Thomas Wallimann-Sasaki
Kommentar

Sünde gegen Gemeinwohl: Wenn der Ex-Novartis-Chef die Steuern nicht bezahlt

Er ist einer der reichsten Männer der Schweiz: Ex-Novartis-Chef Daniel Vasella. Und doch wollte er seine Steuern nicht bezahlen und wurde dafür verurteilt. Den Fall analysiert der Sozialethiker Thomas Wallimann-Sasaki. Er findet: Steuern seien auch moralisch geboten. Ein Gastkommentar.

Thomas Wallimann-Sasaki*

Der Fall liegt zehn Jahre zurück, das Urteil des Zuger Verwaltungsgerichts ist zwei Jahre alt, und jetzt kommt die Geschichte in die Öffentlichkeit: Einer der reichsten Männer und mächtigsten Schweizer Wirtschaftsführer der 2000er Jahre, Daniel Vasella, wollte seine Steuern nicht bezahlen. Er wurde erwischt und verurteilt. Während die einen von missglückter Steueroptimierung sprechen, sehen sich andere darin bestätigt, dass reiche Menschen eben alles tun, um reich(er) zu werden. Das moralische Urteil ist schnell gefällt.

Aufeinander angewiesen

Das Entrichten von Steuern ist nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch geboten. Steuern sind eben nicht einfach «Preis» oder Strafe. Vielmehr bringen sie zum Ausdruck, dass Menschen aufeinander angewiesen sind, und dass jenen, die viel haben, auch mehr Lasten zugemutet werden dürfen.

Wer Steuern nicht bezahlt, verstösst darum gegen die Prinzipien von Solidarität und Gemeinwohl. In der Geschichte der Moraltheologie wurde dies gern auf «Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.» aus der Bibel zurückgeführt. Im Katechismus wird Steuerbetrug darum auch als Sünde betrachtet (Nr. 2240).

Förderer des Klosters Einsiedeln

Nun ist Herr Vasella auch als Förderer des Klosters Einsiedeln und «Fast-Kommentator» zu gesellschaftlichen Fragen bei Radio Vatikan (2009) bekannt – beides Zeichen einer wohlwollenden Verbindung zur Katholischen Kirche. Gleichzeitig ist und wird er nicht der einzige «gute» reiche Katholik sein, der seine Steuern nicht bezahlt. Was hat eine katholische sozialethische Perspektive hier zu sagen?

Im Swisslos-Fonds hat es viel Geld.
Im Swisslos-Fonds hat es viel Geld.

Es gilt hier zwischen der individual- und der sozialethischen Sichtweise zu unterscheiden. Individualethisch geht es darum, als Christ und Christin ein gutes Leben zu führen und richtig zu handeln. Sozialethik hingegen fragt, ob die gegebenen Systeme und Strukturen gerecht sind, den Menschen dienen und nicht umgekehrt.

Zweck heiligt nicht die Mittel

Individualethisch ist die Frage mit Verweis auf den Katechismus im Grundsatz geregelt. Doch stellt sich auch die Frage, ob jemand das System betrügen darf, gleichzeitig aber mit freiwilligen Spenden einen guten Zweck unterstützt.

Hier gilt einzuwenden, dass der Zweck bekanntlich nicht die Mittel heiligt. Warren Buffet, der König der Steuervermeidung in den USA, hat im Gespräch mit dem Investigativjournalisten Jesse Eisinger zur Steuervermeidung gesagt: «Ich werde mein Geld für wohltätige Zwecke spenden und ich bin ein besserer Verteiler von Geld für wichtige Zwecke als die Bundesregierung.» Das mag, utilitaristisch betrachtet, einen gewissen Sinn machen.

Selbstüberschätzung im Spiel?

Doch das Gemeinwesen baut auf Solidarität und auf den Grundsatz, dass alle einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Auch muss man fragen, ob sich hier nicht die bekannte Selbstüberschätzung der eigenen Person zeigt, wie sie oft in Kreisen mächtiger und reicher Leute zu beobachten ist.

«Nicht alles, was legal ist, ist auch ethisch korrekt.»

Thomas Wallimann-Sasaki

Sozialethisch steht die Frage im Raum, inwiefern das Steuersystem reichen Menschen hilft, Steuern nicht zu bezahlen und sie damit übermässig bevorteilt. Dabei unterscheiden viele zwischen der illegalen Steuerhinterziehung und der legalen Steuervermeidung. Gerade viele sehr reiche Menschen kennen die Wege der Steuervermeidung und haben diese zu ihren Gunsten perfektioniert. Doch nicht alles, was legal ist, ist auch ethisch korrekt.

Spendentopf: An der Papstmesse wurde gesammelt. Palexpo-Halle in Genf.
Spendentopf: An der Papstmesse wurde gesammelt. Palexpo-Halle in Genf.

Steuervermeidung zur eigenen Bereicherung schädigt nur allzu oft das Gemeinwohl und ist oft eher mit Geiz und Gier verbunden als wohltätigen Absichten. Wer sich fürs Gemeinwohl einsetzen möchte, könnte ja auch staatliche Institutionen in ihrer Aufgabe stärken oder damit jenen zu Hilfe zu eilen, die in Not sind und auf die Solidarität aller angewiesen sind.

Verurteilung als gutes Zeichen

Gerade für Menschen mit mittleren und kleinen Einkommen ist die Verurteilung von Herrn Vasella ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass trotz vielen Unzulänglichkeiten der Staat der Gerechtigkeit verpflichtet ist, alle gleich zu behandeln. Doch die Verurteilung betrifft in erster Linie Vasellas persönliches Fehlverhalten, nicht aber das System und die Kultur, die diesen Verstoss möglich machen.

Wir beobachten immer wieder, dass die Kultur des ungebremsten Wachstums und der individuellen Gewinn- und Machtmaximierung die Sorge für das Wohl aller zerstört und Charaktere fördert, die durch ihr Verhalten Staat und solidarischen Zusammenhalt schädigen.

Menschengemachte «Nutzenmaximierungs-Kultur»

Aber auch die «Nutzenmaximierungs-Kultur» fiel nicht vom Himmel, sondern wurde von uns Menschen gemacht. So wurde noch 2021 eine eidgenössische Steuervorlage, die vermögende und sehr reiche Menschen stärker belastet hätte – und durchaus dem Gemeinwohlprinzip der Katholischen Soziallehre entsprach –, deutlich abgelehnt.

Gleichwohl: Wir dürfen das Handeln Herrn Vasellas auf Grund der gesellschaftlichen Umstände und der «Maximierungskulturen» nicht entschuldigen. Aber wir dürfen auch die «kleinen Vasellas» in uns nicht entschuldigen, wenn wir wirklich das Wohl aller Menschen im Sinn haben. Dass es allen gut geht, ist nur zu erreichen, wenn wir uns bewusst sind, dass wir alle im gleichen Boot sitzen – und dass dies uns alle, ob Vasellas oder nicht, zum Teilen verpflichtet.

*Der Theologe und Sozialethiker Thomas Wallimann-Sasaki leitet das Institut für Sozialethik ethik22 in Zürich. Zudem ist er freier Mitarbeiter am Institut für Sozialethik der Theologischen Fakultät der Universität Luzern.


Thomas Wallimann-Sasaki | © Vera Rütimann
9. Februar 2023 | 15:33
Lesezeit: ca. 3 Min.
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