Der Kardinal von Stockholm, Anders Arborelius, Ende August in Rom.
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Vom Tessin nach Stockholm: Warum Kardinal Anders Arborelius sorgenvoll auf den Synodalen Weg blickt

Der Kardinal von Stockholm, Anders Arborelius (73), zählt zu den moderaten Kritikern des Synodalen Wegs in Deutschland. Er wurde in Sorengo bei Lugano geboren. Ein Gespräch über den synodalen Prozess, das gefährdete Volk der Samen – und den NATO-Beitritt Schwedens. 

Raphael Rauch

Eminenz, warum sprechen Sie so gut Deutsch?

Kardinal Anders Arborelius*: Ich wurde 1949 geboren. Von meiner Generation wurde erwartet, sehr gut Deutsch zu sprechen. Wir hatten von früh an Deutsch in der Schule. Leider lässt das Interesse an der deutschen Sprache nach. Die Jungen lernen lieber Spanisch oder Französisch.

«Wir haben immer wieder Ferien im Tessin verbracht.»

Wie kommt es, dass Sie in Sorengo bei Lugano geboren wurden?

Arborelius: Das war purer Zufall. Meine Eltern sind beide Schweden, aber durch die Umstände kam ich in Lugano auf die Welt. Ich habe leider keine Erinnerungen an diese Zeit. Später haben wir immer wieder Ferien im Tessin verbracht. Ich habe noch Verwandte in der Schweiz.

Charlotte Kreuter-Kirchhof
Charlotte Kreuter-Kirchhof

Sie waren in den letzten Tagen in Rom und haben sich über den Synodalen Weg in Deutschland informiert. Konnte sie Charlotte Kreuter-Kirchhof überzeugen? Die Juristin hat in ihrem Vortrag betont: «Der Synodale Weg steht im Einklang mit dem Kirchenrecht.»

Arborelius: Es ist noch zu früh, diese Frage zu beantworten.

«Ich mache mir Sorgen, weil die Debatte nun so kontrovers geführt wird.»

Trotzdem sehen Sie den Synodalen Weg kritisch. Warum?

Arborelius: Synodalität heisst für mich, einander ernsthaft zuzuhören und aufeinander zuzugehen. Das bedeutet, keine extremen Standpunkte einzunehmen. Ansonsten droht eine starke Polarisierung. Ich teile viele Anliegen des Synodalen Wegs – aber ich mache mir Sorgen, weil die Debatte nun so kontrovers geführt wird.

Synodaler Prozess: Papst Franziskus will zuhören.
Synodaler Prozess: Papst Franziskus will zuhören.

Was bedeutet für Sie Synodalität?

Arborelius: Papst Franziskus geht es auch um das Thema Partizipation. Ohne Partizipation würde unser Gemeindeleben in Schweden zusammenbrechen. Wir haben in Schweden etwa 600 Katechetinnen und Katecheten, die sich ehrenamtlich engagieren.

«Migrantinnen und Migranten haben weniger Verständnis für radikale Reformen.»

Wie gestalten Sie den synodalen Prozess in Schweden?

Arborelius: Wir haben ihn im Kleinen begonnen – ganz demütig. Auffallend war, dass die Einwandergruppen andere Erwartungen an die katholische Kirche haben als Alteingesessene. Migrantinnen und Migranten haben weniger Verständnis für radikale Reformen.

Kardinal Anders Arborelius, Bischof von Stockholm, am 28. Juni 2017 im Petersdom im Vatikan.
Kardinal Anders Arborelius, Bischof von Stockholm, am 28. Juni 2017 im Petersdom im Vatikan.

Beim synodalen Prozess geht es auch um die Frage von Macht und Gewaltenteilung. Wären Sie bereit, als Kardinal Macht abzugeben?

Arborelius: Selbstverständlich! Wobei ich nicht weiss, ob ich als Kardinal überhaupt mächtig bin. Schweden ist ein säkularisiertes Land. Ich bin auf meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen und wir haben hier nur bescheidene Ressourcen. Wir müssen einen guten Dialog zu den anderen Kirchen pflegen. Macht- und Gewaltenteilung passen sehr gut zur schwedischen Mentalität. Schweden ist keine hierarchische Gesellschaft. Von daher bin ich schon jetzt als Bischof und Kardinal bemüht, auf andere zu hören und sie einzubinden.

«Im Gegensatz zur lutherischen Kirche ist unsere Kirche am Wachsen.»

Wie kann ich mir die katholische Kirche in Schweden vorstellen?

Arborelius: Seit der Reformation sind wir Katholikinnen und Katholiken in Schweden in der Minderheit. Das prägt unsere Kirche. Die meisten unserer Kirchenmitglieder haben einen Migrationshintergrund und stammen etwa aus Ost- und Südeuropa, Lateinamerika, dem Nahen Osten und Afrika. Das hat auch Vorteile: Im Gegensatz zur lutherischen Kirche ist unsere Kirche am Wachsen. 

Selfie mit dem Kardinal: kath.ch-Redaktionsleiter Raphael Rauch und Kardinal Anders Arborelius Ende August in Rom.
Selfie mit dem Kardinal: kath.ch-Redaktionsleiter Raphael Rauch und Kardinal Anders Arborelius Ende August in Rom.

In der Schweiz kennt man vom schwedischen Brauchtum vor allem die Mittsommernacht. Gibt es andere Beispiele für Inkulturation?

Arborelius: Die Adventszeit ist für die lutherische Kirche sehr, sehr wichtig und damit auch für uns. Die Fenster sind voller Kerzen. Das Lucia-Fest wird gross gefeiert. Interessanterweise sind die grössten Fans unseres Brauchtums die Migrantinnen und Migranten. Sie sind von der Heiligen Lucia begeistert. Ich nehme die nordischen Länder als sehr naturverbunden war. Das spiegelt sich auch in einem starken ökologischen Bewusstsein wider.

Ein Chormädchen ist als schwedische Lichterkönigin Lucia mit Lichterkranz verkleidet.
Ein Chormädchen ist als schwedische Lichterkönigin Lucia mit Lichterkranz verkleidet.

Papst Franziskus setzt sich in «Laudato si’» und in «Querida Amazonia» für die Rechte der Indigenen ein. Was bedeutet das für das Volk der Samen?

Arborelius: Vieles, was Papst Franziskus mit Blick auf die Amazonas-Region schreibt, können wir auch auf unsere Verhältnisse übertragen. Die Samen sind beinahe Opfer eines kulturellen Genozids geworden. Die schlimmen Konsequenzen angeblicher kulturellen Überlegenheit hat Papst Franziskus auf seiner Kanada-Reise kürzlich angeprangert. Die Samen geniessen zwar einen besonderen Schutz. Trotzdem ist ihre gesellschaftliche Stellung sehr schwach. Es kommt immer wieder zu Konflikten, wenn die Samen mit ihren Rentieren aufkreuzen. Zum Teil suchen Konzerne Metalle und andere Rohstoffe und wollen die Samen vertreiben. Das sorgt für zusätzliche Spannungen.

Vertreterinnen und Vertreter der Samen.
Vertreterinnen und Vertreter der Samen.

Was tun Sie für die Samen?

Arborelius: Es ist meine Verpflichtung als Christ, mich für die Rechte aller Menschen einzusetzen. Die lutherische Kirche hat einen Versöhnungsprozess mit den Samen aufgegleist. Das begrüsse ich sehr.

Papst Franziskus (r.) und Munib Younan, Präsident des Lutherischen Weltbunds, in der Kathedrale Lund
Papst Franziskus (r.) und Munib Younan, Präsident des Lutherischen Weltbunds, in der Kathedrale Lund

Was schätzen Sie am meisten an Papst Franziskus?

Arborelius: Seine Demut, seine Bescheidenheit, seine Liebe zu den Armen. Franziskus hat eine charismatische Haltung. In unserer Zeit, in der viele in den Kategorien von «höher, schneller, weiter» denken, sind Franziskus’ Demut und Bescheidenheit ein Lichtblick.

«In Schweden haben vor allem Akademikerinnen und Akademiker Interesse an der katholischen Kirche.»

Was bedeutet für Sie Franziskus’ Wunsch nach einer missionarischen Kirche?

Arborelius: Es geht darum, als katholische Kirche evangelisch zu werden, also das Evangelium ins Zentrum zu rücken. Niemand braucht eine Kirche, die sich nur mit sich selbst beschäftigt. In Schweden haben vor allem Akademikerinnen und Akademiker Interesse an der katholischen Kirche. Auch darauf müssen wir reagieren.

Kardinal Anders Arborelius ist Bischof von Stockholm.
Kardinal Anders Arborelius ist Bischof von Stockholm.

Und wie genau?

Arborelius: Wir dürfen uns nicht abschotten, sondern müssen Antworten auf die Fragen der Zeit geben. Wir sollten uns stärker mit der zeitgenössischen Literatur auseinandersetzen. Und wir sollten über spirituelle Fragen in Zeitungen publizieren. Kaum einer interessiert sich für katholische Kernthemen wie die Sakramentenlehre. Aber Fragen wie «Was ist katholische Spiritualität?» oder «Was heisst katholische Soziallehre?» stossen auf Interesse.

«Wir dürfen nicht in ein Wettrüsten verfallen.»

Als Antwort auf den russischen Angriffskrieg haben Schweden und Finnland einen Beitritt zur NATO beschlossen. Wie finden Sie das?

Arborelius: Als Christ bin ich Pazifist. Aber selbstverständlich begrüsse ich den Entschluss. Putins Krieg zeigt, dass wir leider ohne Waffen und ohne eine starke Verteidigung aufgeschmissen sind. Von daher ist es nur konsequent, dass wir der NATO beitreten. Wichtig ist mir, was auch Papst Franziskus stets betont: Wir dürfen nicht in ein Wettrüsten verfallen. Denn davon profitieren nicht die Menschen, sondern nur die Rüstungsindustrie.

* Kardinal Anders Arborelius (73) ist Bischof von Stockholm. Im Alter von 20 Jahren konvertierte er von der lutherischen zur katholischen Kirche. Seit 1998 ist er Bischof von Stockholm. Von 2005 bis 2015 war Arborelius Vorsitzender der Nordischen Bischofskonferenz. Seit 2017 ist er Kardinal.


Der Kardinal von Stockholm, Anders Arborelius, Ende August in Rom. | © Raphael Rauch
9. Oktober 2022 | 10:00
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