Vreni Peterer ist Missbrauchsbetroffene aus dem Bistum St. Gallen - und Präsidentin der Interessengemeinschaft für missbrauchsbetroffene Menschen im kirchlichen Umfeld (IG MikU).
Story der Woche

Vreni Peterer: «Missbrauchsbetroffene wollen endlich Zeichen des Willens zu Veränderungen sehen»

Am 27. Mai wollen die Bischöfe in einem Mediengespräch über Massnahmen informieren, die sie seit letztem September in Sachen Missbrauch ergriffen haben. Mit dabei ist auch Vreni Peterer, selbst Missbrauchsopfer und Präsidentin der Interessengemeinschaft für Missbrauchs betroffene Menschen im kirchlichen Umfeld (IG MikU). Gegenüber kath.ch sagt sie, was sie sich von der Veranstaltung erhofft.

Wolfgang Holz

Frau Peterer, hatten Sie, beziehungsweise die Betroffenenorganisationen, die Idee solch ein Treffen zu veranstalten?

Vreni Peterer*: Nein, von uns kam die Idee nicht. Wir wurden – wie die Medien – dazu eingeladen. Ich fand die Idee sofort gut.

«Kommunikation und eine Standortbestimmung aus erster Hand schaden nie.»

Wie wichtig erachten Sie diese Begegnung?

Peterer: Als sehr wichtig. Kommunikation und eine Standortbestimmung aus erster Hand schaden nie.

Was erhoffen Sie sich davon?

Peterer: Dass den Medien und damit der Öffentlichkeit ein zeitlicher und verbindlicher Fahrplan gegeben wird, bis wann zum Beispiel die unabhängige Anlaufstelle realisiert wird.

«Wie soll da eine Aufarbeitung beziehungsweise nur schon ein Hauch von Heilung stattfinden können?»

Wie blicken Sie auf die vergangenen Monate der Missbrauchsaufklärung und Prävention in der katholischen Kirche Schweiz?

Peterer: Mit sehr gemischten Gefühlen und dem Eindruck, mal geht es zwei kleine Schritte vorwärts, und dann wieder einen Schritt zurück. Betroffene wollen endlich sichtbare Zeichen des wirklichen Willens zu Veränderungen sehen. Solange Betroffene nach wie vor erleben müssen, dass ihre Peiniger weiterhin oder wieder in der Kirche wirken dürfen, bleibt die Kirche unglaubwürdig. Wie soll da eine Aufarbeitung beziehungsweise nur schon ein Hauch von Heilung stattfinden können?

Vreni Peterer und Stefan Loppacher
Vreni Peterer und Stefan Loppacher

Was läuft bereits gut? Was weniger gut? Wo braucht es noch mehr Bemühungen?

Peterer: Bei der Begleitung und Unterstützung von Betroffenen. Betroffene müssen transparent in die Verfahrensprozesse miteinbezogen bzw. über jeden Schritt informiert werden. Sie haben ein Anrecht darauf.

Was denken Sie, werden die häufigsten Fragen der Medienschaffende beim Werkstattgespräch an Sie sein?

Peterer: Ob wir zufrieden sind mit dem, was seit dem 12. September 2023 gelaufen ist. Und: wie viele Betroffene sich seit dem 12. September des letzten Jahres bei uns gemeldet haben.

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Wie viel mehr Anfragen haben Sie seit Veröffentlichung der Missbrauchsstudie von Betroffenen erhalten?

Peterer: Ich werde den Medien am Werkstattgespräch einige Zahlen bekanntgeben.

*Das Interview wurde schriftlich geführt.

Missbrauchsskandal und Konsequenzen

Seit acht Monaten befindet sich die katholische Kirche in der Schweiz in der Krise. Am 12. September 2023 veröffentlichte die Uni Zürich eine Studie, die über 1000 Missbrauchsfälle ans Licht brachte. Die Historikerinnen Monika Dommann (58) und Marietta Meier (58) sprachen von einer «Spitze des Eisbergs». Eine weitere Studie soll das ganze Ausmass der sexuellen Übergriffe beleuchten. Im Vatikan ist eine Untersuchung gegen sechs Schweizer Bischöfe wegen Vertuschung ein Thema.

52 Opfer haben seit Oktober letzten Jahres einen Antrag auf Entschädigung gestellt. Die Betroffenen erhalten einen Betrag zwischen 10’000 und 20’000 Franken. Es zeichnet sich inzwischen ab, dass der Genugtuungsfonds der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) mehr Geld für die Entschädigung der Opfer braucht. Die Katholische Kirche im Kanton Luzern hat jüngst eine Reserve für die Kostenfolgen angelegt, welche die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle nach sich zieht.

Bischof Joseph Bonnemain an der Pressekonferenz  über die Missbrauchsstudie
Bischof Joseph Bonnemain an der Pressekonferenz über die Missbrauchsstudie

Bis Ende 2024 sollte eine nationale Meldestelle für Missbrauchsbetroffene eingerichtet werden. Das sagte Bischof Joseph Maria Bonnemain am 12. September zu. Inzwischen ist klar: Es könnte zu Verzögerungen kommen – nicht zuletzt aufgrund einer dünnen Personaldecke. An der Vollversammlung der Betroffenenorganisation IG Missbrauch im März wollte sich der Churer Bischof auf keinen genauen Zeitpunkt festlegen.

Aufsehen erregten einige Kirchgemeinden, die angesichts massiver Kirchenaustritte nach Bekanntwerden der Missbrauchsstudie im letzten Jahr beschlossen hatten, Teile der Kirchensteuerbeträge ans Bistum Basel zurückzubehalten – aus Protest und als Massnahme zur Missbrauchsbekämpfung.

Die Kathedrale St. Ursen in Solothurn
Die Kathedrale St. Ursen in Solothurn

Insbesondere die Synode der Römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern hatte Anfang November beschlossen, mit der Finanzkeule zu drohen. Konkret ist ein Anteil der Luzerner Kirchensteuer ans Bistum zurückbehalten worden, und diesen Herbst wird nun von der Synode entschieden, ob der Bistumsbeitrag nun ausbezahlt wird oder nicht.

Das Kirchenparlament votierte zudem für eine Reihe von Forderungen im Zusammenhang mit der Aufarbeitung von Missbrauch an das Bistum Basel und will deren Umsetzung regelmässig durch eine Sonderkommission prüfen lassen. (woz)


Vreni Peterer ist Missbrauchsbetroffene aus dem Bistum St. Gallen – und Präsidentin der Interessengemeinschaft für missbrauchsbetroffene Menschen im kirchlichen Umfeld (IG MikU). | © Sandra Leis
24. Mai 2024 | 06:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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