René Schaberger (links) ist Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler zugleich.
Schweiz

Theologie und Theater: Was Putins Krieg mit dem Schöpfungsmythos zu tun hat

Zwei Doktoranden der Theologischen Hochschule Chur haben ein Stück über den babylonischen Schöpfungsmythos geschrieben. Putins Angriff auf die Ukraine hat die Entstehung des Theaterstücks überschattet. René Schaberger (34) ist überzeugt: «Der Triumphalismus wird nicht siegen.» Am Donnerstag ist Premiere.

Beate Laurenti

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Theaterstück zu schreiben?

René Schaberger*: Der babylonische Weltschöpfungsmythos Enūma eliš ist mehr als 3›000 Jahre alt. Als wir uns in einer Vorlesung an der Hochschule damit befasst haben, hat sich herausgestellt, dass solche Erzählungen schon damals aufgeführt wurden. Claude Bachmann hatte dann die Idee: Wir müssen die Geschichten Enūma eliš und Genesis auf die Bühne bringen. 

René Schaberger
René Schaberger

Was heisst «Enūma eliš»?

Schaberger: Das sind die ersten Worte des Mythos und bedeuten «als oben». Die Niederschrift ist in altbabylonischer Keilschrift überliefert.

Adam und Eva im Paradies: Glasfenster der Kapelle am Zürcher Unispital.
Adam und Eva im Paradies: Glasfenster der Kapelle am Zürcher Unispital.

Enūma eliš ist eine recht brutale Erzählung vom Anfang der Welt. Da geht’s nicht paradiesisch zu.

Schaberger: Es geht um einen gewaltvollen Mythos mit der Botschaft: Wenn du der stärkere Gott bist, die stärkere Macht, dann triumphierst du über deine Feinde. Das Stück befasst sich vor allem zu Beginn mit dem Triumphalismus, der sich in der Geschichte von Enūma eliš verbirgt. Wir haben genau in der Zeit, als Russland seinen Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen hat, intensiv mit den Theaterproben begonnen. In dieser bedrückenden Stimmung stellten wir uns alle die Frage: Ist das wirklich alles? Ist alles Wille zur Macht und das Starke siegt über das Schwache? Das haben wir auch in dem Stück verarbeitet. 

«Steht am Anfang reine Gewalt – oder eine göttliche, liebende Schöpfung?»

Wie gehen Sie mit dem Spannungsfeld um?

Schaberger: Wir wollten noch eine andere Geschichte erzählen als die von Krieg, Tod und Verderben. Wenn ich annehme, dass es einen Gott gibt, der sich über andere Götter erhebt, sie niederschlägt und aus den Überresten eine Welt erschafft, dann bedeutet das auch, dass nur aus Krieg etwas Neues entstehen kann. Es macht einen Unterschied, ob ich glaube, dass am Anfang reine Gewalt steht oder eben ein Akt der göttlichen, liebenden Schöpfung. Der Blick auf den Anfang prägt den Blick auf die Welt. 

Claude Bachmann (links) und René Schaberger.
Claude Bachmann (links) und René Schaberger.

Wie setzen Sie diese alte Geschichte um?

Schaberger: Wir erzählen die Geschichte eines Schriftstellers, der ein Drehbuch schreiben soll über die Entstehung der Welt. Doch egal wie sehr er sich bemüht, ihm fällt nichts ein. Irgendwann ist der Druck zu gross und er bricht zusammen. In diesem Zustand begibt er sich auf eine Traumreise ins alte Babylon.

Was fasziniert Sie am Schöpfungsmythos?

Schaberger: Die Schöpfung ist ein grosses Geheimnis. Das zeigt sich auch in unserer Inszenierung: Es geht um die Frage, warum es etwas gibt – und nicht nichts. Diese grossen Fragen können wir uns ein Leben lang stellen und die Antworten werden immer wieder neu definiert.

«Erzählungen prägen uns von Kindheit an.»

Versuchen Schöpfungsmythen nicht genau dieses Geheimnis zu lüften?

Schaberger: Nein. Sie versuchen das Unbekannte in Sprache zu fassen, indem sie eine Geschichte erzählen. Das hat für mich etwas Magisches. Das ganze Leben besteht aus Erzählungen, sie prägen uns von Kindheit an. Schöpfungsmythen zeigen uns auch, in welcher Zeit sich Menschen welche Geschichten erzählt haben. Das finde ich spannend.

Studierende der Theologischen Hochschule Chur spielen Theater.
Studierende der Theologischen Hochschule Chur spielen Theater.

Also: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne? 

Schaberger: In jedem Fall finde ich den Blick auf den Anfang faszinierend. Nehmen wir als Beispiel das James Webb Space Telescope, das ins All geschossen wurde. Damit ist es möglich, mehrere Milliarden Jahre zurückzuschauen und eine erste Galaxie-Form zu sehen. Ein seltsames rotes Licht, das am Anfang von Raum und Zeit steht. Auch das ist eine Geschichte, und zwar eine über den Urknall. Ein unheimliches Ereignis, von dem wir noch so vieles nicht wissen. 

DNA-Stränge
DNA-Stränge

Welchen Platz haben Schöpfungsmythen in einer Welt, die immer mehr naturwissenschaftlich tickt?

Schaberger: Uns geht es um die Frage, welche tiefere Botschaft hinter den beiden Mythen steckt. Es geht nicht darum, Dinge gegeneinander auszuspielen, sondern sie gegenüberzustellen. Auch der naturwissenschaftliche Ansatz spielt im Stück eine Rolle. Wir wollen wissen: Welche Geschichte erzähle ich heute? 

«Wenn die Menschen ins Gespräch kommen, dann hat das Stück seinen Sinn und Zweck erfüllt.» 

Und? Welche Geschichte erzählen Sie?

Schaberger: Das wollen wir nicht abschliessend beantworten. Wenn die Menschen nach der Aufführung nach Hause gehen und sich fragen: Woran glaube ich? Und wenn sie darüber ins Gespräch kommen, dann hat das Stück seinen Sinn und Zweck erfüllt. 

Theologe und Theater-Mann: René Schaberger (links).
Theologe und Theater-Mann: René Schaberger (links).

Wieviel Freiheit genehmigen Sie Ihrer Inszenierung?

Schaberger: Wir sind nah an den Originaltexten geblieben und haben versucht, etwas Geschichtsunterricht zu leisten. Wir laden die Zuschauenden in das alte Babylon ein, in seine Hängenden Gärten. Wir erzählen, dass Jerusalem nach Babylon ins Exil musste und erklären so, wie das jüdische Volk mit dem Mythos Enūma eliš in Berührung gekommen ist – und dann seinen eigenen geschaffen hat.

«Die Bibel steckt in unserer DNA.»

Geht es auch darum, jüngeren Menschen die Bibel wieder näherzubringen? 

Schaberger: Nein, wir wollen zeigen, wie spannend Theologie ist. Ich persönlich finde. Die Bibel steckt in unserer DNA. Ihre Geschichten haben uns geprägt: Das Verständnis von Mann und Frau oder die Frage, warum wir ein humanistisches Menschenbild haben. Wir wollen daran erinnern, wie schön es ist, sich mit bestimmten Fragen zu befassen, ohne gleich eine endgültige Antwort auf alles zu haben.

Karfreitag als Metapher: Aufnahme von Mikhail Palinchak am 22. April 2022 in der Nähe von Kiew. Das Motiv war in Davos zu sehen.
Karfreitag als Metapher: Aufnahme von Mikhail Palinchak am 22. April 2022 in der Nähe von Kiew. Das Motiv war in Davos zu sehen.

In dem Stück geht es um den Anfang. Mit Blick auf all die Krisen in dieser Welt reden wir oft über das Ende. Hängen Anfang und Ende zusammen?

Schaberger: Das ist die Frage: Kommt alles wieder, ist alles in Bewegung oder gibt es eine lineare Geschichte mit einem Anfang und einem Ende. Ich wüsste es gerne, aber ich weiss es nicht. Und darauf gibt die Bibel auch keine Antwort, dasselbe gilt für die Schöpfungsgeschichten. Da ist nur eine Hoffnung. Und das ist vielleicht auch der Ansatz des Theaterstücks: dass das Leben am Schluss eben mehr ist als nur ein Kampf, sondern dass da vielleicht noch was anderes ist. 

* René Schaberger (34) ist Doktorand an der Theologischen Hochschule Chur. Zusammen mit Claude Bachmann (37) hat er das Stück «Enūma eliš» geschrieben. Das Theaterstück feiert am Donnerstag Premiere – und zwar um 20 Uhr. Es ist bis Sonntag zu sehen und wird von Studierenden der Theologischen Hochschule Chur gespielt. Weitere Informationen gibt’s hier


René Schaberger (links) ist Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler zugleich. | © Beate Laurenti
2. November 2022 | 11:59
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