Christoph Sigrist und Irene Gassmann
Schweiz

Pedro Lenz und Priorin Irene Gassmann disputieren über Heilige und Scheinheilige

22.11.17 (kath.ch) Im Rahmen der ökumenischen Brückenschläge zum Reformationsjubiläum hat am Montag im Kulturhaus Helferei in Zürich die zweite Disputation stattgefunden. Unter dem Titel «Heilige, Sünder, Scheinheilige» diskutierten Irene Gassmann, Priorin des Klosters Fahr, der Schriftsteller Pedro Lenz und der Publizist Peter Rothenbühler und gaben launig Auskunft über ihr Glaubensleben.

Vera Rüttimann

Sie hängen als Bilder in Kirchen, ruhen als Reliquien in alten staubigen Truhen oder prangen als Street-Art-Motiv an den Wänden in Szenevierteln der Städte: Heilige. Die Disputation in der Helferei, die von Grossmünster-Pfarrer Christoph Sigrist in gewohnt humoriger Art moderiert wurde, befasste sich mit Heiligen, solchen, die es dereinst werden könnten, und «Unheiligen» an. Im Raum standen Fragen wie: Alles nur Relikte dunkler Vergangenheit, oder haben ‘Heilige’ als Vorbilder heute noch etwas zu sagen? Und: Wie gehen Reformierte mit dem Heiligen-Kult um?

Fetisch, Aberglaube und Stigmata

        

Christoph Sigrist wollte gleich zu Beginn wissen: «Mit welchen Heiligen haben Sie am meisten Mühe?»  Für Irene Gassmann eine eher unheilige Frage. Die Priorin des Kloster Fahr sagte: «Für mich sind Heilige meine Freunde und Freundinnen, mit denen ich eine tiefe Verbindung lebe.» Schriftsteller Pedro Lenz schlug in eine andere Kerbe: «Als Kind fand ich den heiligen Martin gut, der seinen schönen Mantel elegant mit dem Schwert teilte und die Hälfte einem Bettler gab. Später fragte ich: Heiliger Martin, du hättest doch den ganzen Mantel geben können?»

Für mich sind Heilige meine Freunde und Freundinnen, mit denen ich eine tiefe Verbindung lebe.

Dem bekannten Publizisten Peter Rothenbühler ist die Heiligsprechung von Padre Pio ein Dorn im Auge: «Mit Stigmata und Reliquien, die von vielen leichtgläubigen Leuten wie ein Fetisch verehrt werden, habe ich Mühe», sagte der Sohn eines reformierten Pfarrers. Die grosse kulturelle Leistung der Reformation ist für ihn gerade der Umstand, dass «eine Reliquie nur auf den Heiligen verweist, er aber in Wirklichkeit darin nicht ist». Einig war er sich mit allen Diskutanten, dass sich in vielen Heiligenfiguren auch das Dunkle im Menschen spiegelt: Das Schwache, Feige und Mutlose.

Christoph Sigrist und Irene Gassmann | © Vera Rüttimann

Die Geringschätzungen eines Heiligen wie Padre Pio rief Irene Gassmann auf den Plan. Sie warf ein: «Ich kenne viele Menschen, denen der Heilige hilft, ihr Leben besser durchzustehen oder eine Krankheit anzunehmen.» Sie sei keine Wundersüchtige, aber sie glaube, dass es durchaus Wunder gebe. Dinge, die sich rational nicht erklären lassen.

Auch Pedro Lenz, der durch seinen Roman «Der Goalie bin ig» grosse Bekanntheit erlangte, sprach über seine Erfahrung mit alten Knochen, denen Verehrung zuteil wird: «In dem Moment, wo ich eine schöne Kirche betrete und weiss, dass sich hier eine Reliquie befindet, möchte ich glauben, dass das echt ist. Manchmal auch gegen alle Wahrscheinlichkeit.»

Süssliche Düfte, rote Lämpchen

Peter Rothenbüher teilt den Reliquienglauben nicht, schätzt aber das Sinnliche der katholischen Welt. Sein Vater habe sich immer über die nüchterne reformierte Architektur beklagt. «In den Ferien hat er uns immer in die romanischen Kirchen in Frankreich entführt. Der süssliche Geruch darin, das rote Lämpchen im Altarraum und die Bilder von Heiligen darin, ein Genuss.» Da sei ihm als Reformierter oftmals ein Frust überkommen, dass man alles abgeschafft habe. Gerade in der heutigen Zeit, wo man so stark vom Bild und der Inszenierung her lebe, so der Publizist, habe die katholische Kirche einen grossen Vorteil. «Gerade Gott, der etwas so Abstraktes ist, ist besser zu verstehen, wenn Bilder vorhanden sind.»

Das nicht rational Fassbare und Geheimnisvolle, fasziniert mich jedoch genauso.

Als Kind von katholischen Eltern, aufgewachsen in reformierter Diaspora im Kanton Bern und verheiratet mit einer Frau reformierten Glaubens, lebt Pedro Lenz genau im Spannungsfeld zwischen reformierter und katholischer Glaubenswelt. Er fühle sich, sagte der Literaturstar, beiden Welten verbunden. Pedro Lenz führte aus: «Der Reformation ist hoch anzurechnen, dass sie nicht das Bild, sondern die Schrift ins Zentrum stellte. Das andere jedoch, das nicht rational Fassbare und Geheimnisvolle, fasziniert mich jedoch genauso.» Fasziniert sei er zudem vom Heiligen Ignatius. Seine Form der Exerzitien sei eine Methode, die ihm immer wieder bei der Vertiefung von Gedanken helfe und ihm das Schreiben erleichtere.

Pedro Lenz, der säkulare Heilige

Nicht wenige Besucher der Veranstaltung, so Moderator Christoph Sigrist, seien wohl wegen Pedro Lenz in die Helferei gekommen. Er fragte Lenz, wie er, den Sigrist keck als «Fetisch der säkularen Heiligenverehrung der Literaturfans» bezeichnete, mit der Verehrung seines Publikums umgehe. «Es ist eine Belastung, auch eine Verantwortung den Lesern gegenüber. Ich versuche demütig zu bleiben», antwortete der. Manchmal höre er junge Leute sagen: «Hey, sei still, du Opfer!» Dieses Wort irritiere ihn, treibe ihn seitdem regelrecht um.

Pedro Lenz | © Vera Rüttimann

Hingabe, nicht Opfer

Auf dem Podium kam die Frage auf: Hat der Opfergedanke etwas zu tun mit Heiligenverehrung? An dieser Stelle wurde die Diskussion launig und wogte hin und her. Pedro Lenz: «Ich weiss nicht, ob ich mich für die Kunst opfere, aber ich könnte den lieben langen Tag lang auftreten.» – Peter Rothenbühler: «Du bist doch kein Opfer, bei deinem Erfolg mit deinen Büchern!» – Pedro Lenz: «Aber ich kann mich nicht mehr frei bewegen. Nicht mal beim Gang auf die Toilette!» – Peter Rothenbühler: «Ich kenne Prominente, die beleidigt sind, wenn man sie nicht mehr beachtet.»

Aber ich kann mich nicht mehr frei bewegen. Nicht mal beim Gang auf die Toilette!

Irene Gassmann kam hier der besinnliche Part zu. Die Priorin bekundete Mühe mit dem Begriff «Opfer». «Ich verbinde dieses Wort mit Leistung. Ich plädiere eher für das Wort ‘Hingabe’. Wer sich für eine Aufgabe hingibt, tut dies mit innerer Freiheit», betonte die Benediktinerin. Gott habe den Menschen doch erschaffen, um ein Leben in Fülle zu leben. Das hat für Irene Gassmann mit Hingabe zu tun, nicht mit Opfer.

Moderne Heilige

Für Irene Gassmann können Heilige auch im Alltag zu finden sein. «Menschen, die durch ihre Gaben und Charismen diese Welt eine wenig schöner und heller machen. Das ist heute wichtiger denn je», betonte sie. Peter Rothenbühler hingegen sieht in Papst Franziskus einen modernen Heiligen. «In seinem ganzen Wirken ist er auf dem Weg, vom Vatikan dereinst heiliggesprochen zu werden.»

Peter Rothenbühler | © Vera Rüttimann

Zu den modernen Heiligen gehören für den Kolumnisten jedoch auch die Unzähligen, die für den Glauben gestorben sind. Auch solche, die noch vor nicht langer Zeit wegen ihren Positionen als Ketzer von der katholischen Kirche an den Pranger gestellt wurden, wie etwa Hans Küng. Peter Rothenbühler: «Dieser Mann könnte heute als Kardinal in Rom sitzen und sich in einem Mercedes herum chauffieren lassen. Aber er hat einen anderen Weg gewählt und hat Bücher geschrieben, die mir in meinem Leben sehr geholfen haben.»

Christoph Sigrist und Irene Gassmann | © Vera Rüttimann
22. November 2017 | 14:12
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