Martin Iten
Schweiz

Verwandt mit Bruder Klaus

Sachseln, 24.7.17 (kath.ch) Martin Iten ist ein Nachkomme von Bruder Klaus. Seit seiner Kindheit findet der junge Zuger Kraft und Rat im Zwiegespräch mit seinem Vorfahren. Eine Begegnung in der Ranft-Schlucht.

Vera Rüttimann

Wie von einem Sog angezogen, zieht es die Leute in die Ranft-Schlucht. Auch Martin steht an diesem Vormittag vor der Informationstafel, die ihm den Weg zum Geburtshaus, zum Wohnhaus und zur Ranft-Kapelle weist. Ein vertrauter Anblick, den der Zuger seit seiner Kindheit kennt. Und er liebt diesen Ausblick über das grosse Melchtal, an dessen Firmament sich drei imposante Bergspitzen erheben. Ein grandioses Panorama. Deswegen allein ist jedoch kaum einer hier. Auch der junge Polygraf kommt wegen ihm: Niklaus von Flüe.

«Vor wichtigen Entscheidungen unternahmen sie eine Wallfahrt zu Bruder Klaus.»

Martin Iten wusste schon als Kind, dass sein Stammbaum in der 17. Generation auf Niklaus von Flüe zurückgeht. Genau auf Dorothea Scheuber, die älteste Tochter von Niklaus von Flüe und Dorothea Wyss. Er weiss aber auch: Es gibt viele Menschen, deren Stammbaum auf den Nationalheiligen zurückreicht. Alle paar Jahre treffen sich seine Nachkommen in Sachseln, die heute etwa von der 17. bis zur 19. Generation reichen.

In Bauernfamilie aufgewachsen

Für den 31-Jährigen, der am Stadtrand von Zug mit sieben Geschwistern in einer Bauernfamilie aufwuchs, war Bruder Klaus schon als Kind mehr als eine alte Holzfigur im Herrgottswinkel, sondern ein väterlicher Freund, bei dem er Rat suchte: «Standen in unserer Familie wichtige Entscheidungen an, unternahmen meine Eltern eine Wallfahrt zu Bruder Klaus.» Als er älter wurde, wollte Iten mehr wissen: Was ist dran an diesem Mann, der für kirchliche Würdenträger und Politiker seiner Zeit zum Friedensstifter und Ratgeber wurde?

Nicht alleine unterwegs

Martin Iten ist an diesem Vormittag nicht alleine unterwegs. Gerade im Jubiläumsjahr zieht es grosse Trekking-Gruppen hinunter in die Ranft-Schlucht. Es geht steil hinunter. Auf dem Wanderweg sinniert der Medienmacher darüber, was dieser Niklaus von Flüe alles war: Er war Bauer, Richter, Ehemann und Familienvater, aber ebenso Eremit, Ratgeber und Friedensstifter. Ein Heiliger zudem, der bis heute polarisiert. Als Jugendlicher, so Iten, habe auch er zuweilen Mühe bekundet zu verstehen, wie ein Mann mit fünfzig Jahren Haus, seine Frau und seine zehn Kinder verlassen konnte, um sich für die restlichen zwanzig Jahre seines Lebens in Armut und Einsamkeit ganz Gott zu widmen.

Aussteigertypen faszinieren die Menschen.

Dennoch ist für Martin Iten Niklaus von Flüe ein geradezu moderner Heiliger. Seine Lebensweise und seine radikale Ausrichtung auf Gott inspirieren viele Menschen bis heute, ist Iten überzezgt. «Die Radikalität solcher Aussteigertypen haben Menschen schon immer fasziniert. Sei es Christopher McCandless, ein junger Aussteiger, der die Zivilisation bewusst verliess und sein Geld verschenkte (verfilmt in «Into the Wild«)», erklärt der Zuger, «Oder Niklaus von Flüe, der in seinem Leben einen radikalen Schritt vollzog und dem Ruf Gottes folgte.» Diese Menschen hätten den Mut gehabt, das zu tun, wonach sich viele Menschen heute insgeheim sehnen: Der inneren Sehnsucht folgen, Stille suchen und sich auf für sie persönlich Wesentliches konzentrieren.

Unbequeme Stille

In vielen Gesprächen im Ranft spürt der junge Medienmacher eine Sehnsucht, aus der lauten Welt auszusteigen und sich buchstäblich zu «vertiefen».  »Immer mehr Leute merken, dass das ganze Streben nach mehr Erfolg, Konsum und weltlichem Ansehen letztlich nicht erfüllend ist.» Stille jedoch, weiss er aus eigener Erfahrung, sei nicht immer bequem: «Viele ertragen sie nicht, auch weil sie dadurch mit sich selbst konfrontiert werden.» Auch für ihn sei Stille zuweilen eine Herausforderung.

Bruder Klaus hatte sicher volle Unterstützung von seiner Frau.

Auf der Eremitenklause auf einem steilen Hügel soll Bruder Klaus ohne jede Nahrung und gestärkt allein durch die Eucharistie gelebt haben. Er betritt im Parterre ein Zimmer mit Ofen für den Winter. Die Decken sind zu niedrig für Iten, er muss sich bücken. Eine steile Holztreppe führt in einen Hohlraum, drei mal drei Meter gross, mit zwei Fenstern, in die ein schmaler Lichtstrahl Licht spendet.

Die Eremitenzelle mit dem kleinen Fenster | © Vera Rüttimann

Der junge Zuger betritt einen und setzt sich auf einen Holzbank. Es ist jene Stelle, an der schon Niklaus von Flüe sein Haupt nieder gelegt hat. «Dieser Raum versprüht eine unglaublich dichte Atmosphäre des Gebets.» Es scheint hier alles noch so, als hätte der Eremit, der hier Besuch aus der ganzen Schweiz und dem nahen Ausland mit ihren Anliegen empfing, seine Zelle eben erst verlassen.

Wohnzelle von Bruder Klaus | © Peter Knup

Während er in der kleinen Zelle umhergeht, denkt Martin Iten auch über Niklaus von Flües Frau Dorothea nach. Das einzige, was der hagere Mann als Eremit am Leib trug, war das Gewand, das ihm seine Frau nähte. «Ein klares Zeichen, dass sie seine spezielle Berufung mitgetragen und bejaht hat», sagt Iten. Auch er könnte seinen Projekten wie das Medienkollektiv Fisherman.FM, das Magazin Melchior oder den Weltjugendtag ohne die Unterstützung seiner Frau nicht nachgehen.

Sehnsucht Familie

In jungen Jahren ging Martin Iten selbst den Weg in die Abgeschiedenheit. Als damals selbstständiger Grafiker steckte er in einer emotionalen Krise. Schon mit 16 machte er eine extreme Erfahrung, als er wegen einer starken Alkoholvergiftung im Koma lag und knapp dem Tod entging. «Mit Gott und der Kirche hatte ich damals nicht viel am Hut, doch dann fing ich an, mich mit existenziellen Lebensfragen zu beschäftigen», sagt Iten.

Drei Jahre in der Einsiedelei

Seine persönliche Suche begann und Bruder Klaus wurde in seinem Leben noch wichtiger. Mit 22 zog er sich für drei Jahre in die ehemalige Einsiedelei auf Wiesenberg im Kanton Nidwalden zurück, lebte und arbeitete dort und nahm sich Zeit, sein Leben zu ordnen. Den «Ausseiger» hat Martin Iten heute noch immer in sich, dennoch könnte er kein Eremitenleben führen. Seine Sehnsucht heisst ganz klar Familie. Im Sommer erwartet seine Frau das erste Kind.

«Die wahren Wüsten sind in Grossstädten zu finden.»

Ankunft in der Ranft-Kapelle ganz unten in der Schlucht. «Mehr Ranft», steht auf einem Flyer, der in der Kapelle ausliegt. Das offizielle Leitmotto des Bruder Klausen-Jahres gefällt ihm. «Mehr Ranft» heisst für den engagierten Christen, dass die Menschen ihren eigenen «Ranft» suchen und finden sollen. Ihren Ort, wo sie Gott im Gebet suchen können und in ihm zur Ruhe kommen.

Gott ist derselbe geblieben.

Für Martin Iten muss die Wahl nicht auf die Ranft-Schlucht fallen, sondern kann auch ein Ort im grössten Trubel einer Stadt sein. Er glaubt: «Die wahren Wüsten heute sind in Grossstädten zu finden. Dort, wo Menschen oftmals in geistlicher Trockenheit umherirren und sich insgeheim so sehr nach Oasen der Stille und des Ankommens sehnen. Mich tröstet, dass der Gott, der schon Bruder Klaus ganzheitlich nährte, derselbe geblieben ist. Er lässt sich auch heute noch finden, wenn man ihn wirklich sucht.»

Martin Iten | © Vera Rüttimann
24. Juli 2017 | 14:22
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