Thomas Wallimann, Theologe und Sozialethiker.
Schweiz

Thomas Wallimann: «Katholische Soziallehre ist der Diamant der christlichen Ethik»

Das Institut Ethik22 muss mehr Geld verdienen, weil die finanzielle Unterstützung durch die Kirche wegfällt. «Künftig werden wir Werbung machen müssen», sagt Thomas Wallimann (59). Obschon er von der katholischen Soziallehre begeistert ist, will er das Katholische nicht in den Vordergrund rücken. «Damit kriege ich wenig Blumen.»

Barbara Ludwig

Für das sozialethische Institut Ethik22 beginnt ab kommendem Jahr eine neue Ära. Es muss ohne kirchliche Fördergelder auskommen. Das haben die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) und die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) bereits 2021 entschieden.

Ein Drittel nicht-kirchliche Kunden

Ethik22 wurde 2017 als Nachfolgeorganisation des Sozialinstituts der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) gegründet. Zwei Drittel der Aufträge stammen von kirchlichen Organisationen – darunter Pfarreien und Dekanate –, ein Drittel von ausserkirchlichen, sagt Thomas Wallimann, Leiter von Ethik22, auf Anfrage.

Die Begriffe Solidarität, Verantwortung, Ehrlichkeit, Anteilnahme, Respekt, Kooperation, Wertschätzung, Akzeptanz, Toleranz und Partizipation
stehen auf einer Treppe.
Die Begriffe Solidarität, Verantwortung, Ehrlichkeit, Anteilnahme, Respekt, Kooperation, Wertschätzung, Akzeptanz, Toleranz und Partizipation stehen auf einer Treppe.

Während die kirchlichen Kunden in der Regel bei Bildungsveranstaltungen oft sparen wollten, bezahlten Kunden ausserhalb des kirchlichen Bereiches Marktpreise. «Unternehmen sind bereit, für einen Vortrag 1000 bis 1500 Franken zu bezahlen. Für kirchliche Kunden waren in der Vergangenheit oft 500 Franken bereits zu viel», so der Theologe und Sozialethiker.

Grosses Netzwerk

Mit dem Wegfall der RKZ-Finanzierung werde es nicht mehr möglich sein, Dienstleistungen für kirchliche Organisationen zu viel niedrigeren Preisen als Marktpreise anzubieten, sagte Wallimann letzte Woche gegenüber kath.ch.

Viele Aufträge kann der Leiter des Instituts, der von einem dreiköpfigen Team unterstützt wird, dank seines mittlerweile grossen Netzwerkes an Land ziehen. Das war etwa beim Auftrag des Bundesverwaltungsgerichts der Fall. Mit 73 Richterinnen und Richtern ist es das grösste eidgenössische Gericht der Schweiz.

Expertise fürs Bundesverwaltungsgericht

2011 hat es eine Ethik-Charta verabschiedet. Wallimann, damals noch Leiter des KAB-Sozialinstituts, hat den Prozess der Entstehung als Experte und Mitglied einer Arbeitsgruppe von Richterinnen und Richtern begleitet.

Das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen hat sich eine Ethik-Charta gegeben.
Das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen hat sich eine Ethik-Charta gegeben.

2022 schliesslich leitete Ethik22 einen Workshop für das Gericht. Thema war die Umsetzung dieser Charta in den Arbeitsalltag. «Am Worksthop, der eineinhalb Tage dauerte, nahmen etwa 60 Richterinnen und Richter teil», berichtet Wallimann.

Wallimann kann nicht sagen, welche Elemente der Charta auf seine Expertise zurückgehen. «Vieles geschieht bei der Erarbeitung der Texte. Mit unserer ethischen Expertise helfen wir Kundinnen und Kunden, ihre Werte freizulegen. Es geht darum, dass man von Meinungen zu Haltungen kommt und diese Haltungen basierend auf den eigenen Wertvorstellungen begründen kann», erklärt der Sozialethiker.

Instrumente für Ethik im Spital entwickeln

Aktuell engagieren sich Wallimann und sein Team in einem Ethikprojekt eines Spitals. Dabei begleiten sie eine Arbeitsgruppe der betreffenden Klinik. Die Spitalverantwortlichen seien sich bewusst, dass man in der Pflege immer wieder mit ethischen Fragen konfrontiert werde, so Wallimann. Aber ihnen fehlten die Instrumente, um die Arbeit im Spital an ethischen Prinzipien auszurichten. «Wir helfen ihnen, diese Instrumente zu entwickeln.»

Im Umgang mit Patientinnen und Patientinnen stellen sich ethische Fragen.
Im Umgang mit Patientinnen und Patientinnen stellen sich ethische Fragen.

Dabei gehe es nicht nur um «ethischen Fragen am Patientenbett», sondern auch um strukturelle Elemente: Gibt es eine Ethikgruppe? Wo soll man sie ansiedeln? Soll Ethik einen Einfluss auf den Umgang mit dem Personal haben, zum Beispiel die Arbeitsbedingungen und die Einsatzpläne?

«Ich bin in der Tradition der katholischen Soziallehre gross geworden.»

Thomas Wallimann

Das Institut stellt sich auf eine Zukunft ohne RKZ-Gelder ein. Wird es künftig gezielt Werbung für Dienstleistungen bei nicht-kirchlichen Organisationen machen? «Bislang haben wir dies nicht machen müssen. Das wird neu auf uns zukommen», sagt Wallimann. Man sei dabei, mit dem Vorstand des Trägervereins und Spezialisten ein Werbekonzept zu erarbeiten.

Wird das Institut dabei explizit mit der katholischen Soziallehre werben? «Ich bin Theologe und in der Tradition der katholischen Soziallehre gross geworden. Ich halte sie für den Diamanten der christlichen Ethik», antwortet Wallimann. Und fügt hinzu,  leider hätten die Kirchenleute keine Ahnung davon, wo überall die katholische Soziallehre wirksam sei.

Das Katholische nicht an die grosse Glocke hängen

Der 59-Jährige steht also zu seinen Wurzeln. Aber er will das Katholische nicht an die grosse Glocke hängen. Es sei eine Frage der Klugheit, wie man in einem Umfeld, im dem die Reputation der katholischen Kirche gegen den Nullpunkt sinke, über das spreche, was einem wichtig sei. «Ich weiss inzwischen, dass ich mit katholisch wenig Blumen kriege.»

Trotzdem: Wallimann ist überzeugt, dass die Wegweiser der katholischen Soziallehre auch in Zukunft zur Orientierung beitragen können. Die Herausforderung sei, wie man das in die Welt hinaus trage. Der Leiter von Ethik22 versichert: «Daran arbeiten wir.»

Box Botschaften, Bildung und Beratung

Die Dienstleistungen von Ethik22 gliedern sich in drei Bereiche. Mit sogenannten Botschaften schaffe das Institut Raum für den Dialog über Werte und aktuelle Themen, wie Leiter Thomas Wallimann erklärt.

Dazu zählen Artikel und Vorträge, die sich sowohl an ein kirchliches als auch ein ausserkirchliches Publikum richten. Zudem erstellt das Institut eigene Medienprodukte, etwa die sozialethischen Orientierungen zu eidgenössischen Abstimmungen, das Magazin und eine Online-Radiosendung, die jeden Mittwochabend live ausgestrahlt wird.

Der Bereich Bildung umfasst Tagungen, Workshops, Lehraufträge und Weiterbildungen – gerade auch für kirchliche Kunden. Damit wolle man Menschen und Institutionen befähigen, ihre Werte ins tägliche Leben einzubringen, so Wallimann. Das dritte Standbein sind die Beratungen. Diese werden mehrheitlich von nicht-kirchlichen Organisationen in Anspruch genommen. (bal)

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Thomas Wallimann, Theologe und Sozialethiker. | © zVg
3. Mai 2024 | 12:00
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