die Gesellschaft.

Eine Initiative nach der anderen

Das tut er jetzt – und reisst gemeinsam mit der Co-Leiterin Selma Dubach (42) ein Projekt nach dem anderen an. Dubach ist hier angestellt, ebenso der Koch – ein ehemaliger Asylbewerber, der Irem Ugurlu eben einen Auftrag gibt.

Aktuell planen sie verschiedene Aktionen für die Ukraine. Schulkinder backen Friedenstauben und verkaufen sie auf dem Markt in Solothurn. Rund 30’000 Franken seien so zusammengekommen für den Schweizer Verein Parasolka, der sich in der Ukraine für Menschen mit Beeinträchtigungen einsetzt, sagt Urs Bucher.

Friedenstauben – das backen und verkaufen Schulkinder.
Friedenstauben – das backen und verkaufen Schulkinder.

Die Schulkinder malen auch Bilder für den Friedensweg, der rund ums Kloster am Entstehen ist. Als neue Aktion ist eine Osterfeier mit Leuten aus der Ukraine und Russland geplant – am orthodoxen Ostersonntag, dem 24. April.

Es gehe darum, die Menschen zusammenzubringen, die alle unter dem Krieg litten, sagt Urs Bucher. «Wir laden sie ein zu Suppe und ihrem traditionellen Ostergebäck, einer Art Panettone.» Zudem gebe es eine Feier in der Kirche. Kein Gottesdienst im engeren Sinn. Aber ein Geistlicher werde reden.  

Oster-Deko im Klostergang
Oster-Deko im Klostergang

Im Kapuzinerkloster wird Solidarität nicht gepredigt, sondern gelebt. Bisher sieben IV-Bezügerinnen und -Bezüger haben seit Beginn des Projekts 2018 hier einen Schritt in die Arbeitswelt gewagt. «Sie sind bei uns willkommene Mitarbeitende», sagt Urs Bucher. Auch Menschen im Rollstuhl waren darunter. «Unsere Gartenwege sind rollstuhlgängig», so Bucher. Das ermögliche den Mitarbeitenden, vom Rollstuhl aus Heilkräuter zu pflücken.

«Hier erlebe ich täglich, wie es ist, Menschen mit wenig Freude zu machen», sagt Urs Bucher. Angefangen hat das ehemalige Kapuzinerkloster mit der Integration von Asylsuchenden. Um eine Antwort auf die damalige Flüchtlingswelle zu geben.

Ein Freiwilliger bei der Gartenarbeit
Ein Freiwilliger bei der Gartenarbeit

Auch einen Beitrag an die Lebensmittelverschwendung will das Kloster leisten. Es verwendet Gemüse aus dem eigenen Klostergarten. Abgesehen von den IV-Mitarbeitenden pflegen diesen auch ein Dutzend Freiwillige. Ergänzend kommen «ugly vegetables» von regionalen Biobauern auf den Tisch: Gemeint ist «hässliches Gemüse», also Gemüse, das nicht perfekt aussieht und daher nicht verkauft wird. «Das ist unser Beitrag gegen das Food Waste», sagt Urs Bucher. Die Suppe an diesem kühlen und sonnigen Frühlingsmittag ist würzig und nahrhaft.

«Hier kann man die Seele baumeln lassen», schwärmt Urs Bucher vom ausladenden Garten in diesem traditionsreichen Ort. «Das Kloster ist ein Kraftort. Hier wurde 450 Jahre lange gebetet, diese Kraft ist heute noch spürbar.»

Austausch mit den echten Kapuzinern

Das Projekt Kapuzinerkloster Solothurn ist 2018 ins Leben gerufen worden. «Vor 19 Jahren sind die letzten Kapuziner ausgezogen», erzählt Urs Bucher. Danach blieb das Kloster rund 15 Jahre ungenutzt.

2018 nahm das neue Projekt Fahrt an – unterstützt durch den Verein Kapuzinerkloster Solothurn. Den Kontakt zu den Kapuzinern in Olten und Rapperswil hält das ehemalige Kloster aufrecht. «Wir laden sie jedes Jahr zum Essen zu uns ein und tauschen uns mit ihnen aus», sagt Urs Bucher. «Unser Klosterleben gefällt ihnen. Es entspricht dem franziskanischen Geist, nach dem sie leben.» Gemeint sei das Engagement für benachteiligte Menschen. (rp)

Kloster gehört dem Kanton

Das Kapuzinerkloster in Solothurn gehört dem Kanton Solothurn. Dieser ist verantwortlich für den Unterhalt der Klostergebäude. Der Kanton Solothurn hat mit Urs Bucher persönlich eine Nutzungsvereinbarung abgeschlossen – »auf fairer Ebene», wie Urs Bucher sagt. (rp)

Urs Bucher vor den Arkaden des Kapuzinerklosters Solothurn | © Regula Pfeifer
20. April 2022 | 05:00
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