Hanspeter Schmitt.
Schweiz

Suizidhilfe in Heimen?

Soll in Räumen von Alters- und Pflegeheimen die Suizidbegleitung für dort Wohnende ermöglicht werden müssen? Am 27. November entscheiden die Stimmberechtigten des Kantons Wallis über diese Frage. Doch es berührt eine Debatte, die schweizweit kontrovers geführt wird.

Hanspeter Schmitt

Im Kanton Graubünden etwa ist ein Gesetz in dieser Sache bereits auf dem Weg: Auch hier sollen jene, die in öffentlich subventionierten Einrichtungen wohnen, das Recht erhalten, darin die Hilfe externer Organisationen für einen begleiteten Suizid in Anspruch zu nehmen.

Straffreiheit einer Suizidassistenz

Selbstredend sind dabei die in der Schweiz geltenden Vorgaben für die Straffreiheit einer Suizidassistenz zu beachten. Dennoch stünden die betroffenen Institutionen und Heime, würde dieser Vorstoss rechtskräftig, vor einer neuen, an ihr pflegerisches Ethos rührenden Herausforderung.

«Meist hat man es trotz anders lautender Motionen vermieden oder abgelehnt, spezifische rechtliche Regelungen zu treffen.»

Hanspeter Schmitt

Angesichts dieses an die Substanz gehenden Konfliktes fallen in den einzelnen Kantonen die Strategien unterschiedlich aus. Meist hat man es trotz anders lautender Motionen vermieden oder abgelehnt, spezifische rechtliche Regelungen zu treffen.

Suizidbeihilfe löst immer grosse Diskussionen aus.
Suizidbeihilfe löst immer grosse Diskussionen aus.

Dann ist es – wie aktuell in Graubünden und im Wallis – der Trägerschaft oder Leitung des jeweiligen Hauses überlassen, Suizidhilfe unter ihrem Dach zuzulassen oder nicht. Empfohlen wird, die interne Praxis vor einem Heimeintritt aufklärend darzulegen.

Mehrere einschlägige kantonale Gesetze

Seit 2012 mehren sich aber einschlägige kantonale Gesetze. Sie argumentieren mit der verfassungsgemässen Verwendung öffentlicher Gelder. Werden Pflege- und Gesundheitsinstitutionen durch Steuermittel gefördert, müssen sie – so Waadt, Neuenburg und Genf – das Menschenrecht auf einen selbstbestimmten Tod in ihren Bereichen achten.

«Es nützt an dieser Stelle nichts, den ethischen Grundsatzstreit «Suizidbeihilfe: Pro oder Contra» wieder aufzunehmen.»

Hanspeter Schmitt, Theologe für Ethik

Das gelte auch für den Wunsch nach Suizidbeihilfe, sofern sie regelkonform durchgeführt wird und die sterbewillige Person über keinen Lebens- und Wohnort ausserhalb der Einrichtung verfügt.

Es nützt an dieser Stelle nichts, den ethischen Grundsatzstreit «Suizidbeihilfe: Pro oder Contra» wieder aufzunehmen, auch wenn die Argumentation mit öffentlichen Geldern höchst fragwürdig erscheint.

Integrität pflegerischer Strukturen

Als ob sich Staat und Öffentlichkeit nicht genauso für die Integrität pflegerischer Strukturen einzusetzen hätten! Deren Kern aber sind Palliative Care und Lebensschutz, was übrigens auch die atmosphärische Qualität einer Institution und das Selbstverständnis der darin arbeitenden Fachpersonen betrifft. All das wird durch die interne Durchführung einer Suizidassistenz unmittelbar tangiert.

Hanspeter Schmitt
Hanspeter Schmitt

Trotzdem ist der Konflikt, der in einer solchen Pflegeeinrichtung im Fall eines Sterbe- und Suizidhilfewunsches aufbricht, nicht einfach von der Hand zu weisen: Es steht ja nicht «nur» die besagte medizinisch-pflegerische Integrität auf dem Spiel.

Integrität suizidwilliger Bewohnerinnen und Bewohner

In gleichem Masse geht es um die Integrität der suizidwilligen Bewohnerinnen und Bewohner solcher Heime: Kraft ihrer Einsicht und Selbstbestimmung äussern sie sich entschlossen, jetzt sterben zu wollen und dafür Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen. Wiegt die Integrität ihres Heimes so schwer, dass ihnen darin zu verwehren ist, was nach schweizerischem Recht allen zusteht, sofern diese Hilfe uneigennützig erfolgt und selbstbestimmt erbeten wurde?

Sollen sie dafür wirklich ihren vertrauten Lebensort verlassen müssen? Dem widersprach 2016 das Bundesgericht. Es wies die Beschwerde einer Neuenburger Heimleitung ab, die sich dabei auf religiöse Gründe berief.  

Suizidbeihilfe durch externe Personen

Folgt man diesem Urteil, ist den Trägern und Leitungen pflegerischer Institutionen nah zu legen, für den Ernstfall interne Lösungen bereitzuhalten.

«Prinzipiell dürfen fachlich Verantwortliche des Hauses im Rahmen ihrer Berufsausübung zur Wahrung ihrer Integrität nicht in die Realisierung einer Selbsttötung involviert sein.»

Hanspeter Schmitt

Dafür sind Umstände und Fürsorgepflichten zu benennen, die eine Suizidbeihilfe durch externe Personen auch in einem solchen Haus ertragbar machen: Prinzipiell dürfen fachlich Verantwortliche des Hauses im Rahmen ihrer Berufsausübung zur Wahrung ihrer Integrität nicht in die Realisierung einer Selbsttötung involviert sein.

Umgekehrt haben sie wegen ihrer Kenntnis betroffener Personen die Pflicht, Mängel betreffs gesetzlicher und standesethischer Vorgaben zu dokumentieren, etwa wenn nicht von einer autonomen Entscheidung der Sterbewilligen oder von der Nachhaltigkeit ihres Sterbewunsches ausgegangen werden kann. Damit wäre auch ein Korrektiv zu einer allzu routinierten Praxis der von aussen kommenden Suizidhilfeakteure geschaffen.

"Marsch für das Leben" gegen Abtreibung und aktive Sterbehilfe am 18. September 2021 in Berlin.
"Marsch für das Leben" gegen Abtreibung und aktive Sterbehilfe am 18. September 2021 in Berlin.

Überdies setzen die internen Fachpersonen schon heute alles daran, suizidale Neigungen ernst zu nehmen und entlang ihrer Ursachen professionell zu intervenieren, um sie lebens- und subjektbezogen zu bewältigen. Solches Engagement ist gesamtgesellschaftlich gerade von jenen zu erwarten, die sich jetzt für die Suizidhilfe auch in Heimen stark machen.

Zahl assistierter Suizide steigt

Die Zahl der assistierten Suizide steigt schweizweit signifikant, besonders ältere Frauen sind davon betroffen. Ursache sind nicht allein Erkrankungen, sondern genauso das Fehlen von sozialer Integrierung, sinnstiftenden Rollen, Armuts- und Krisenprävention und kompensierenden Strukturen im Nahbereich. Würde und Selbstbestimmung zielen auf die volle Anerkennung und Förderung von Menschen! Hier böte sich politischer Aktivität ein weites Feld.

Professor Dr. P. Hanspeter Schmitt hat einen Lehrstuhl für Theologische Ethik an der Theologischen Hochschule Chur.


Hanspeter Schmitt. | © Seraina Boner
7. November 2022 | 15:49
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