Bischof Joseph Maria Bonnemain
Theologie konkret

War Jesus schwul, Bischof Joseph Bonnemain? 

Bischof Joseph Bonnemain beantwortet im «Underkath»-Video Fragen von Ministrantinnen und Ministranten. Der Bischof von Chur sagt über die katholische Kirche: «Man muss diese schwerfällige Institution entkleiden, befreien, vereinfachen, ehrlicher und transparenter machen.»

Carmela Bonomi

Am 19. März sind Sie ein Jahr Bischof. Seitdem sagen Sie immer wieder «Uscire», an die Ränder gehen – wie Papst Franziskus. Sind Sie der Schweizer Franziskus?

Bischof Joseph Bonnemain: Es wäre eine Anmassung, wenn ich mich mit Franziskus vergleiche. Bevor Franziskus Papst wurde, war er schon 20 Jahre lang Bischof, er hat eine riesige Erfahrung. Ich bin ein Anfänger und nicht einmal ein Jahr Bischof. Ein Vergleich wäre völlig fehl am Platz. 

«Nur Lob schadet nur – dann stagnieren wir und bleiben in alten Mustern.»

Wie gehen Sie mit Kritik um?

Bonnemain: Ich vermute, dass niemand Kritik gernhat. Meine erste Reaktion auf Kritik ist vielleicht nicht gerade freundlich, aber ich versuche unmittelbar zu denken: Was kann ich daraus lernen? Der Mensch ist Beziehung, der Mensch ist Begegnung, und nur in der Begegnung und in Beziehung wachsen wir gegenseitig. Und ein Teil von Begegnung ist auch Kritik. Es ist gut, wenn die Kritik konstruktiv ist. Aber nur Lob schadet nur – dann stagnieren wir und bleiben in alten Mustern. 

Braucht es in unserer Welt den Glauben überhaupt noch?

Bonnemain: Es gäbe keine Welt ohne Glauben – wenn man richtig versteht, was Glaube ist. Glaube heisst: Suchende bleiben, eine Sehnsucht in uns tragen, die nie total gestillt werden kann. Wir gehen durch das Leben tastend, suchend, weil im Tiefsten unseres Herzens ein Durst nach einer Liebe ist, die uns nie übersättigt, die uns immer erfüllt. Eine Wahrheit, die keine Lügen enthält, eine Schönheit, die keine Disharmonie aufweist – das tragen wir in uns. Wo ist die Quelle? Wo kann man das erreichen? Diese Fülle ist Jesus Christus – und die Nachfolge von ihm. Der Glaube ist nicht ein Haufen von Vorschriften, von Lehrsätzen, von geschriebenen Büchern. Der Glaube ist eine lebendige Beziehung zu Jesus Christus, der die Quellen, das Ziel von all dem, was unser Herz sucht, darstellt. Und in diesem Sinne glaube ich: Man kann nicht leben ohne diese Sehnsucht. 

«Die Kirche ist nicht primär eine Institution, sondern eine lebendige Beziehung zu Jesus Christus.»

Ist Jesus für die Kirche nicht auch wie Roger Federer für Jura-Kaffeemaschinen? Marketing steht im Vordergrund – und im Hintergrund geht es um Geld, Politik, Einfluss?

Bonnemain: Erstens: Ich glaube, es wäre ein bisschen unfair zu behaupten, dass Roger Federer sich manipulieren oder instrumentalisieren lässt. Abgesehen davon: Die Kirche ist nicht primär eine Institution, sondern eine lebendige Beziehung zu Jesus Christus. Wenn wir das richtig verstehen, können wir nicht meinen, dass eine Institution Jesus ausnutzt für ihre Zwecke. Die Kirche sind wir beide oder wir beide und ein paar Milliarden mehr, die diese Sehnsucht lebendig in sich tragen. Und diese Sehnsucht in sich tragen und in der Beziehung zu Jesus die Erfüllung dieser Sehnsucht suchen und zum Teil finden. Also man muss diese schwerfällige Institution entkleiden, befreien und vereinfachen, ehrlicher, transparenter machen.

Kampagne auf Rädern: pro Konzernverantwortungsinitiative.
Kampagne auf Rädern: pro Konzernverantwortungsinitiative.

Was halten Sie von christlichem Einfluss in die säkulare Politik – zum Beispiel bei Initiativen wie der «Ehe für alle»? Oder wenn Parteien das «C» im Namen tragen?

Bonnemain: Parteien kann man nicht taufen. Man kann auch keine Objekte taufen – nur Personen kommen in Beziehung. Die Welt ist der Ort Gottes – hier können wir Gott begegnen. Es gibt nicht die Welt der Kirche und der Strasse: Wenn ich in die Kirche gehe, dann bin ich in Beziehung zu Gott und wenn ich auf die Strasse gehe, dann hat das mit Gott nichts zu tun. Die Strasse ist so sakral wie die grösste Kathedrale. Wir, unterwegs in der Nachfolge Christi, verändern und prägen die Welt. Aber das liegt in der Eigenverantwortung – durch das eigene Beispiel und Zeugnis. In diesem Sinne meine ich: Die Christen müssen die Politik, die Welt, die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Geschichte prägen – aber es ist nicht richtig, wenn wir als Institution programmatische Befehle geben. 

«Übertrieben gesprochen: Für einen Verein würde ich keine Sekunde meines Lebens einsetzen.»

Viele Menschen engagieren sich für ihre Nächsten – möchten aber nichts mit der Kirche zu tun haben.

Bonnemain: Weil sie meinen: Die Kirche ist eine Organisation, ein Verein. Ich sage ja auch, übertrieben gesprochen: Für einen Verein würde ich keine Sekunde meines Lebens einsetzen. Aber für eine Beziehung zu Christus, die dann als Quelle für mein Engagement für die Menschen in der Welt darstellt, das schon.

Der Kniefall von Chur: Bischof Joseph Maria Bonnemain bittet am 19. März 2021 das Volk um den Segen.
Der Kniefall von Chur: Bischof Joseph Maria Bonnemain bittet am 19. März 2021 das Volk um den Segen.

Die Kirchen werden immer leerer, es gibt einen Rückgang. Wie werten Sie das?

Bonnemain: Es ist eine Herausforderung und eine indirekte Kritik, um sich zu fragen: Haben wir zustande gebracht, auf Augenhöhe mit allen Menschen zu kommunizieren, dass die Botschaft Christi wirklich ankommt – oder müssen wir die Sprache, die Art, das Zeugnis anders gestalten? 

«Es gibt bessere Firmen als die Kirche, die Events organisieren können.»

Haben Sie schon neue Wege gefunden, wie die Kirche attraktiver werden kann? 

Bonnemain: Wirklich attraktiv ist nur Gott. Wir sollten versuchen, Mittel und Wege zu finden, dass die Menschen in Kontakt, in Beziehung mit ihm kommen. Und dann erobert Gott die Herzen. Wenn wir Events organisieren und PR-Aktionen machen, bleibt der Erfolg bescheiden oder kurzlebig. Es gibt bessere Firmen als die Kirche, die Events organisieren können. Wir brauchen nicht unbedingt Spektakel, Events, immer etwas Neues! Das absolut Neue ist Gott selbst! Und wenn die Beziehung, diese persönliche Beziehung zu ihm entsteht, dann entdeckt ein Mensch, wie erfüllend Gott ist. Es geht also darum, die Menschen zu ermutigen, die Beziehung zu Gott zu pflegen.

Das letzte Abendmahl mit Jesus: Transparent in der Via Stella in Mendrisio
Das letzte Abendmahl mit Jesus: Transparent in der Via Stella in Mendrisio

Kann es sein, dass Jesus schwul war?

Bonnemain: Je nachdem, was Sie unter schwul verstehen. Wenn Sie meinen: eine erotische oder sexuelle Beziehung zu einem Mann – das nicht. Und gleichzeitig meine ich, dass Christus gerade der Mensch ist, der gewagt hat, eine innige, tiefe, persönliche, affektive Beziehung mit allen Männern und mit allen Frauen zu führen. 

«Es geht nicht um die Institution, sondern um eine Beziehung.»

Wie wird man katholisch?

Bonnemain: Sicher nicht, indem man irgendwo sich eintragen lässt. Ich habe schon ein paarmal zur Sprache gebracht: Es geht nicht um die Institution, sondern um eine Beziehung. Man wird katholisch, indem man diese Beziehung zu Jesus Christus pflegt. Früher oder später merkt man: Eine gute Möglichkeit, diese Beziehung weiter zu pflegen und zu vertiefen, ist die katholische Kirche.


Bischof Joseph Maria Bonnemain | © Christian Merz
13. März 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!