Felix Hunger, Josef Regli, Monika Schmid (barfuss) und Stefan Arnold am Abschiedsgottesdienst von Monika Schmid.
Schweiz

«Tut dies zu meinem Gedächtnis!»: Monika Schmid verabschiedet sich von ihrer Pfarrei

«Wenn es dich nicht gäbe, müsste man dich erfinden»: Die Pfarrei St. Martin in Illnau-Effretikon hat die Gemeindeleiterin Monika Schmid (65) verabschiedet. Mit Tränen in den Augen dankte sie für 37 schöne Jahre. Und sie tat das, was laut ihr viel mehr Frauen tun sollten: sie konzelebrierte.

Eva Meienberg

Monika Schmid (65) steht mitten unter den vielen Gottesdienstbesuchenden in St. Martin in Effretikon. Es ist ihr Abschiedsgottesdienst nach 37 Jahren. Die Kirche ist vollbesetzt. Alle rutschen zusammen, es ist eng und wird immer wärmer.

Monika Schmid begrüsst die Neuankommenden. Die Umarmungen dauern lange, Tränen kullern über Wangen. Dann läuten die Glocken und Ruhe kehrt ein.

Abschied

An diesem Sonntagmorgen steht eine sichtlich überwältigte Monika Schmid im Zentrum eines langen, festlichen und sehr emotionalen Abschiedsgottesdienstes. Viele Pfarreiangehörige, Familien und Freunde von Monika Schmid wollen sich verabschieden.

Rund 30 Ministrantinnen und Ministranten ziehen in die Kirche ein. Auch ehemalige Minis sitzen da in ihrem weissen Gewand, gestandene Männer und Frauen, aber auch die aktiven Minis, Kinder und Jugendliche. Heute ministrieren sogar Mutter und Tochter. Monika Schmid hat Familien über Jahre begleitet, Kinder getauft, Paare getraut.

Monika Schmid und ihre rund 30 Minis am Abschiedsgottesdienst
Monika Schmid und ihre rund 30 Minis am Abschiedsgottesdienst

Der Kinder- und Familienchor singt zum Einzug ein afrikanisches Lied. Monika Schmid geht zum Altar. In der Hand hält sie einen schlichten, hölzernen Stab. Der Kapuziner-Pater Josef Regli, der seit vielen Jahren an hohen kirchlichen Festen in Effretikon Eucharistie feiert, begleitet sie. Ebenso Monika Schmids Nachfolger, der Priester Felix Hunger, sowie die Theologin Marion Grabenweger. Diakon Stefan Arnold trägt eine Regenbogen-Stola. Die fällt kaum auf ob all der bunten Kirchenfenster und Blumenbouquets.

Barfuss auf heiligem Boden

Dann zieht das ganze Liturgie-Team die Schuhe aus und stellt sie unter den Kerzenleuchter. Dieser symbolisiert den brennenden Dornbusch, aus dem Gott zu Moses gesprochen hat: «Zieh deine Schuhe aus, hier ist heiliger Boden.» Dieser Lesungstext und das nachfolgende Evangelium, wo eine unbekannte Frau Jesus zum König der Liebe salbt, zählen zu Monika Schmids Lieblingsstellen aus der Bibel.

Die Schuhe ausgezogen auf Heiligem Boden
Die Schuhe ausgezogen auf Heiligem Boden

Heiligen Boden habe sie unter den Füssen gespürt, wenn sie getauft, getraut und getröstet habe, sagt Monika Schmid in ihrer Predigt. Oder wenn sie gemeinsam mit Pfarreiangehörigen die Lebensmitteltaschen für Bedürftige an die Zürcher Langstrasse gebracht habe.

Ausgerechnet Augustinus

Monika Schmid schliesst während des Gottesdienstes immer wieder die Augen, als ob ihr jemand etwas in die Hände legen würde. Barfuss steht sie auf ihrem heiligen Boden. Immer wieder sind da Tränen. Immer wieder fängt sie sich und findet zurück in ihre Rolle als Gemeindeleiterin. Die füllt sie mit einer strahlenden, kraftvollen, mütterlichen Präsenz aus.

Die St. Martinskirche war voll besetzt.
Die St. Martinskirche war voll besetzt.

Ausgerechnet am Tag des Kirchenvaters Augustinus feiere sie ihren Abschied, sagt Monika Schmid. Augustinus habe nicht gerade zu einem positiven Frauenbild und einer gesunden Sexualmoral in der Kirche beigetragen. Dennoch bete sie jeden Abend sein Gebet: «Unruhig ist unser Herz, bis, dass es ruht in dir o Gott.»

Dank und die Bitte um Verzeihung

Monika Schmid bedankt sich immer wieder. Und sie bittet wiederholt um Verzeihung für Brüche, die es gegeben habe. «Es ist die Liebe, die zählt», sagt Monika Schmid. Liebe muss man ausschütten. So wie die Frau, die Jesus mit ihrem kostbaren Öl überschüttet habe. Liebe kann man nicht verschütten.

In der Pfarrei St. Martin habe sie viel Liebe erfahren und habe sich dabei entfalten können. «Dem Vergangenen sei Dank, dem Zukünftigen ein Ja!» Die letzte Predigt der Gemeindeleiterin wird mit Ovationen im Stehen gewürdigt.

Der Platz am Altar

Monika Schmid hat nie einen Hehl daraus gemacht, wo sie ihre Rolle in der Kirche sieht: auch am Altar, auch im Brechen des Brotes im Auftrag Jesu: «Tut dies zu meinem Andenken.»

Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.
Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.

Blockflöte, Orgel und Cello begleiten die Gabenbereitung. Monika Schmid steht mit Marion Grabenweger, Josef Regli, Felix Hunger und Stefan Arnold am Altar. Sie feiern das Mahl, wie es Jesus mit seinen Jüngerinnen und Jünger einst gefeiert hat. Monika Schmid spricht die Einsetzungsworte mit. Dass eine Frau konzelebriert? Courant normal in Effretikon. «Tut dies zu meinem Gedächtnis!»

Nach einem mehrstimmigen «Heilig» versammeln sich alle Ministrantinnen und Ministranten um den Altar für das Vaterunser. «Mütterlicher und väterlicher Gott im Himmel», beginnt Felix Hunger das Gebet. Monika Schmid schliesst es gemeinsam mit allen Anwesenden mit einem dreifachen Shalom ab. Der Friedensgruss verklingt wie ein Jubel.

Die Flügel entfalten

Nach der Kommunion bedankt sich Monika Schmid bei Marion Grabenweger für die Organisation der Feierlichkeiten. Die Theologin sei vor drei Jahren ins Team von St. Martin mit gestutzten Flügeln gestossen. Bei ihrem vormaliger Pfarrer hatte sie keine Chance als Frau, sagt Monika Schmid. In den vergangenen drei Jahren habe Marion Grabenweger ihre Flügel entfaltet. «Ich vertraue auf dich, auf dein Frausein in dieser Gemeinde», ermutigt sie ihre Kollegin. Marion Grabenweger bedankt sich für das Vertrauen bei der «besten Lehrmeisterin».

Immer wieder kommt auch das Kämpferische durch, wenn etwa Monika Schmid erzählt, wie sie in der Pfarrei die geteilte Gemeindeleitung mit Annemarie Siegrist erkämpft hätten. «Für eine gute Sache muss man immer kämpfen.» Es ist die gleiche Monika Schmid, die sagt: «Ich war nach aussen so mutig und innen so ängstlich.»

Rund 20 Jahre lang hat Monika Schmid in der Pfarrei eng mit Annemarie Siegrist zusammengearbeitet. Als 2008 der Konflikt mit Bischof Vitus Huonder eskalierte, schenkte Annemarie Siegrist ihrer Kollegin und Freundin den Bohnenstickel mit den Worten: «Du bist eine Hirtin und du bleibst es.» Vor einiger Zeit sagte sie zu Monika Schmid: «Es ist an der Zeit, loszulassen.»

Gemeindeleiterin Monika Schmid zieht mit ihrem Hirtinnenstab in der Kirche St. Martin in Effretikon zu ihrem Abschiedsgottesdienst ein.
Gemeindeleiterin Monika Schmid zieht mit ihrem Hirtinnenstab in der Kirche St. Martin in Effretikon zu ihrem Abschiedsgottesdienst ein.

Den Hirtinnenstab hat nun Felix Hunger bekommen. «Ich weiss, du bist ein guter Hirte», sagt Monika Schmid. Der Stab sei mit der Erde verbunden – wie die Spiritualität in St. Martin. Und dennoch rage er zum Himmel hinauf, sagt Felix Hunger.

Mit dem Stab sei der heilige Boden von den Menschen in St. Martin beackert worden. Notfalls könne er auch ein bisschen fuchteln mit dem Stab, um Kräfte zu verscheuchen, die dem weiten Himmel über der Gemeinde entgegenwirkten, sagt der neue Pfarradministrator von St. Martin.

Annemarie Siegrist überreicht Monika Schmid schliesslich einen Bergkristall aus dem Urnerland. Er solle Monika Schmid an ihr funkelndes Charisma und an ihre Feinfühligkeit erinnern. In einem Film wenden sich Gemeindemitglieder an Monika Schmid.

Stimmen aus der Gemeinde

«Du bist eine coole Frau, Monika.»

«Du hast eine Pfarrei aufgebaut, die mir Heimat wurde.»

«Du hast dich mit all deinen Kräften eingesetzt, danke.»

«Ohne deine kritischen Äusserungen wäre ich aus der Kirche ausgetreten.»

«Ich liebe deine Tatkraft.»

«Wenn es dich nicht gäbe, müsste man dich erfinden.»

Ein Lied auf den Weg

Ein weiterer Höhepunkt ist ein eigens für Monika Schmid umgeschriebenes Lied zur Melodie von «Don’t worry, be happy» von Bobby McFerrin. Schnipsend und pfeifend singt das Pfarrei-Team die lockere Melodie, um ihrer Leiterin den Abschied etwas leichter zu machen.

Aber leicht fällt er sichtlich nicht. Alle versichern ihr, dass sie jeder Zeit willkommen sei in St. Martin. Ein letztes Lied wird angestimmt. Das Lieblingslied von Monika Schmid: «Bis wir uns wiedersehen, halte Gott dich fest in seiner Hand.»


Felix Hunger, Josef Regli, Monika Schmid (barfuss) und Stefan Arnold am Abschiedsgottesdienst von Monika Schmid. | © Seraina Boner
28. August 2022 | 19:56
Lesezeit: ca. 5 Min.
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