Der ukrainisch-katholische Priester Ivan Machuzhak.
Schweiz

Ukrainischer Priester zum Anschlag in Moskau: «Es gibt keine Hierarchie des Leidens»

Der Terrorangriff am letzten Freitagabend auf die Konzerthalle in der Nähe von Moskau forderte fast 140 Tote und über 180 Verletzte. Zum Anschlag bekannte sich die Terrororganisation Islamischer Staat. Wladimir Putin will aber weiterhin der Ukraine Schuld zusprechen. «Er verhält sich wie ein Fundamentalist, indem er den Glauben und die Religion für seine Macht instrumentalisiert», sagt der ukrainische Priester Ivan Machuzhak.

Sarah Stutte

Es gab im Vorfeld konkrete Hinweise auf einen Anschlag in Moskau. Diese wurden von der russischen Regierung ignoriert. Können Sie das nachvollziehen?

Ivan Machuzhak*: Nachvollziehen würde bedeuten, diese Handlungsweise in gewisser Weise auch mitzutragen. Aber das kann und will ich nicht. Putin und sein Gefolge hätten in diesem Konzertsaal miterleben sollen, was ihren Mitmenschen angetan wird. Vielleicht hätte er dann anders reagiert.

Warum hat er die Gefahr nicht ernster genommen? War es ihm schlichtweg gleichgültig?

Machuzhak: Vielleicht war es ihm so gleichgültig, wie der Luftangriff vor zwei Jahren auf das Theater in Mariupol, bei dem noch mehr Menschen starben. Die russische Regierung sucht nicht mehr nach der Wahrheit, sondern nur noch danach, den Gegner mit der als Wahrheit verkauften Lüge zu bedrohen. Das spüren die Menschen in Russland und wissen die Menschen in der Ukraine.

«Papst fand keine Worte für die Ukraine.»

Es macht den Anschein, dass die Opfer des Moskauer Anschlags und das Leid der Familien gar nicht im Vordergrund stehen, sondern sie vor allem im laufenden Krieg instrumentalisiert werden.

Machuzhak: Ja, sie werden instrumentalisiert. Das Leiden des ukrainischen Volkes und der Menschen, die vom Anschlag in Moskau betroffen sind, unterscheiden sich nicht. Es gibt keine Hierarchie des Leidens. Das Paradoxe ist: Dieselbe Regierung, die Leid bekundet, fügt anderen dieses zu. Wie gehen wir mit dieser Botschaft um?

Ivan Machuzhak gehört der mit Rom unierten ukrainischen griechisch-katholischen Kirche an.
Ivan Machuzhak gehört der mit Rom unierten ukrainischen griechisch-katholischen Kirche an.

Sogar der Papst hat sein Mitgefühl mit den russischen Opfern ausgedrückt. Ich wünschte mir, dass er in derselben Bekundung auch für die Ukrainerinnen und Ukrainer, die am gleichen Tag von russischen Raketen beschossen wurden, Worte gefunden hätte.

Auch nach dem Bekennerschreiben des IS will Putin weiterhin die Schuld an dem Terrorakt der Ukraine zuweisen und sie als Drahtzieher damit in Verbindung bringen. Finden diese Behauptungen in Russland Anklang?

Machuzhak: Putin hat nicht sein eigenes Volk im Blick, sondern spricht in die Welt hinaus. Er will nur Angst und Zweifel unter den Menschen säen, die der Ukraine helfen und sie unterstützen. Die Ukraine verübt keine hinterhältigen Verbrechen an Zivilpersonen, die nicht unmittelbar an diesem Konflikt mitwirken. Putin unterstellt aber allen anderen, dass sie nach dem Mass seiner eigenen moralischen Verwerflichkeit handeln würden.

«Putin ist kein glaubwürdiges Beispiel für einen Christen.»

Wie gefährlich ist das für die Ukraine? Sind nun noch massivere Bombardierungen zu befürchten?

Machuzhak: Die Ukraine ist schon so ausgeblutet –  grösseres Leiden kann Putin den Menschen dort gar nicht mehr zufügen. Dass er die Ukraine bis heute nicht bezwingen konnte, macht ihn ohnmächtig. Deshalb versucht er, das Land mit Lügen zu destabilisieren.

Ukraine-Krieg: Eine russische Panzergranate schlägt in einem Wohnblock ein.
Ukraine-Krieg: Eine russische Panzergranate schlägt in einem Wohnblock ein.

Putin zeigt sich in einer Kirche, in der er sich bekreuzigt und eine Kerze anzündet. Doch er ist kein glaubwürdiges Beispiel für einen Christen. Seine Mitmenschen sind ihm gleichgültig. Er handelt wie ein Fundamentalist, der den Glauben und die Religion instrumentalisiert. Diese zynische Haltung ist nicht zu überbieten.

«Können wir als Menschen und Christen schweigen?»

Wie geht es den ukrainischen Flüchtlingen in der Schweiz damit? Wie reagieren diese auf den Anschlag in Russland und die möglichen Folgen?

Machuzhak: Die Ukrainerinnen und Ukrainer in der Schweiz freuen sich natürlich nicht darüber, dass andere Menschen leiden. Aber Mitleid lässt sich auch nicht erzwingen. Die Anschläge des IS sind eindeutig zu verurteilen. Die Frage ist, ob das Schweigen zur Verantwortung für die Gewalt heutzutage noch verantwortbar ist. Nicht nur in Russland, sondern überall auf der Welt.

Papst Franziskus
Papst Franziskus

Können wir in der Schweiz, als neutrales Land, als Demokratie, als Menschen und Christen schweigen? Oder sollten wir nicht vielmehr gegen das Verbrechen der Menschlichkeit deutlicher Stellung beziehen, damit jeder Handel mit diesem Regime aufhört?

*Ivan Machuzhak (53) ist Priester der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche. Diese ist mit Rom uniert, feiert ihre Liturgie allerdings im byzantinischen Ritus. Machuzhak arbeitet als Spitalseelsorger im Kantonsspital Winterthur und in der Klinik im Park, Zürich, und engagiert sich für ukrainische Flüchtlinge. Ivan Machuzhak hat selbst Geschwister in der Ukraine, die im Westen des Landes leben. (sas)

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Der ukrainisch-katholische Priester Ivan Machuzhak. | © zVg
29. März 2024 | 12:00
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