Meinrad Furrer vor der Peterskapelle in Luzern
Porträt

Vom Bauernbub zum queeren Seelsorger: Meinrad Furrer springt gern ins Wasser

Er hat am Zürcher Platzspitz queere Paare gesegnet – auf einer Regenbogenbank. Diese steht jetzt in der ältesten Kapelle Luzerns – nach der Pride. «Das war ein steiler Einstieg», sagt Meinrad Furrer (57). Allerdings sind nicht alle in Luzern von der Regenbogenbank begeistert.

Regula Pfeifer

Meinrad Furrer sitzt auf der Mauer vor der Peterskapelle und isst seinen Salat fertig. Dabei stellt er Fragen, bevor er welche beantwortet. Er liebe die Sonne, sagt er später und möchte das Gespräch draussen führen. Zuerst aber zeigt er sein aktuelles Reich: Er leitet seit Juni das Team der Peterskapelle in Luzern.

In christlicher Mystik verwurzelt

Sein Arbeitsplatz sei wunderbar, sagt er. Morgens, wenn er ankommt, setzt er sich kurz auf die Bank vor der Kapelle und blickt von da auf Stadt und Wasser. «Ich sehe mich als spirituellen Theologen und Seelsorger, der stark in der christlichen Mystik verwurzelt ist», sagt Meinrad Furrer.

Die Peterskapelle – in der Altstadt Luzern und am Ufer der Reuss
Die Peterskapelle – in der Altstadt Luzern und am Ufer der Reuss

Die älteste Kapelle Luzerns hat es ihm angetan – vor allem ihre zwei unterschiedlichen Seiten. Da ist dieses Historische. Dazu passen zwei alteingesessene Vereine, die hier beheimatet sind. Die Rosenkranz-Anlässe, die regelmässig durchgeführt werden. Und der Chorraum mit seiner barocken Aufmachung und unverrückbar steinernem Altar. Letzteres gefällt dem Theologen allerdings weniger.

Kulisse für Pride-Gottesdienst

Witziger findet er die Eingangsseite. Meinrad Furrer dreht sich um: «Sie wirkt wie eine Kulisse», sagt er und zeigt auf die lamellenartig gefaltete Holzwand. Bei den ökumenischen Pride-Gottesdiensten im September stand er vor dieser Kulisse, die mobilen Kirchenbänke waren umgekehrt ausgerichtet. «Ich feiere ja keine Eucharistie, ich bin frei in der Gestaltung», sagt Furrer.

Die Regenbogenbank: seit der Pride in Luzern hier
Die Regenbogenbank: seit der Pride in Luzern hier

Nahe der Kulisse fällt eine regenbogenfarbene Bank auf. Die sei seit der Pride da, bestätigt der Theologe. Den queeren Anlass feierten die Luzernerinnen und Luzerner – nach 17 Jahren Unterbruch – Anfang September eine ganze Woche lang. Und Meinrad Furrer war mittendrin – und im Organisationskomitee (OK) aktiv. Er sei aber nicht der Initiant, berichtigt er. «Das war ein steiler Einstieg», sagt er rückblickend über seine ersten Monate in Luzern.

Auf «Liebe gewinnt» folgt Medienhype

Die Regenbogenbank ist nicht neu. Sie hatte ihren ersten Auftritt im Mai 2021. Damals segnete Meinrad Furrer auf dem Zürcher Platzspitz zehn queere Paare. Und zwar im Rahmen der kirchlichen LGBTQ-Aktion «Liebe gewinnt», die vor allem in Deutschland Widerhall fand. Furrer arbeitete damals für Katholisch Stadt Zürich – als Spiritualitätsbeauftragter.

Segnung für alle - Meinrad Furrer segnet am 10. Mai 2021 ein homosexuelles Paar.
Segnung für alle - Meinrad Furrer segnet am 10. Mai 2021 ein homosexuelles Paar.

Damals habe der Medienhype um ihn eingesetzt, sagt Meinrad Furrer, nachdem er fürs Gespräch zwei «höllisch schwere» Stühle, wie er sagt, auf den Platz vor der Kapelle gestellt hat. Ins öffentliche Engagement für queere Menschen sei er allerdings zufällig reingerutscht, erzählt er, die Beine übereinander verschränkt. Er sei 2015 angefragt worden, im OK der Pride Zürich mitzuwirken. Das tat er dann – nach Absprache mit Generalvikar Josef Annen.

Kandidat für den «Prix Courage»

Inzwischen ist der Theologe schweizweit bekannt für sein Engagement für queere Menschen in der Kirche. Er ist Kandidat für den «Prix Courage» der Zeitschrift «Beobachter», mit dem eine besonders mutige Person für ihre Tat ausgezeichnet wird. «Es ist wunderbar, wie die Thematik inzwischen wahrgenommen wird», sagt Meinrad Furrer.

Dass die lehramtliche Kirche dies nicht aufnimmt, findet er «jammerschade». «Es liegt so viel queeres Potential da», sagt der Theologe und blickt dem Gegenüber eindringlich in die Augen. Aber die Kirche kümmere sich zu wenig darum. «Dabei steht die Kirche selbst ‘queer’ im Vergleich zum Mainstream.»

Meinrad Furrer in der Leseecke der Peterskapelle
Meinrad Furrer in der Leseecke der Peterskapelle

Hier sieht er eine Aufgabe für sich: «Ich möchte Räume schaffen, in denen sich die Menschen aufrecht, authentisch und strahlend bewegen können.» Authentisch will er auch selbst sein. Er wolle sich als Seelsorger immer als Mensch zeigen.

Missio von Bischof Huonder

Queeren Mitarbeitenden fällt es in der katholischen Kirche schwer, eine bischöfliche Beauftragung zu erhalten. «Die Kommunikation ist diesbezüglich nicht transparent», sagt Meinrad Furrer. Auch er arbeitet ohne Missio als Leiter Team Peterskapelle. Das habe die Arbeitgeberin, die katholische Kirchgemeinde Stadt Luzern, vor seinem Antritt abgeklärt. Auch bei Katholisch Stadt Zürich hatte er keine Missio.

Meinrad Furrer an seinem engen Bürostehplatz
Meinrad Furrer an seinem engen Bürostehplatz

Vorher, in der ökumenisch ausgerichteten Predigerkirche, hingegen schon. Bischof Vitus Huonder gab sie ihm nach einem persönlichen Gespräch. «Damals war ich noch nicht in der Pride engagiert», sagt Furrer.

Regenbogenbank polarisiert

Die Regenbogenbank in der Kapelle hat Meinrad Furrer übrigens selber gebaut und vor kurzem mit dem Sakristan zusammen renoviert. Die Bank polarisiere, sagte er noch auf dem Rundgang. Er setzte sich in die Leseecke dahinter, die während der Renovation vor vier Jahren eingebaut wurde, und schlägt das Gästebuch auf. «Das Regenbogenbänkli freut mich riesig», las er vor. Und zeigte auf die handgeschriebene Antwort gleich hintendran: «Mich nicht! Sünde!».

Disput im Gästebuch
Disput im Gästebuch

Die Regenbogenbank steht für die andere Seite dieses kirchlichen Ortes. Die Peterskapelle sei eben auch eine City-Kirche und wolle möglichst für alle Menschen offen sein, sagt Meinrad Furrer draussen an der Sonne. Und da sieht er seine Aufgabe. Einmal pro Woche leitet er den Mittags-Impuls «zwölfnachzwölf», der aus Musik und einem spirituellen Input besteht. Er liebt es, nun wieder an einem realen spirituellen Ort wirken zu können. «Zuvor war ich vorwiegend im digitalen und urbanen Raum aktiv», sagt er.

Traum erfüllt vom Wohnen am See

Was er auch liebt: den langsameren Rhythmus in der Zentralschweizer Kleinstadt – im Vergleich zum hektischeren Zürich. «Das ist sehr wohltuend», sagt er. Die überschaubare Grösse erleichtere auch das Vernetzen. Zudem könne er hier einen «alten Traum» verwirklichen. Er wohnt erstmals direkt am See. Welch wunderbare Aussicht er hat, zeigt eine Handyfoto eines roten Sonnenaufgangs. «Ich gehe jeden Morgen schwimmen», sagt der passionierte Schwimmer. Das wolle er – wenn möglich – auch im Winter tun.

Meinrad Furrer balanciert auf dem Geländer zur Reuss - dahinter die Kapellbrücke.
Meinrad Furrer balanciert auf dem Geländer zur Reuss - dahinter die Kapellbrücke.

Das alles erzählt er in luzernerisch gefärbtem Dialekt. Ist er zurückgekehrt zu seinen Wurzeln? Tatsächlich ist Meinrad Furrer in Beromünster aufgewachsen, genauer im Weiler Schwarzenbach, der von Beromünster eingemeindet wurde. «Nun bin ich in einer halben Stunde bei meiner Mutter im Altersheim, anstatt in eineinhalb Stunden.»

Bauernbub mit sechs Geschwistern

Der heutige Städter ist auf einem Bauernhof gross geworden, als eines von sieben Geschwistern. Drei Generationen lebten und wirtschafteten da zusammen. Das hiess für den Bauernsohn: Jeden Morgen vor der Schule auf dem Hof arbeiten, an allen freien Nachmittagen ebenso. «Ich bin geerdet – und als intellektueller Mensch froh darum», sagt Meinrad Furrer, der an diesem warmen Herbsttag barfuss in Sandalen steckt.

Meinrad Furrer erzählt von seiner Kindheit auf dem Bauernhof.
Meinrad Furrer erzählt von seiner Kindheit auf dem Bauernhof.

Leben im Rhythmus der Natur: Diese Erfahrung habe ihm ein Grundvertrauen gegeben, sagt er. Im Sinne von: «Du bist eingebettet in einen Lebenslauf – mit Freuden und Leiden.» Die bäuerliche Religiosität habe naturreligiöse Züge. «Das hat mich sehr geprägt.»

«Die Kirche war Teil unseres Alltags», erzählt Meinrad Furrer. «Der sonntägliche Gottesdienst war selbstverständlich; Bittgänge, Prozessionen, Rosenkranzgebete ebenso.» Anstatt der Geburtstage feierten sie die Namenstage – wie damals üblich in katholischen Familien. Und selbstverständlich ministrierte der Bauernsohn.

Das «geheime Skript»

Dass der Fünftgeborene später Theologie studierte, verdankte er einem «geheimen Skript» in Bauernfamilien. Demnach sollte ein Kind später den Bauernhof übernehmen, ein anderes studieren – und Priester oder Arzt werden. Bei ihm hätten die Eltern und Grosseltern gemerkt: Er sei empathisch, eigne sich also zum Seelsorger.

Dankes-Kränze am Grab
Dankes-Kränze am Grab

Diesen Weg schlug der ein – ohne sich gross Gedanken zu machen. Priester wollte er allerdings nicht werden. Er sei anderen Menschen schon immer am liebsten auf Augenhöhe begegnet. Das konnte er als Seelsorger besser ausleben. Zudem war ihm bereits vor dem Studium klar: «Ich wusste, dass ich nicht ohne Beziehung leben wollte.»

Vorliebe für Beerdigungen

«Was mache ich am liebsten?», fragt Meinrad Furrer sein Gegenüber unvermittelt. Und antwortet selbst: «eine Beerdigung leiten». Die überraschte Reaktion geniesst er lächelnd. Dann erklärt er: Das viel zitierte Sprichwort «Ein Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag» triggere ihn, es sei so falsch. Es gebe Momente im Leben, die seien nicht zum Lachen – etwa der Tod eines nahen Menschen. Bei den Beerdigungen versuche er den traurigen Moment einzubetten ins reiche, vielfältige Leben – «so wird er zu einem Schatz».

Meinrad Furrer als Seelsorger an der Predigerkirche Zürich, 2016
Meinrad Furrer als Seelsorger an der Predigerkirche Zürich, 2016

Beerdigungen feiert er in einer anderen Rolle – als selbstständiger Ritualbegleiter. Dabei setzt er eine weitere Leidenschaft ein: das Singen. «Das ist so körperlich, sinnlich und spirituell», schwärmt er. Entdeckt hat er seine Begabung im Gymnasium, die er seither als Hobby pflegt. Noch heute feilt er daran, bei privaten Gesangsstunden. Er habe ein «hohes semiprofessionelles Niveau», sagt er.

Mahlfeier-Referent bei Protestanten

Mit alternativen Mahlfeiern hat Meinrad Furrer einige Erfahrung. Angefangen bei seiner Zeit als Gemeindeleiter in Fällanden ZH – bis hin zu seiner vorherigen Stelle als Beauftragter Spiritualität bei Katholisch Stadt Zürich. Da hat er mit einer evangelischen Gemeinde in Berlin – unter dem Label «Brot und Liebe» – einen digitalen Mahlfeier-Raum eröffnet. Das fand in Deutschland Anklang. Meinrad Furrer ist bereits mehrmals von evangelischen Kirchen als Referent zum Thema «Mahlfeier» eingeladen worden.

Fürs Foto setzt er sich balancierend aufs Metallgeländer am Ufer zur Reuss. Die Mahnung zur Vorsicht quittiert er mit: «Dann bin ich halt nochmals im Wasser». Er habe wie der Heilige Meinrad etwas Waghalsiges an sich. Vor kurzem war er diesem auf der Spur. Per Velo auf dem Meinradweg von Rottenburg bis zum Kloster Einsiedeln. Dabei habe er gut über sein Leben nachdenken können.


Meinrad Furrer vor der Peterskapelle in Luzern | © Regula Pfeifer
8. November 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 6 Min.
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