Klaus Gärtner in seinem Garten in Kalifornien.
Porträt

Vom katholischen Nest in die grosse Welt: Die Erfolgsgeschichte des Klaus Gärtner

Jeder kennt sie: die Keypads an Hotelsafes. Erfunden hat sie Klaus Gärtner – und wurde damit reich. In Los Angeles erzählt er von seinen Streichen als Ministrant, seinen Besuchen in der Schweiz und seinem Bruder Willie, der einen Deal mit Gott machte: Wenn Klaus auf den rechten Pfad komme, würde er Priester werden.

Annalena Müller

Von der Terrasse sieht man auf das strahlende Blau des Pazifiks, der sich unter den Klippen ins Unendliche zu erstrecken scheint. Bei Sonnenuntergang erlebt man eine Farbenpracht, die unwirklich scheint. Los Angeles ist hier nicht hektisch, laut und dreckig, sondern ruhig und paradiesisch. Es ist das Zuhause von Klaus Gärtner (87). Ein Mann, der aus einem kleinen katholischen Dorf in die Weltmetropole geschafft hat. Der Schlüssel dorthin: Die Erfindung elektronischer Schlösser, die weltweit das mechanische Kombinationsschloss an Tresoren abgelöst haben.

Katholische Kindheit

Klaus Gärtner wird 1936 in Deutschland geboren. Hitler ist an der Macht, die Olympischen Spiele finden in Berlin statt. Der Zweite Weltkrieg steht vor der Tür. Den Krieg wird der Junge zusammen mit seinem Bruder in einem Dorf verbringen, das fernab der vom Krieg verheerten Städte liegt.

Das kleine hessische Dorf Weiperz ist katholisch, hat ein paar hundert Einwohner und ist schon für den Knaben Klaus zu eng. Er hat Flausen im Kopf. Als die Ministranten den Messwein trinken und die Flasche mit Wasser auffüllen, ist er der Anstifter. Auch vor dem Griff in den Klingelbeutel schreckt der Junge nicht zurück. «Der Priester, den ich sehr mochte, sagte einmal zu mir: Dich sollte man exorzieren», erzählt Gärtner und lacht.

Als Messdiener im katholischen Weiperz (5. von rechts)
Als Messdiener im katholischen Weiperz (5. von rechts)

Exorziert wird er nicht. Aber bürgerlich auch nicht. Mit 15 verlässt Klaus die Schule. Er schlägt sich durch und landet schliesslich in Hamburg. Tagsüber arbeitet er in Werften, nachts treibt er sich im Rotlichtviertel herum. Sein Bruder Willie macht zu dieser Zeit einen Deal mit Gott: Wenn sein Bruder wieder auf die rechte Bahn kommt, will er Priester werden. Klaus endet nicht als Verbrecher und Willie wird Franziskaner.

Flucht in die Zukunft

Die Brüder sind sehr unterschiedlich. Willie glaubt an die Macht des Gebets, Klaus an die Macht der Tat. «Du kannst noch so viel beten, dass Menschen Essen bekommen, wenn du ihnen kein Essen bringst, werden sie verhungern», sagt Klaus. So unterschiedlich sie sind, beide engagieren sich sozial. Willie als Priester in den Favelas Brasiliens. Klaus unterstützt die Projekte des Bruders finanziell. Er kauft ein Auto, damit Kinder zur Kommunion und Firmung kommen und Paare heiraten können. Im kapitalistischen Amerika sorgt er dafür, dass seine Angestellten sozial abgesichert sind. Er gibt jungen Menschen, die kein Geld haben, Möglichkeiten – zu studieren, zu lernen, zu arbeiten.

Klaus Gärtner nimmt einen Schluck Bier auf der Reeperbahn in den 1950ern.
Klaus Gärtner nimmt einen Schluck Bier auf der Reeperbahn in den 1950ern.

Für ihn ist klar, sein Weg war nur in den USA möglich. Von den Möglichkeiten dort träumt er als junger Mann in Hamburg. Klaus Gärtner hasst den «Mief» der 1950er Jahre und die moralisch-geistige Enge der Adenauer-Republik. 1958 hat er genug Geld gespart und kauft ein Flugticket nach Montréal. KLM bietet bereits eine direkte Flugverbindung an. Aber Kanada ist nur eine Zwischenstation. 1962 kommt er in sein Paradies: Los Angeles.

Zeit des technischen Aufbruchs

Es ist die Zeit des Wettlaufs ins All zwischen den USA und Russland. Der Kalte Krieg hat die Welt in zwei Blöcke eingefroren. Los Angeles ist ein Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik. Klaus hat technisches Know-how, aber keine formelle Ausbildung. In den Vorstellungsgesprächen gibt er sich dennoch als Spezialist aus. Niemand kann oder will es überprüfen. Es gibt kein Internet.

Der Tüftler in den 1960er Jahren in LA.
Der Tüftler in den 1960er Jahren in LA.

Gärtner hat die Gabe, komplexe technische Probleme zu lösen, indem er sie sich visuell vergegenwärtigt. Die Industrie sucht nach schlauen Köpfen, die «ausserhalb der Box» denken. Ob er bei der Auflistung seines Werdegangs die Wahrheit sagt, interessiert nicht. Gärtner findet problemlos Arbeit.

Eine kleine Geschichte der Zeit

Klaus Gärtner macht Karriere. Erst im Space-Programm und dann im Sicherheitsbereich. 1972 entwickelt er das erste elektronische Tresorschloss. Es ergab sich so. «Ich stiess auf ein Problem und suchte eine Lösung», sagt er, als wäre es selbstverständlich. 1975 gründet er «La Gard». In den 1980ern stattet er 90 Prozent der Bankomaten weltweit mit Schlössern aus. Die Software wird in der Schweiz entwickelt. Er reist regelmässig nach La Chaux-de-Fonds. Es ist eine Nischenindustrie, aber eine von globaler Bedeutung.

Sonnenuntergang in LA.
Sonnenuntergang in LA.

Klaus Gärtner ist transatlantische Zeitgeschichte. An ihm spiegeln sich die Paradoxe der Epoche. Im Konflikt zwischen Ost und West erstarrt die Welt und setzt gleichzeitig Dynamiken frei. Eine Biografie wie die seine wäre heute wohl nicht mehr möglich. Zu nachvollziehbar sind Lebensläufe geworden, zu standardisiert Ausbildungen und Lebensentwürfe. Daran könnte auch ein Deal mit Gott nichts ändern, wie ihn sein Bruder in den 1950ern geschlossen hat.

Der Schutzengel

Willie stirbt 1992 im Alter von 53 Jahren. Klaus sieht ihn seither als seinen Schutzengel. Immer, wenn ihm etwas gelingt, blickt Gärtner zum Himmel und sagt: «Danke, Willie!». Klaus Gärtner ist in seinem Leben viel gelungen. Mehr als 100 Patente sind unter seinem Namen registriert.

Machte einen Deal mit Gott: Klaus' Bruder Willie.
Machte einen Deal mit Gott: Klaus' Bruder Willie.

Seine neueste Entwicklung ist ein elektronisches Schliesssystem, das ohne Batterien auskommt. Das «Green Lock» wird in wenigen Monaten auf den Markt kommen. Klaus Gärtner wird dies nicht mehr erleben. Der 87-jährige hat Krebs im Endstadium. Trotzdem überwacht er den Abschluss der Produktion. Denn noch immer ist er ein «Problemlöser». In Batterien sieht er eines der grössten Umweltprobleme der Gegenwart. Also hat er das Problem für seine Branche noch gelöst.

Woher er die Kraft nimmt, weiter über Schlösser nachzudenken? Die Frage findet er seltsam. Und sagt schliesslich: «Vielleicht ist es Willie. Noch heute wacht sein Geist über mich.»


Klaus Gärtner in seinem Garten in Kalifornien. | © Annalena Müller
5. September 2023 | 06:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!