Friedhof Friedental Luzern
Schweiz

«Tote freuen sich vielleicht über Leben auf dem Friedhof»

Zürich, 2.11.17 (kath.ch) Darf man auf einem Friedhof joggen? Ist Velofahren erlaubt? Darf man auf freien Grünflächen eines Friedhofs ein Rockkonzert durchführen? Vor solchen Fragen stehen Friedhofsämter in der Stadt und auf dem Land zunehmend. kath.ch hat die Grenzen des Erlaubten ausgelotet.

Sylvia Stam

Ein sonniger Herbstnachmittag auf dem grössten Friedhof von Luzern. Beim schmiedeeisernen Eingangstor hängt ein Fahrverbot; am Schild, das den Weg zum Krematorium weist, prangt ein Wanderwegzeichen. Zwei ältere Frauen mit einem Hund an der Leine laufen auf das Gemeinschaftsgrab zu, sie setzen sich auf eine Bank, wo sie sich längere Zeit unterhalten. Ein junger Mann mit Stöpseln in den Ohren joggt den Hügel hinunter in Richtung Rotsee, nur kurze Zeit später strampelt ein behelmter Velofahrer an den Gräbern vorbei denselben Hügel hoch.

Augenmass ist gefragt

Beim städtischen Friedhofsamt beobachtet man solche Aktivitäten mit einem gewissen Augenmass. Auf den Hauptwegen des Friedhofs Friedental sei Joggen oder Velofahren im Schritttempo erlaubt, sagt Pascal Vincent, Leiter Friedhof der Stadt Luzern, solange Friedhofsbesucher dadurch nicht gefährdet würden. Auch Hunde dürften an der Leine mitgenommen werden. Auf den Sitzbänken, von denen es auffallend viele gibt, dürfen Besucher auch ein Mittagessen zu sich nehmen. «Menschen kommen, um zu lesen, zu fotografieren oder zu zeichnen, Schulklassen besuchen die Schafe, die auf den Grünflächen des Friedhofs weiden», so Vincent. Wenn Kinder in Begleitung ihrer Eltern auf dem Friedhof spielten, sei dies ebenfalls kein Problem, solange sich der Lärm in Grenzen halte und keine Gräber beschädigt würden.

Dass Jogger eine Trauergemeinde durchquert hätten, sei noch nie vorgekommen, so Vincent. Der Respekt vor Trauernden und das Bewusstsein für eine ruhige Atmosphäre auf einem Friedhof ist seiner Meinung nach bei den meisten Besuchern vorhanden.

Ein Friedhof soll kein Museum sein

Dies bestätigt auch Rolf Steinmann, Leiter des Zürcher Bestattungs- und Friedhofamts. «Der weitaus grösste Teil der Friedhofsbesucher weiss, wie man sich hier benimmt», sagt er auf Anfrage. Hilfreich sei die Einfriedung: «Man realisiert, dass man an einem anderen Ort ist» – anders als der städtische Alltag mit seinen Lärmemissionen. Vielen Leuten sei bewusst, dass die Ruhe auf Friedhöfen auch eine Qualität ist. Genau dies zu vermitteln, ist Steinmann ein grosses Anliegen.

Mit gesundem Menschenverstand ist vieles möglich.

Entsprechend pragmatisch geht er mit der Frage nach «erlaubt und nicht erlaubt» um. Fürs Velofahren und Joggen gebe es keine gesetzliche Grundlage. Ein Jogger am frühen Morgen störe niemanden, tagsüber hätten Jogger auf dem Friedhof schon Reaktionen anderer Besucher ausgelöst. Die Angestellten des Friedhofs reagierten unterschiedlich, einige seien toleranter als andere. Das kantonale Hundegesetz verbiete es, Hunde auf den Friedhof mitzunehmen. Beim Picknick sieht Steinmann keine Probleme, solange der Abfall nicht liegen bleibe.

Er selbst ist der Meinung, dass ein Friedhof kein Museum sein soll. «Manche Tote würden sich vielleicht über etwas Leben auf dem Friedhof freuen», so Steinmann. Entsprechend soll «mit gesundem Menschenverstand vieles möglich sein».

Fahrverbot auf dem Friedhof aufgehoben

Etwas kritischer sieht das Aldo Moschetti, Gemeindeschreiber und Friedhofsverwalter in Brunnen im Kanton Schwyz. «Früher wussten die Leute, wie man sich auf dem Friedhof benimmt», ist seine erste Reaktion auf die Frage der Journalistin. Es gebe Jogger und Velofahrer auf dem Friedhof, der unterhalb des Klosters Ingenbohl liegt. Selbst Klosterfrauen stiegen nicht immer vom Velo herunter, weiss Moschetti. «Ich bin kein Fan von Verboten», sagt er jedoch, entsprechend sei man bisher auch nicht eingeschritten. Dies würde erst nötig, wenn Friedhofsbesucher sich gestört fühlten. «Bisher gab es jedoch keine Reklamationen.»

Von kirchlicher Seite bestätigt man, dass Friedhofsbesucher sich bewusst sind, wo sie sich befinden. «Die Menschen hier sind noch sehr kirchenaffin», sagt Stefan Mettler, Pastoralassistent in Brunnen. «Sie stehen zur Seite, wenn ein Trauerzug zum Grab zieht.» Das Fahrverbot auf dem Friedhof wurde in Folge der Quartierentwicklung entfernt, um den Schulweg der Kinder sicherer zu machen. Doch selbst Kinder, die nun mit dem Velo über den Friedhof führen, würden ihr Tempo anpassen, so Mettler.

Auf einem Friedhof spielt man nicht.

Auch Joachim Schwarz hat in seinen 17 Jahren in der Pfarrei Heilig-Kreuz in Zürich Altstetten nicht erlebt, dass eine Trauergemeinde durch Freizeitaktivitäten von Drittpersonen gestört worden wäre. «Jogger waren da, aber sie kamen nie so nahe, dass es gestört hätte», sagt der Pastoralassistent gegenüber kath.ch. Er erinnert daran, dass nach christlicher Vorstellung die Auferstehung auf den Tod folgt. «Im Mittelalter hat man auf Friedhöfen getanzt!», ruft er daher in Erinnerung.

Die freien Flächen nehmen zu

Dennoch sieht er Grenzen in der Frage, was auf einem Friedhof erlaubt sein soll. In einem Abdankungsgottesdienst sei vieles möglich, auch Tanz oder ein Rockkonzert, wenn dies in Bezug zum Verstorbenen stehe. Der Friedhof sei jedoch ein öffentlicher Ort, laute Musik würde hier die Allgemeinheit stören. Ähnliches gilt für Schwarz auch für Spiele wie Fussball oder Boccia. «Auf einem Friedhof spielt man nicht. Das passt nicht zum Respekt vor den Verstorbenen», sagt er dezidiert.

Vor solchen Fragen stehen vor allem grössere städtische Friedhöfe zunehmend, weil ihre Grünflächen infolge rückläufiger Einzelgräber zunehmen. In der Stadt Zürich lässt sich laut Steinmann heute etwa jede neunte Person kremieren, jede vierte wählt ein Gemeinschaftsgrab. Im katholischen Luzern sind es laut Vincent 90 Prozent Kremationen, davon wählt etwa die Hälfte ein Gemeinschaftsgrab.

Für kulturelle Veranstaltungen genutzt

Auf dem grössten Zürcher Friedhof Sihlfeld wird der mittlere Teil, das so genannte «Feld C», schon seit 30 Jahren als Grünanlage für ruhige und pietätvolle Aktivitäten genutzt. Entsprechend finden hier auch kulturelle Veranstaltungen statt, im Rahmen des Friedhof Forums. Als Grundsatz gelte, dass eine Veranstaltung zum Thema passen müsse, so Steinmann. Der Friedhof soll ein «Ort der Ruhe und Besinnung» bleiben, und die Veranstaltungen sollen «eine gewisse Qualität» aufweisen». Eine Fasnachtsveranstaltung komme nicht in Frage, so der Zürcher, aber Lesungen, Konzerte oder Ausstellungen fänden bereits statt.

Auch in Luzern sind der Lärmpegel sowie eine gewisse thematische Nähe zum Friedhof die Kriterien für kulturelle Anlässe auf dem Friedhof. Pascal Vincent kann sich Kunstausstellungen eher vorstellen als ein Rockkonzert, eine Museumsnacht ist ebenso denkbar wie ein Freilichtspiel zum Thema Totentanz.

Durch solche Aktivitäten soll der Friedhof vermehrt auch zur Begegnungsstätte werden. Steinmann sieht gar eine noch weiterreichende Wirkung. Er hofft, dass auf diesem Weg «der Umgang mit dem Tod in unserer Gesellschaft wieder normaler wird.»

Friedhof Friedental Luzern | © Sylvia Stam
2. November 2017 | 07:08
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Ruhige Übergangszone in Bern

Die Stadt Bern ist in Fragen der Umnutzung von Friedhöfen einen Schritt weiter. Seit einem halben Jahr gibt es hier eine «Wiese der Ruhe, Erholung und Meditation». Sie liegt zwischen einem Quartierpark und dem eigentlichen Friedhof.

Die Wiese befindet sich auf einem alten Teil des Friedhofs, wo keine Gräber mehr liegen, sagt Walter Glauser, Bereichsleiter der städtischen Friedhöfe Bern, gegenüber kath.ch. Auf der mit Sträuchern und alten Baumbeständen bestückten Wiese darf man eine Decke am Boden ausbreiten, um darauf zu picknicken, Yoga, Tai-Chi und andere Meditationsformen sind auch in Gruppen erlaubt. Nicht erwünscht seien hingegen für alle hörbare Musik, Ballspiele oder Sport wie Jogging oder Velofahren. Die Wiese sei mit mobilen Stühlen und Bänken möbliert, damit man sich an die Sonne setzen kann.  Diese Regeln würden so kommuniziert, in diesem ersten Sommer sei die Wiese an Freitagen und Samstagen auch betreut worden. Die Bevölkerung habe die Regeln nun verstanden und respektiere sie, so Glauser. Entsprechend verlasse man sich nun auf eine gewisse Selbstkontrolle. (sys)