Von Avalon bis Eden: Gärten in der europäischen Religionsgeschichte

Gärten sind auch religiöse Räume. Je nach Gestaltung dienen sie als Ort der Einkehr, der Transzendenzerfahrung oder führen die Ordnung der Welt vor Augen. Auch als Ort der religiösen Wissensvermittlung und des Austauschs können Gärten dienen, wie etwa der kürzlich eingeweihte «Religionsgarten» in Aarburg zeigt.

Natalie Fritz

Nicht nur Kirchen oder Tempel sind religiöse Räume, auch der Garten als spezifisch gestaltete «Landschaft» kann ein religiöser Raum sein. Religiöse Räume machen Weltbilder spür- und erlebbar, sie sind meist multisensorisch angelegt, bieten Hirn, Herz, Nase, Ohr und Tastsinn Anregung. Gartenanlagen im religiösen Kontext bieten ebendies.

Kreuzgang mit zentralem Brunnen in Santa Chiara, Neapel.
Kreuzgang mit zentralem Brunnen in Santa Chiara, Neapel.

Einerseits können entsprechend angelegte Gärten die meditative Kontemplation fördern oder durch harmonische Gestaltung eine Transzendenzerfahrung zu ermöglichen. Das regelmässige Hacken im Beet verbindet sich mit dem Summen der Bienen, mit den Sonnenstrahlen auf der Haut und dem Duft der Rosen zu einem Glücksmoment. Erhebend, für einen Moment eins mit dem Rest der Welt, unabhängig von Raum und Zeit… Andererseits vermitteln Gärten im religiösen Kontext häufig auch ein bestimmtes Weltbild, das seinerseits mit entsprechenden Normen und Werten verbunden wird. Hierarchien werden inszeniert, Gut und Böse definiert.

Geordnete Natur vs Chaos

Garten vor dem Palast von Darius I. von Persien (virtuelle Darstellung von Charles Chipiez)
Garten vor dem Palast von Darius I. von Persien (virtuelle Darstellung von Charles Chipiez)

Religionsgeschichtlich lässt sich eine Entwicklung hin zu einer immer umfassenderen Beherrschung der Umwelt festhalten. Heute muss man «Natur» sogar vor Eingriffen schützen, damit sie nicht auch durch kulturelle Techniken geformt wird. Auch religiöse Gartengestaltung «zähmt» die Natur und ordnet dadurch die Welt nach bestimmten Mustern.

Einerseits repräsentieren solche Gärten bestehende Hierarchien und Strukturen, andererseits inszenieren sie zumeist einen idealen Ort, der durch ein regelgetreues Leben – vielleicht erst in einer jenseitigen Existenz – erreicht werden kann.

Grab von Hafez (Hāfezieh) in Shiraz, Iran, 1452 (Neubau 1935).
Grab von Hafez (Hāfezieh) in Shiraz, Iran, 1452 (Neubau 1935).

Das inszenierte Welt-Ideal im Garten kontrastiert das Chaos des Alltags, die geregelte Natur des Gartens steht den unkontrollierbaren Naturkräften gegenüber. Die Gartenbesucherinnen können dadurch die Orientierungsleistung von spezifischen Glaubenssätzen und -praktiken am eigenen Leib nachvollziehen, das Heil steht in konkretem Bezug zu einer bestimmten Weltsicht. Die Begehbarkeit eines Gartens ermöglicht es, komplexe theologische Konzepte auf emotionaler Ebene wirksam zu machen. So lassen sich etwa am stetigen Werden und Vergehen Jenseitsvorstellungen illustrieren.

Gärten als Zeichen weltlicher und geistlicher Macht

Gartendarstellung aus dem Grab von Nebamun, urspr. in Theben, Ägypten, um 1380 v.Ch.
Gartendarstellung aus dem Grab von Nebamun, urspr. in Theben, Ägypten, um 1380 v.Ch.

Mesopotamien und Ägypten wurden rund um Tempel und Grabanlagen grosse Gärten angelegt, weil für viele religiöse Zeremonien Blumen- oder Speiseopfer zentral waren. Indem man die Gärten mit üppigen Blumen- und Gemüsebeeten sowie Obstbäumen ausstatte, war der Transport der Opfergaben zu den Tempeln und Gräbern relativ kurz.

Wie in allen Gartenanlagen aus dem Nahen und Mittleren Osten kommt dem Wasser eine zentrale Rolle zu. Wasser als Symbol des Lebens und der Fruchtbarkeit leitete man in Kanälen in die Gärten und fasste es dort in Teichen oder Brunnen.

Gartenanlage mit Grab des Mogul Babur, Kabul, Afghanistan.
Gartenanlage mit Grab des Mogul Babur, Kabul, Afghanistan.

Die sagenhaften Hängenden Gärten von Babylon – unabhängig davon, ob und wo genau sie existiert haben oder nicht – zeigen die Bedeutung von Gartenanlagen in diesen trockenen Gegenden.

«Die schwebenden Gärten von Babylon», in Humphrey Prideaux: Alt- und Neues Testament, 1726.
«Die schwebenden Gärten von Babylon», in Humphrey Prideaux: Alt- und Neues Testament, 1726.

Sie sind Prestigeobjekte und spiegeln die Macht der herrschenden Kaste, die die Mittel hatte, teure Bewässerungssysteme und Gartenpflege zu bezahlen. Als Gartenbesitzer sind sie sodann auch «Schöpfer» – ein Gedanke, der auch in Bezug auf Paradiesgärten bedeutsam ist. Im Alten Testament wird Gott nämlich unter anderem als Gartenbesitzer bezeichnet.

Das umzäunte Paradies

Paradiesgärten nach altorientalischem Muster zeigen die Welt, wie sie zu der Zeit geografisch aufgefasst wurde. Ursprungs- und Endpunkt einer jeden Anlage war ein Brunnen oder Tempel, der von Wasser umgeben war. Dadurch verwies man auf den Anfang aller Schöpfung, auf ein Ideal, das vielleicht irgendwann in der Zukunft wieder erreicht werden konnte.

Der Garten Eden und der Sündenfall, Jan Brueghel der Ältere und Peter Paul Rubens, um 1615, Mauritshuis, Den Haag.
Der Garten Eden und der Sündenfall, Jan Brueghel der Ältere und Peter Paul Rubens, um 1615, Mauritshuis, Den Haag.

Meist waren diese Gärten umfriedet Das ist insofern nicht verwunderlich, als dass das Wort Paradies aus dem Altpersischen kommt und so viel wie «Gehege» bedeutet. In der persischen Gartentradition finden sich häufig abgeschlossene innere Gärten, die von äusseren Gärten gesäumt werden. Die inneren Anlagen stehen dabei für das Häuslich-Private, die äusseren Gärten für die Welt.

Ebstorfer Weltkarte (Nachbildung), um 1300.
Ebstorfer Weltkarte (Nachbildung), um 1300.

Auch im Hebräischen bedeutet Garten Eden «umzäuntes Eden». Dieser Garten Eden aus dem ersten Buch Mose ist die wohl bedeutendste Gartenvision der jüdisch-christlichen Welt (Gen 2,8). Gott pflanzte laut Altem Testament einen Garten in Eden. Wo genau Eden ist, darüber streiten sich die Expertinnen und Experten bis heute.

In der Paradies-Erzählung aus dem Alten Testament wird deutlich, dass der umfriedete Garten eine Utopie darstellt, die der tatsächlichen Welt entgegengesetzt wird. Das Paradies ist vollkommen und schön, entsprechend sollen Gärten, die sich die Vorstellung zum Vorbild nehmen die Schönheit des Paradieses und somit des Heils inszenieren.

Garten oder unberührte Landschaft

Im Koran wird das Paradies ebenfalls als wunderschöne Landschaft aufgefasst, in der Milch und Honig fliessen und wo das Gute beheimatet ist. Einen Garten anzulegen, ist insofern auch eine gute Tat, weil man damit nicht nur das Schöne und Richtige fördert, sondern durch die Nutzung eines Gartens auch dem individuellen Heil näherkommt, weil man sich erfreuen und von der Ernte profitieren kann.

Arkadien, Károly Markó der Ältere, um 1830, Ungarische Nationalgalerie.
Arkadien, Károly Markó der Ältere, um 1830, Ungarische Nationalgalerie.

Paradiesgärten sind immer Kontrastorte, sie zeigen eine Gegenwelt. Solche Gegenwelten müssen jedoch nicht zwingend von Menschenhand gestaltet sein wie etwa die Inseln Elysion oder Avalon oder auch Arkadien zeigen. Diese Orte sind abgelegen und mythisch und längst nicht jede oder jeder findet den Zugang zu ihnen. An diesen Orten leben Menschen harmonisch in einer vollkommenen Natur.

Klostergärten und Marienikonografie

Die praktische, christliche Gartenkultur ist im Mittelalter vor allem im Bereich der Klöster angesiedelt. Mönche und Nonnen bewirtschafteten nicht nur Nutzgärten für die Nahrungsmittelversorgung, sondern legten häufig auch Arzneigärten an.

Kreuzgang mit zentralem Brunnen in Santa Chiara, Neapel.
Kreuzgang mit zentralem Brunnen in Santa Chiara, Neapel.

Die Kreuzganggärten in den Klöstern entsprachen den altorientalischen Mustern und waren um einen zentralen Brunnen oder Teich angelegt. Je nachdem wie die Kosmologie in der Anlage umgesetzt wurde, pflanzte man in den einzelnen Bereichen Gewächse an, die aus den entsprechenden Gebieten stammen. Solche Kreuzganggärten dienten in erster Linie der Kontemplation und nur in zweiter Linie der Versorgung.

Ikonografisch werden im Mittelalter vor allem Inszenierungen von Maria im Paradiesgarten wichtig. Dieser abgeschlossene Garten steht für ihre Jungfräulichkeit, die zusätzlich durch Lilien – Marienblume und ebenfalls Symbol für Jungfräulichkeit – unterstrichen wird.

Ein Ort des Friedens

Die Idee des Gartens als eines harmonischen Ortes, eines Ortes des Friedens macht insofern durchaus Sinn. Verschiedene Gartenprojekte wie etwa der 2011 gegründete «Garten der Religionen» in Köln, der seit 2015 bestehende «Garten der Religionen» in Karlsruhe oder der im Mai dieses Jahres eingeweihte «Religionsgarten» in Aarburg sollen zu Orten des interreligiösen Austauschs und der Kulturvermittlung werden.

Screesnshot Homepage «Religionsgarten» Arburg.
Screesnshot Homepage «Religionsgarten» Arburg.

Im Aarburger Religionsgarten etwa, sind Gewächse angepflanzt, die in der Tora, der Bibel und dem Koran vorkommen. Die Idee ist, dass man vor Ort die religiösen Traditionen kennenlernt und durch freiwilliges Mitarbeiten auch in Kontakt mit Menschen aus anderen Kontexten kommt. Quasi ein multikultureller Schrebergarten ohne Parzelleneinteilung; denn diese können durchaus für Unruhe im Garten Eden sorgen, wie Mano Khalils wunderbarer Dokumentarfilm «Unser Garten Eden» beweist….


Kräutergarten beim Dom Odense, DK. | © Wikimedia Commons/Helge Klaus Rieder, CC0 1.0
22. Juli 2023 | 07:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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