Diakon Dani Schärer hält das Handy ans Mikrophon, damit die Gläubigen die Predigt des abwesenden Erzpriesters Stefanos Athanasiou hören können.
Schweiz

Stefanos Athanasiou erkrankt – Predigt via Handy im Grossmünster

Es ist kein Geheimnis, dass Stefanos Athanasiou die russisch-orthodoxe Kirche sehr kritisch sieht. Doch am Freitag verlieh ihm ausgerechnet der russisch-orthodoxe Diakon Dani Schärer eine Stimme: Krankheitsbedingt predigte Athanasiou via Handy im Zürcher Grossmünster. Die Geste zeigt: Mit kleinen Schritten kommen wir dem Frieden näher.

Vera Rüttimann

Es ist ein trauriger Anlass, zu dem Grossmünster-Pfarrer Christoph Sigrist am Freitag begrüsst: All die Kriege, die derzeit die Welt beherrschen. Besonders natürlich der Krieg in der Ukraine. Sigrist findet, Christinnen und Christen hätten sich «zu einer Gebetsgemeinschaft verschmelzt».

Mit dabei: der Kyrill-Versteher Dani Schärer

In den Bänken sitzen Gläubige der orthodoxen Kirchen und Gemeinden, Geflüchtete aus der Ukraine, aus Russland und anderen Krisenregionen der Welt sowie Schweizerinnen und Schweizer verschiedener Konfessionen und Religionen.

Daniel Schärer, russisch-orthodoxer Diakon und seit neuestem frisch geweihter Priester
Daniel Schärer, russisch-orthodoxer Diakon und seit neuestem frisch geweihter Priester

Auch der Kyrill-Versteher Dani Schärer ist eingeladen: Er ist Diakon der russisch-orthodoxen Kirche in Zürich, die nach wie vor Patriarch Kyrill im Hochgebet erwähnt. Andere Gemeinden verzichten darauf, weil Kyrill eng an Putins Seite steht und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine religiös legitimiert.

Hoffnung statt Religiongspolitik

Doch im Zürcher Grossmünster geht’s an diesem Freitag nicht um Religionspolitik, sondern um Hoffnung. Zum Friedensgebet geladen hatten das Zürcher Grossmünster, der Verband der orthodoxen Kirchen im Kanton Zürich sowie das Kloster Einsiedeln.

Mitbetende im Grossmünster, Bischof Josef Bonnemain (2. v. r.)
Mitbetende im Grossmünster, Bischof Josef Bonnemain (2. v. r.)

Unter den Gläubigen sitzt auch der Churer Bischof Joseph Bonnemain, der als Ökumene-Beauftragter der Schweizer Bischofskonferenz am Dienstag zu schweizweiten Friedensgebeten aufgerufen hatte – und zwar am 24. Februar 2023, ein Jahr nach Beginn von Putins Angriff.

Vertreter der orthodoxen Kirche

Christoph Sigrist heisst auch die Vertreter der orthodoxen Kirchen willkommen. Das Grossmünster ist auch für sie ein besonderer Ort, weil einst die Zürcher Stadtpatrone Felix und Regula aus dem heutigen Ägypten als Christen hierher kamen: «Sie bezahlten ihren christlichen Glauben mit ihrem Leben.» Felix und Regula werden auch in der Orthodoxie stark verehrt.

Von links: Erzpriester Shnork Tchekidjian von der armenisch-apostolischen Kirchgemeinde Sourp Sarkis, Erzpriester Romică Enoiu von der rumänisch-orthodoxen Kirchgemeinde St. Nikolaus und Abt Isodoros el Anba Samuel aus der koptischen Kirche der Hl. Maria und Verena.
Von links: Erzpriester Shnork Tchekidjian von der armenisch-apostolischen Kirchgemeinde Sourp Sarkis, Erzpriester Romică Enoiu von der rumänisch-orthodoxen Kirchgemeinde St. Nikolaus und Abt Isodoros el Anba Samuel aus der koptischen Kirche der Hl. Maria und Verena.

Die Vertreter der orthodoxen Kirchen füllen auch an diesem Tag den Raum mit ihren Gebeten und Gesängen auf orthodoxe Art. Im Chor der Grossmünsters stehen Erzpriester Romică Enoiu von der rumänisch-orthodoxen Kirchgemeinde St. Nikolaus, Erzpriester Branimir Petkovic und Priester Djordje Lukic aus der serbisch-orthodoxen Kirche Heilige Dreifaltigkeit.

Christoph Sigrist, Bettina Lichtler und Urban Federer vorne in der Mitte.
Christoph Sigrist, Bettina Lichtler und Urban Federer vorne in der Mitte.

Ebenso dabei sind Erzpriester Shnork Tchekidjian von der armenisch-apostolischen Kirchgemeinde Sourp Sarkis und Abt Isodoros el Anba Samuel von der koptischen Kirche der Heiligen Maria und Verena, die ebenfalls Friedensgebete sprechen.

«Fürchtet euch nicht!»

Auch Bettina Lichtler steht vorne im Chorraum. Sie ist Präsidentin der «Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen» und reformierte Pfarrerin. «Wir leben», beginnt sie, «in einer Zeit des Krieges, in der sich auch Kirchenvertreter zu Wort melden. An der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen wurden Spannungen in der Kirche gut spürbar. Es gab viel Kritik von allen Seiten, wie man sich jetzt verhalten soll.»

Bettina Lichtler, reformierte Pfarrerin.
Bettina Lichtler, reformierte Pfarrerin.

Die Pfarrerin zitiert aus dem Evangelium einen Satz, der für sie die uralte christliche Lehre mit ausmacht: «Fürchtet euch nicht!» Jenen Satz, den Engel den Hirten auf dem Weg zu Jesus im Stall sagten. «Es ist die uralte christliche Lehre, dass Glaube und Liebe Angst und Furcht austreiben können. Die Worte des Engels gelten auch hier und heute noch», sagt Bettina Lichtler. Dasselbe gelte für den Satz «Frieden auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen».

Sie sei dankbar, «dass wir hier als Kirche versuchen, unsere unterschiedlichen Wurzeln zu akzeptieren und unserer Beziehungen so zu stärken, dass sie in Krisenzeiten bestehen können».

«Das Gebet hat uns zusammengebracht»

Der Einsiedler Abt Urban Federer geht in seiner Ansprache auf die Bedeutung der Achse zwischen dem Kloster Einsiedeln und dem Grossmünster Zürich ein. Er sei Vorsteher eines Klosters, zu dem Menschen aus ganz Europa hin pilgerten und um Frieden beteten.

Abt Urban Federer.
Abt Urban Federer.

Federer erzählt, er werde immer wieder gefragt: Was nützt bei all dem Leid das Gebet? Für den Abt ist klar: «Es hat uns hier zusammengebracht.» Weiter fügt er an: «Hätten wir hier allerdings eine politische Diskussion, würde uns das wohl wieder auseinanderbringen.»

Bei einer politischen Diskussion wäre die Abwesenheit von offiziellen Kirchenvertretern aus der Ukraine, die nicht mit dem Moskauer Patriarchat verbunden sind, wohl stärker aufgefallen. «Die orthodoxen Kirchen haben sich untereinander selbst organisiert und eingeladen. Es entzieht sich darum unserer Kenntnis, wie genau sie vorgegangen sind», sagt Abt Urban Federer später zu kath.ch.

Christoph Sigrist (links) und Urban Federer
Christoph Sigrist (links) und Urban Federer

«Christoph Sigrist und mir war es wichtig, dass Flüchtlinge aus der Ukraine dabei sind, damit diese spüren und hören, dass wir für den Frieden beten. Und diese Hoffnung konnten wir erfüllen. Auch war uns die Anwesenheit der russisch-orthodoxen Kirche wichtig», sagt Abt Urban Federer.

Die evangelisch-reformierte und die römisch-katholische Kirche gestalten Anfang und Schluss des der Friedensfeier. Dazwischen werden schlichte Gebete in orthodoxer Tradition vorgetragen. Erzpriester Branimir Petkovic singt sie, begleitet vom russisch-orthodoxen Chor der Auferstehungskirche.

Isodoros el Anba Samuel aus der koptischen Kirche der Heiligen Maria und Verena.
Isodoros el Anba Samuel aus der koptischen Kirche der Heiligen Maria und Verena.

Predigt via Handy

Eigentlich hätte der griechisch-orthodoxe Priester Stefanos Athanasiou predigen sollen. Doch er ist wegen Krankheit abwesend. So gibt es eine Handy-Predigt. Diakon Dani Schärer hält das Handy ans Mikrofon, damit die Predigt in die Kirche übertragen werden kann.

«Frieden ist eine Teilhabe an dem eigentlichen Friedensstifter Jesus Christus», sagt Stefanos Athanasiou. Deshalb sei gerade in der orthodoxen Kirche gleich am Anfang der Gottesdienste das Gebet für den Frieden in der ganzen Welt von zentraler Bedeutung.

Stefanos Athanasiou kam zum Requiem für Benedikt XVI. am 5. Januar nach Rom.
Stefanos Athanasiou kam zum Requiem für Benedikt XVI. am 5. Januar nach Rom.

Es ist kein Geheimnis, dass Stefanos Athanasiou die russisch-orthodoxe Kirche sehr kritisch beäugt. Zu seiner Gemeinde kommen seit Beginn des Ukraine-Kriegs auch Gläubige der russisch-orthodoxen Kirche, die nichts mehr mit dem Moskauer Patriarchat zu tun haben wollen. Dass ausgerechnet ein Vertreter des Moskauer Patriarchats ihm nun via Telefon eine Stimme gibt, ist nicht frei von Ironie – und zeigt zugleich, wie einfach Frieden wäre, wenn jeder einen Schritt machen würde und statt Feindbilder persönliche Begegnungen zählten.

«Wir sind eine christliche Familie»

Stefanos Athanasiou, der über das Werk Joseph Ratzingers und Benedikts XVI. promoviert wurde und am 5. Januar am Requiem in Rom teilnahm, geht im Grossmünster auf die Bedeutung von Heiligen im orthodoxen Kontext ein.

«Heilige werden nicht als solche geboren, sie werden zu Heiligen.» Diese seien keine Übermenschen, es seien jedoch Menschen, die sich in ganz besonderer Weise transformieren lassen würden zu Friedensstifterinnen und Friedensstiftern. «Wir alle sollten Heilige der Kirche werden. Wir müssen zu neuen, heiligenden Menschen werden.»

Erzpriester Branimir Petkovic von der serbisch-orthodoxen Kirche Hl. Dreifaltigkeit.
Erzpriester Branimir Petkovic von der serbisch-orthodoxen Kirche Hl. Dreifaltigkeit.

Es liege an uns, für den Frieden den ersten Schritt zu tun – und nicht erst auf den anderen zu warten, der Frieden stiftet.

Erzpriester Branimir Petkovic sagt zum Abschluss des Friedensgebetes: «Schön, dass wir an diesem Tag für dieses Gebet zusammengekommen sind. Das zeigt, dass wir eine christliche Familie sind.»


Diakon Dani Schärer hält das Handy ans Mikrophon, damit die Gläubigen die Predigt des abwesenden Erzpriesters Stefanos Athanasiou hören können. | © Vera Rüttimann
14. Januar 2023 | 18:48
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