Stefan Hartmann
Schweiz

Stefan Hartmann: «Erzbischof Ludwig Schick war wie ein Alleinherrscher»

Stefan Hartmann (68) ist in der Schweiz aufgewachsen. Später wurde er Priester des Erzbistums Bamberg. Vor Jahren hat er sich laisieren lassen. Über Erzbischof Ludwig Schick sagt er: «Er wäre gerne Erzbischof von München geworden.» Und: «Er hatte im Klerus nicht den besten Ruf.»

Jacqueline Straub

Überrascht Sie der Rücktritt von Erzbischof Ludwig Schick?

Stefan Hartmann*: Ja, sehr. Zumal kürzlich noch Gerüchte kursierten, dass er Nachfolger von Kardinal Woelki werden könnte.

Ludwig Schick, Erzbischof von Bamberg
Ludwig Schick, Erzbischof von Bamberg

Wie kommt der Rücktritt in Bamberg an?

Hartmann: Es schlägt ein wie eine Bombe. Ich finde es nicht schön, dass der Vatikan dies an Allerheiligen kommuniziert hat. Die Gläubigen werden an einem Festtag mit solch einer Nachricht belastet.

Was sind mögliche Gründe für den Rücktritt?

Hartmann: Im Erzbistum Bamberg gibt es viele Missbrauchsgeschichten, die nie aufgearbeitet wurden. Es gibt kein Gutachten, wie etwa in Köln oder München. Hier liegt Einiges im Argen. 2008 musste der Personalchef zurücktreten, weil er als Leiter eines Heimes Internatskinder missbraucht hatte. Er musste auch seinen Titel als Domkapitular abgeben und darf sich nicht mehr in Bamberg aufhalten. Das ist nur die Spitze des Eisberges.

«Er ist gesundheitlich topfit.»

Hat Erzbischof Ludwig Schick zu wenig gemacht, um den Missbrauchskomplex aufzuarbeiten?

Hartmann: Ja, definitiv.

Könnte sein Alter oder eine angeschlagene Gesundheit Grund für den Rücktritt sein?

Hartmann: Das halte ich für ausgeschlossen. Er ist gesundheitlich topfit. Es ist ja eigenartig, dass der Papst kaum Rücktritte annimmt – aber diesem hat er sehr schnell stattgegeben.

Impression der ersten Synodalversammlung in Frankfurt im Januar 2020.
Impression der ersten Synodalversammlung in Frankfurt im Januar 2020.

In einer Stellungnahme schreibt Schick, dass er seine Aufgaben einem jüngeren Nachfolger überlassen möchte.

Hartmann: Er ist sicher amtsmüde. Er will aber auch den Konflikten aus dem Weg gehen – und den Synodalen Weg seinem Nachfolger überlassen. Ich glaube, dass er nicht Farbe bekennen will.

Wie haben Sie Erzbischof Schick in Erinnerung?

Hartmann: Er wäre vielleicht gerne Erzbischof von München geworden. Früher war er stockkonservativ. Nun macht er beim Synodalen Weg mit – wie Kardinal Marx, der früher auch sehr konservativ war.

«Er hat Personalfragen immer an sich gerissen und mit Autorität regiert.»

Wie wurde Erzbischof Schick vom Volk wahrgenommen?

Hartmann: Meist gut. Er lächelte bei Besuchen immer sehr sympathisch.

Wie ist sein Verhältnis zum Klerus?

Hartmann: Im Klerus hatte er nicht den besten Ruf. Er war durchaus umstritten. Er hat Personalfragen immer an sich gerissen und mit Autorität regiert. Er war wie ein Alleinherrscher und hatte auch mit anderen Priesterkollegen immer wieder Ärger. Wer zu seinen Lieblingen zählte, bekam, was er wollte. Früher mochte er Frauen nicht. Er hat etwa eine hochqualifizierte Frau abgelehnt, weil er der Meinung war, dass afrikanische Bischöfe nicht mit Frauen verhandeln würden – es ging um eine Stelle in der Kommission Weltkirche.

Stefan Hartmann ist in Sarnen aufgewachsen und hat dort das Benediktinerkollegium besucht.
Stefan Hartmann ist in Sarnen aufgewachsen und hat dort das Benediktinerkollegium besucht.

Sie sind Deutscher, allerdings in der Schweiz aufgewachsen. Wie kam’s dazu?

Hartmann: Mein Vater hatte beruflich in der Schweiz zu tun. Deswegen bin ich in der Schweiz gross geworden. Im Herzen bin ich noch immer Schweizer, auch wenn ich schon etliche Jahre in Deutschland lebe. Die Schweiz ist meine innere Heimat. Ich kenne fast jeden Ort, spreche Schweizerdeutsch und pflege noch immer ein paar Kontakte. Ich hatte engen Kontakt zu Hans Urs von Balthasar und gehörte auch eine Zeit lang der Johannesgemeinschaft an. Meine Eltern haben noch immer eine Ferienwohnung auf der Rigi. In Sarnen besuchte ich auch das Benediktinerkollegium. Das war eine schöne Zeit.

Warum haben Sie die Schweiz verlassen?

Hartmann: Mein Vater musste wegen seines Berufs zurück nach Deutschland. Nach meinem Abitur in Bonn bin ich aber für ein Jahr wieder nach Sarnen gezogen und habe dort als Primarschullehrer unterrichtet – alle Fächer bis auf Religion. Danach habe ich mit dem Studium der Psychologie und Theologie in Freiburg i.Ü. begonnen. Nach dem Zwischenexamen ging es nach Trier, abgeschlossen habe ich dann im deutschen Freiburg.

«Die Bistumsleitung hat mir dabei geholfen, die Existenz meiner Tochter zu vertuschen.»

In Trier wurden Sie zum Priester geweiht. Warum haben Sie später das Bistum Trier verlassen?

Hartmann: Ich hatte eine kurze Beziehung zu einer Gemeindereferentin. Sie wurde schwanger. Schon bevor ich das erfahren habe, trennte ich mich von ihr. Einige im Bistum wussten, dass ich eine Tochter habe. Die Bistumsleitung hat mir dabei geholfen, die Existenz meiner Tochter zu vertuschen. Sie schickte mich in ein anderes Bistum. Ihnen war wichtig, dass ich weiter Priester bleibe – was ich ja auch wollte.

Zunächst gingen Sie nach Freiburg im Breisgau. 2003 wurden Sie unter Erzbischof Ludwig Schick ins Erzbistum Bamberg inkardiniert. Wie war anfangs Ihr Verhältnis?

Hartmann: Zu Beginn war es positiv. Mehr und mehr spürte ich aber eine Abneigung. Wir hatten kein gutes Verhältnis.

«2008 habe ich mich in einer Predigt zu meiner Tochter bekannt.»

Woran machen Sie das fest?

Hartmann: Einmal gab es eine Beschwerde gegen mich. Er hat dieser sofort stattgegeben und nicht einmal meine Position angehört. Später wollte er mir verbieten, eine Dissertation zu schreiben. Obwohl ich diese an meinen freien Abenden und in den Ferien geschrieben habe.

Wann kam es zum Bruch zwischen Ihnen und dem Erzbischof?

Hartmann: 2008 habe ich mich in einer Predigt zu meiner Tochter bekannt. Das hat er auch mitbekommen. Als ich das 2014 in einer Talkshow öffentlich sagte, eskalierte es.

Zölibat auf dem Prüfstein.
Zölibat auf dem Prüfstein.

Wie ging es weiter?

Hartmann: Er erteilte mir Redeverbot. Er sagte, man dürfe den Zölibat nicht kritisieren. Was ich auch nicht tat, ich sagte lediglich, dass der Zölibat ein Anachronismus ist. Kurz darauf habe ich dann meine jetzige Frau kennengelernt und die Laisierung beantragt. Inzwischen bin ich mit ihr auch kirchlich verheiratet.

Wie verliefen die Gespräche?

Hartmann: Sehr angespannt und emotional. Ich wollte aus dem Klerikerstand ausscheiden, aber im kirchlichen Dienst tätig bleiben, etwa als Religionslehrer, in der Verwaltung oder im Archiv. Denn mit 60 Jahren war man kaum mehr auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar. Das wurde mir verweigert. Finanziell habe ich noch immer grosse Einbussen.

«Wir hatten einen bösen Briefaustausch.»

Hatten Sie Hoffnungen, nach der Laisierung eine Stelle in der Kirche zu erhalten?

Hartmann: Ja. Erzbischof Schick sagte mir, dass er mir keine Zusage geben könne. Dennoch machte er mir Hoffnungen. Ich war stinksauer, als ich einfach fallengelassen wurde. Immerhin habe ich der Kirche 33 Jahre lang als Priester gedient. Daraufhin hatten wir einen bösen Briefaustausch.

Was wünschen Sie Ludwig Schick?

Hartmann: Ich wünsche ihm einen guten Lebensabend. Leider war zwischen uns keine Versöhnung mehr möglich.

* Stefan Hartmann (68) ist laisierter Priester aus dem Erzbistum Bamberg. Heute lebt er mit seiner Frau, der Bamberger Autorin Sandra Dorn, als freier Redner und Publizist in Bamberg. Er hat seine Kindheit und Jugend in Obwalden verbracht.


Stefan Hartmann | © zVg
1. November 2022 | 17:45
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