Der ukrainische Priester Nazar Zatorskyy.
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Ukrainischer Priester kritisiert Alain Berset: Es geht um Selbstverteidigung, nicht um Kriegsrausch

Bundesrat Alain Berset steht wegen seiner Aussage in der Kritik, wonach es einen «Kriegsrausch in gewissen Kreisen» gebe. Der ukrainische Priester Nazar Zatorskyy wirft Berset eine Täter-Opfer-Umkehr vor: «Es geht um Selbstverteidigung, nicht um Kriegsrausch.»

«Weder die Ukraine noch die europäischen Länder haben diesen Krieg gewollt. Der Westen zögerte und zögert teilweise bis heute mit der Lieferung der für die Selbstverteidigung so dringend benötigten Waffen. 

Ich wünsche mir, dass Herr Berset in die Ukraine fährt und sich dort nicht die zerstörten Städte ansieht, denn die kann man relativ schnell wieder aufbauen. Sondern er soll der Beisetzung von Kriegsgefallenen beiwohnen, Kriegswaisen besuchen, mit Frauen und Kindern sprechen, die Opfer von Massenvergewaltigungen seitens der russischen Soldaten wurden. Alain Berset soll die gravierenden seelischen Traumata sehen, für deren Heilung Jahrzehnte benötigt werden. Dann wird er von seinem Friedensrausch ernüchtert. 

Alain Bersets Aussage wäre so, wie wenn man während des Zweiten Weltkriegs den Britinnen und Briten Kriegsrausch vorgeworfen hätte, die tagtäglich von den Deutschen bombardiert wurden.»

Der ukrainische Priester Nazar Zatorskyy und die oberste Reformierte Rita Famos entzünden Kerzen für den Frieden, Februar 2023
Der ukrainische Priester Nazar Zatorskyy und die oberste Reformierte Rita Famos entzünden Kerzen für den Frieden, Februar 2023

Nazar Zatorskyy (43) ist Priester der ukrainisch griechisch-katholischen Kirche, die ein Teil der katholischen Kirche ist. Zatorskyy ist Nationalkoordinator der ukrainischen Seelsorge in der Schweiz und unter anderem in Zürich und Basel tätig. Ausserdem ist er Doktorand an der Universität Freiburg i.Ü.

Nazar Zatorskyy äussert sich gegenüber kath.ch zu folgenden Aussagen von Bundesrat Alain Berset in der «NZZ am Sonntag»

«NZZ am Sonntag: Sie haben gegenüber «Le Temps» gesagt, Sie seien besorgt über den derzeit vorherrschenden «Kriegsrausch», auch bei ehemaligen Pazifisten. Ist das eine Kritik an Ihrer Partei, der SP, die sich neuerdings für die Weitergabe von Waffen an die Ukraine ausspricht?

Bundesrat Alain Berset: Nein, es war eine Reaktion auf das, was ich in vielen Ländern beobachte. Das aktuelle Klima erinnert an das Klima zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Es herrschte damals die Meinung vor, es gebe so viele Spannungen und Frustrationen, dass sich dies nur in einem Krieg entladen könne – und viele Leute waren von dieser Vorstellung begeistert.

NZZ am Sonntag: Und Sie sehen Parallelen zu heute? 

Berset: Ich spüre auch heute diesen Kriegsrausch in gewissen Kreisen. Und darüber bin ich sehr besorgt. Denn dieses Gefühl beruht auf einer kurzfristigen Sicht. Dabei muss man immer langfristig denken: Was wollen wir für eine gemeinsame Zukunft auf diesem Kontinent? Damit meine ich nicht, dass es keine starke und klare Reaktion braucht auf einen Angriff. Aber sie muss rational sein und die langfristigen Ziele im Auge behalten.» (rr) 


Der ukrainische Priester Nazar Zatorskyy. | © Christian Merz
14. März 2023 | 09:39
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