Anastasiia Onufriv
Schweiz

Ukrainische Klimaaktivistin kritisiert in Davos Patriarch Kyrill

Anastasiia Onufriv (32) ist Teil der Klimabewegung «Fridays for Future» in der Ukraine. Sie nimmt am Weltwirtschaftsforum in Davos teil und fordert einen radikalen Systemwechsel. Statt Kriegshetze fordert sie von Patriarch Kyrill ökologisches Engagement à la Franziskus.

Raphael Rauch

In der Ukraine herrscht Krieg – und Sie streiken in Davos fürs Klima. Warum?

Anastasiia Onufriv*: Russlands Krieg gegen meine Heimat ist entsetzlich. Aber wir dürfen die grossen Zusammenhänge nicht vergessen. Der Krieg hat auch eine wirtschaftliche Dimension. Putin versucht, Europa mit Gaslieferungen zu erpressen. Fossile Rohstoffe waren immer wieder Grund für Kriege. Erneuerbare Energien sind nicht nur gut fürs Klima, sondern machen die Welt auch friedlicher.

"Aufhören mit dem Töten in der Ukraine! Jetzt das vollständige Embargo verhängen!", schreibt Anastasiia Onufriv auf die Strasse in Davos.
"Aufhören mit dem Töten in der Ukraine! Jetzt das vollständige Embargo verhängen!", schreibt Anastasiia Onufriv auf die Strasse in Davos.

Die Grosskonzerne, die nach Davos kommen, scheinen sich für diese Botschaft nicht zu interessieren.

Onufriv: Die Unternehmen fürchten um ihren Wohlstand. Dabei gibt es genügend Geld und Technologie, um den Systemwandel einzuleiten. Die Abhängigkeit von Putins Gas ist eine hohle Ausrede. 

«Putin ist für einen Ökozid verantwortlich.»

Medien berichten vor allem über Todeszahlen. Welche ökologische Dimension hat der Krieg in der Ukraine?

Onufriv: Der Krieg ist auch in ökologischer Hinsicht eine Katastrophe. Russland droht mit einem Atomkrieg und greift auch die Tschernobyl-Area an. Russland hat die Stahlfabrik in Mariupol beschossen. Hochgiftige Chemikalien gelangen ins Meer. Putin ist für einen Ökozid verantwortlich.

Anastasiia Onufriv
Anastasiia Onufriv

In Davos treffen Sie auf die führenden Vertretenden des Kapitalismus. Warum sollten die auf Sie hören?

Onufriv: Wir müssen unser System ändern. Wir leben alle auf Pump. Wir produzieren viel zu viel und werfen alles weg. Dabei haben wir begrenzte Ressourcen. Wir brauchen eine nachhaltige Wirtschaft. Und wir müssen das Thema «Wellbeing» viel stärker in wirtschaftlichen Berechnungen berücksichtigen. Statt Wachstum um jeden Preis sollte «Wellbeing» das Ziel sein.

Verdorrtes Feld von Sonnenblumen in der Ukraine wegen des Kriegs.
Verdorrtes Feld von Sonnenblumen in der Ukraine wegen des Kriegs.

«Ich habe Felder von vertrockneten Sonnenblumen gesehen. Das hat mir das Herz zerrissen.»

Wie stark ist die Gruppe «Fridays for Future» in der Ukraine?

Onufriv: Wir sind nur eine kleine Gruppe. Das Thema Klimawandel ist bei den Menschen in der Ukraine noch nicht angekommen, obwohl sich auch in der Ukraine der Klimawandel längst bemerkbar macht. Ich bin mit dem Velo durch die Ukraine geradelt und habe mit verschiedenen Bauern gesprochen. Sie haben mit extremer Trockenheit, aber auch mit Überschwemmungen zu kämpfen. Ich habe Felder von vertrockneten Sonnenblumen gesehen. Das hat mir das Herz zerrissen.

Anastasiia Onufriv
Anastasiia Onufriv

Was denken Sie über Patriarch Kyrill?

Onufriv: Ich bin entsetzt. Wie kann ein Religionsführer Waffen und Panzer segnen? Kyrill sollte sich für den Frieden einsetzen und nicht Putins Krieg legitimieren.

Der russische Patriarch Kyrill in der Osternacht.
Der russische Patriarch Kyrill in der Osternacht.

Was denken Sie über Papst Franziskus?

Onufriv: Ich finde es super, dass ihm ökologische Themen am Herzen liegen. Über die Klima-Bewegung kam ich mit einem griechisch-katholischen Priester in Kontakt. Er arbeitet in einem kirchlichen Büro für Ökologie-Fragen in der Ukraine. Ich bin froh, dass der Papst sich fürs Klima engagiert und wäre froh, wenn Patriarch Kyrill das auch täte!

«Ich habe meine Heimat Mitte März verlassen.»

Wann sind Sie aus der Ukraine geflohen?

Onufriv: Ich habe meine Heimat Mitte März verlassen, als der Krieg auch den Westen des Landes erreicht hat. Ich wohne jetzt in der Nähe von Leipzig.

In Davos ist vom Krieg wenig zu spüren. Sie blicken auf hübsche Berge, grüne Wiesen und Löwenzahn. Wie geht’s Ihnen damit?

Onufriv: Es ist wunderschön hier. Die Landschaft erinnert mich ein wenig an das Karpaten-Gebirge in meiner Heimat. Trotzdem ist es eine absurde Situation: In meiner Heimat herrscht Krieg – und ich lebe gerade in einer parallelen Realität. Emotional macht es mich manchmal wütend, wenn Menschen in Europa ausgelassen feiern. Aber rational betrachtet geht das Leben einfach weiter.

* Die ukrainische Klimaaktivistin Anastasiia Onufriv (32) ist Teil der Bewegung «Fridays for Future». Sie nimmt am Weltwirtschaftsforum in Davos teil. Eigentlich arbeitet sie als Englisch- und Ukrainisch-Lehrerin. Mitte März ist sie von der Ukraine nach Deutschland geflüchtet.


Anastasiia Onufriv | © Raphael Rauch
22. Mai 2022 | 18:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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