Fridolin Schwitters Aussicht bei der Arbeit.
Porträt

«Unanständiges Verhalten»: Warum Fridolin Schwitter bei den Kapuzinern die Segel strich

Fridolin Schwitter (62) hat sich mehrmals neu erfunden. In Luzern wollte er eine spirituelle Oase mitaufbauen – und wurde der erste Bruder auf Zeit bei den Kapuzinern. Doch das Projekt war für ihn enttäuschend. Stattdessen engagiert er sich für das Frauenkloster Notkersegg in St. Gallen.

Eva Meienberg

Fridolin Schwitter (62) will in zwei Monaten den südwestlichen Teil der Klosterfassade fertig gestrichen haben. Am Baugerüst hängt eine Musikbox, mit der er meistens klassische Musik hört. Oft arbeitet Fridolin Schwitter in Stille. Kontemplation nennt der ehemalige Kapuziner-Bruder auf Zeit diesen Zustand.

Seine Mutter: die holländische Seglerin

Bevor er in seinen blauen Arbeitshosen auf das Gerüst klettert, bindet er sich ein rotes Halstuch um. Das sei eine Erinnerung ans Segeln und an seine Familie. Fridolin Schwitter ist in Luzern unweit vom Verkehrshaus und nahe dem Vierwaldstättersee aufgewachsen. Die Mutter, aus einer holländischen Freidenker-Familie stammend, war eine leidenschaftlichen Seglerin. 

Fridolin Schwitter trägt das rote Halstuch, das ihn ans Segeln erinnert.
Fridolin Schwitter trägt das rote Halstuch, das ihn ans Segeln erinnert.

Fridolin Schwitters Vater lernte die Holländerin in Näfels im Glarnerland kennen. Dort arbeitete sie nach dem Zweiten Weltkrieg als Krankenschwester. Das Paar heiratete in den 1950er-Jahren und zog nach Luzern.

Der Vater war ein Teppich-Händler

1971 eröffnete die Mutter die Segelschule Schwitter. Seine umtriebige Mutter habe mit ihrer Eröffnung einen riesigen Wirbel im damals noch elitären «Luzerner Yachtclub» verursacht, sagt Fridolin Schwitter. Es war unüblich, dass eine Frau so etwas initiiert. Aber der Erfolg gab der Unternehmerin recht. 

Der Vierwaldstättersee.
Der Vierwaldstättersee.

Im Ganzen hätten wohl rund 10›000 Leute die Segelschule besucht, sagt Fridolin Schwitter. Der Vater arbeitete sich hoch vom Textilarbeiter zum Leiter einer Verkaufsagentur für Teppiche in Zürich. Mit diesen handelte er weltweit und war oft auf Geschäftsreise, weg von der Familie.

Bruder auf Zeit bei den Kapuzinern

2009, im Alter von 49 Jahren, krempelte Fridolin Schwitter sein Leben um: Er wurde der erste Bruder auf Zeit bei den Kapuzinern. Er kündigte seine Arbeitsstelle bei der Stadt Luzern und tauschte seine Viereinhalbzimmerwohnung in eine Mönchszelle ein.

Fridolin Schwitter, Kapuziner im Kloster Wesemlin Luzern
Fridolin Schwitter, Kapuziner im Kloster Wesemlin Luzern

Der Unternehmensberater kam den Kapuzinern wie gerufen. Das Kloster Wesemlin in Luzern, das Hauptkloster der Schweizer Kapuziner, sollte baulich saniert und neu ausgerichtet werden. Fridolin Schwitter wurde zum Leiter der Spendenkampagne. Zwölf Millionen Franken wurden für das Umnutzungsprojekt budgetiert. Vier Millionen brachte der Orden auf, den Rest sammelte Fridolin Schwitter als Bruder auf Zeit in seiner Kutte.

Sehnsucht nach Seelsorge

Mit dem Ordensgewand hätten ihm die Menschen ihr Vertrauen und ihr Geld geschenkt, sagt Fridolin Schwitter. Er habe mit gutem Gewissen für das Projekt geworben. Das Projekt «Oase-W» sah vor, religiös suchenden Menschen eine Heimat zu bieten. Das war ganz nach dem Geschmack von Fridolin Schwitter: «Die Kirche muss Lebenshilfe sein.»

Nottkersegg statt Wesemlin: Fridolin Schwitter malt die Klosterfassade.
Nottkersegg statt Wesemlin: Fridolin Schwitter malt die Klosterfassade.

Ein Ordensgewand zu tragen, sei eine einschneidende Erfahrung gewesen, sagt der Ex-Bruder auf Zeit. Viele Menschen seien vertrauensvoll auf ihn zugekommen und hätten ihm seine Sorgen und Nöte anvertraut. «Ordensmenschen haben eine seelsorgerliche Pflicht. Diese müssen sie ausfüllen und wahrnehmen», sagt Fridolin Schwitter.

Seelsorge braucht Professionalität

Seelsorger wäre der ehemalige Wirtschaftsförderer gerne geworden. Er schlug deshalb den Ordensoberen vor, eine psychologische Ausbildung zu machen. Teil des Umbauprojektes war auch der Einzug einer Gruppenpraxis in die Klosterräume. 

Blick vom Kunstmuseum Luzern auf die Hofkirche.
Blick vom Kunstmuseum Luzern auf die Hofkirche.

Fridolin Schwitter hatte die Idee, sich professionell um die spirituellen Bedürfnisse der Menschen zu kümmern: «Einige Menschen brauchen neben einer medizinischen Behandlung auch ein offenes Ohr für Lebensfragen.»

Mehrere Enttäuschungen

Doch der Vorschlag stiess nicht auf das Interesse der zuständigen Ordensmänner. Doch das sei nicht die einzige Enttäuschung gewesen, erzählt der Ex-Kapuziner. Die Ausbildung, die er im Rahmen des Ordens hätte durchlaufen müssen, sei diffus und unorganisiert gewesen. Nichts für Fridolin Schwitter. 

Inschrift auf einem Beichtstuhl in der Kapuzinerkirche Wesemlin in Luzern.
Inschrift auf einem Beichtstuhl in der Kapuzinerkirche Wesemlin in Luzern.

Befremdend ist für ihn auch, dass die Kapuziner den Kontakt mit den Spendern und Wohltäterinnen nicht aufrechterhalten und weiterpflegen. In St. Gallen – im geschlossenen Frauenkloster – wird zu Weihnachten ein ausführlicher Bericht über die Entwicklung und das Leben der Schwesterngemeinschaft verfasst. Das sei professionell und wertschätzend, findet Fridolin Schwitter.

«Ich empfinde mich als ausgenutzt»

«So gesehen empfinde ich mich als ehemaliger Leiter der Spendenkampagne ausgenutzt und das Verhalten der Kapuziner darf man als unanständig bezeichnen», sagt der Ex-Kapuziner. Umso mehr, als einige Bewohnende der «Oase-W» den Umgang der Kapuziner-Brüder mit ihnen kritisierten.

Tag der offenen Tür im Kapuzinerkloster Wesemlin in Luzern im August 2015: Nach den Rundgängen am Samstag konnten sich die Besucher im Klostergarten verpflegen.
Tag der offenen Tür im Kapuzinerkloster Wesemlin in Luzern im August 2015: Nach den Rundgängen am Samstag konnten sich die Besucher im Klostergarten verpflegen.

Fridolin Schwitter ist überzeugt: Das Projekt «Oase-W» und die Zusammenarbeit mit der Arztpraxis habe die Kapuziner überfordert: «Denn auf einmal waren sie nicht mehr unter sich, sondern mit Menschen und deren Bedürfnissen konfrontiert.»

Die Notbremse: St. Gallen statt Luzern

Fridolin Schwitter zog für sich die Notbremse: Aus dem Kapuziner-Bruder auf Zeit wurde wieder Fridolin Schwitter. «Ich habe mir gewünscht, dass ich meinen Platz im Kapuzinerkloster finde», sagt er. Aber er habe gemerkt, dass der Kapuzinerorden in der Schweiz keine Zukunft habe.

Im Hintergrund steht das Gärtnerhaus, in dem Fridolin Schwitter wohnt.
Im Hintergrund steht das Gärtnerhaus, in dem Fridolin Schwitter wohnt.

Vom Klosterleben weggekommen ist Fridolin Schwitter dennoch nicht. Seit 2016 lebt er als «frater familiaris» im Kapuzinerinnenkloster Notkersegg SG im Meister- und Knechtehaus. Ein Zimmer mit Bett, Tisch, Pult und Stuhl. 

«Ein Nehmen und Geben!»

Die Kutte hängt an der Innenseite der Toiletten-Tür. «Ich konnte die Kutte nicht weggeben», sagt Fridolin Schwitter. Mit allen Enttäuschungen habe sie auch eine wichtige symbolische Bedeutung für sein Leben. 

Die Kapuzinerinnengemeinschaft des Klosters Notkersegg mit Frau Mutter Manuela Schreiner (mit ausgestreckten Armen).
Die Kapuzinerinnengemeinschaft des Klosters Notkersegg mit Frau Mutter Manuela Schreiner (mit ausgestreckten Armen).

In St. Gallen hat er die Einrichtung der Pflegestation für Ordensfrauen begleitet und engagiert sich heute im Haus und Garten für die Schwesterngemeinschaft. «Ein Nehmen und Geben!» Viele Arbeiten mache er aber von Hand – wie eben das Malen der Fassade.

«Ich bin nicht gläubig, ich habe Gottvertrauen» 

Kürzlich ist Fridolin Schwitter 62 Jahre alt geworden. Es sieht so aus, dass er nach der Pensionierung gewohnt weiterarbeitet und im tendenziell eher ruhigeren Winterhalbjahr die eine oder andere längere Reise unternimmt.

Kloster Notkersegg, St. Gallen
Kloster Notkersegg, St. Gallen

Religion habe für ihn lange Zeit keine Rolle gespielt, erzählt Fridolin Schwitter. Über seinen Glauben sagte er vor einigen Jahren in einem Interview: «Ich bin nicht gläubig, ich habe Gottvertrauen.» 

Menschen, Tiere und Pflanzen

Heute würde Fridolin Schwitter sagen: «Ich glaube an Gott. «Gott ist die Sonne in unserem System. Dass die Planeten um die Sonne kreisen, dass die Menschen, Tiere und Pflanzen auf diesem Planeten leben. Dass alles wunderbar funktioniert, das ist Gott.» Das realisiere er in der Natur auf 800 Metern Höhe sehr ausgeprägt.

Kontemplation, Reflexion, Aktion

Er möchte nach der Pensionierung wieder einmal nach Holland oder eine Zeit in Paris verbringen, sagt der 62-Jährige. Er überlasse nichts dem Zufall. Kontemplation, Reflexion, Aktion: Diese Maxime der franziskanischen Lebensart lebe er ganz bewusst.

Fridolin Schwitter auf dem Gerüst seiner Baustelle
Fridolin Schwitter auf dem Gerüst seiner Baustelle

«Wenn ich ins Bett gehe, überlege ich mir immer, was ich am nächsten Tag mache. Wenn ich wieder im Bett liege, denke ich darüber nach, ob ich meine Erwartungen und Ziele erfüllt habe», sagt Fridolin Schwitter. Das sei wichtig, wenn man alleine arbeite und in einer guten Struktur leben wolle.

Fast eine klösterliche Lebensweise

Das kann man schon fast als klösterliche Lebensweise bezeichnen. Im Moment ist er mit den Malerarbeiten an der Klosterfassade im Zeitplan.

Fridolin Schwitter – beruflich und privat

Fridolin Schwitter machte nach der Sekundarschule eine KV-Lehre in einem Treuhandbüro. Nach einer Weiterbildung als Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater arbeitete er dank seiner Sprachkenntnisse für einen holländischen Konzern, der ihn oft auf Dienstreise schickte.

Geld mit Anstand verdienen

Etwa in den Kongo, wo Fridolin Schwitter an der Bewertung einer Kaffeeplantage beteiligt war. Die Plantage sei so gross gewesen wie der Kanton Luzern. Der Treuhänder beobachtete, wie die Verkaufssumme unter den damals 27 Ministern aufgeteilt wurde. Ihre Anteile flossen auch auf Schweizer Konten. «Da habe ich mich als Schweizer geschämt», sagt Fridolin Schwitter. Nur ein Bruchteil landete in der Staatskasse in Kinshasa.

Der Vierwaldstättersee in Luzern.
Der Vierwaldstättersee in Luzern.

«Geld verdienen ist nichts Anrüchiges, aber man muss es mit Anstand verdienen», sagt Fridolin Schwitter. Mit 29 Jahren wurde er Finanzchef von Littau-Reussbühl im Kanton Luzern. In dieser Zeit hörte Fridolin Schwitter auf zu segeln und sattelte aufs Velo um. «Vielleicht war der Entscheid etwas trotzig. Aber ich hatte genug davon, überall der Sohn der Segelschulbesitzerin zu sein.» 

Zu Besuch bei Nelson Mandela

Seither hat Fridolin Schwitter mit Ausnahme von Australien alle Kontinente mit dem Velo bereist. Gefragt nach einer bleibenden Erinnerung, erzählt Fridolin Schwitter vom Gespräch mit Nelson Mandela an dessen Küchentisch.

Nelson Mandela im Jahr 1998 anlässlich einer Audienz bei Papst Johannes Paul II.
Nelson Mandela im Jahr 1998 anlässlich einer Audienz bei Papst Johannes Paul II.

Auf einer Führung durch das Anwesen des Anti-Apartheid-Kämpfers fuhr plötzlich Nelson Mandela im Auto vor. Beeindruckt von den Schweizern, die mit dem Velo unterwegs waren, lud der ehemalige Staatspräsident Fridolin Schwitter und dessen Begleiter zu sich ein. Nach einem Kaffee in der Küche fuhren die Schweizer weiter. Im Reisegepäck: unvergessliche Erinnerungen an den charismatischen Staatsmann.

Ein Netzwerk in Luzern

Rund zehn Jahre später, mit 39 Jahren, wählte der Luzerner Stadtrat Fridolin Schwitter zum Mitarbeiter für Wirtschaftsfragen. Als Wirtschaftsförderer in Luzern habe er in erster Linie zwischen Wirtschaft, Politik und Verwaltung vermittelt. 

Kirchlich könnte man es als «Bruder-Klaus-Engagement» interpretieren, sagt Fridolin Schwitter. In seiner Zeit entwickelte sich etwa der Verkehrsverein Luzern in die Tourismus AG. Fridolin Schwitter lernte das gesellschaftliche Luzern kennen. Man wusste, wie das «Netzwerk Luzern» funktioniert. Das half später, als er für die Kapuziner das Fundraising managte. (eme)


Fridolin Schwitters Aussicht bei der Arbeit. | © Eva Meienberg
26. Juli 2022 | 05:00
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