Stand mit Souvenirs, Heiligenfiguren und Heiligenbildern am Heiligtum "Unsere Liebe Frau von Guadalupe" in Mexiko-Stadt.
Radiopredigt

SRF-Radiopredigt: Hexe, Vampir und zu viele Heilige

SRF-Radiopredigerin Susanne Cappus begegnet nachts einem Leuchtskelett und einem Vampir. Und das vor Allerheiligen! Was hat es mit den keltisch, christlichen und heidnischen Bräuchen auf sich am Übergang vom Ernte- zum Totenmonat?

Susanne Cappus*

Es war kühler Herbstabend und bereits dunkel. Ich kehrte von der Arbeit zurück und war fast zu Hause. Auf dem Weg vor dem Haus kamen mir kleine dunkle Gestalten entgegen. Ein Mädchen in einem schwarzen Pulli mit einem leuchtend weissen Skelett drauf und ein Junge mit Vampirmäntelchen. Beide waren bleich geschminkt. Der Junge bleckte mich freudig mit seinen Plastik-Eckzähnen an. Die Kinder kicherten. Und die Erwachsenen, die mit dabei waren, trugen Take-away Pizzas, vermutlich für die fröhliche Party, die nun bald zu Hause steigen würde.

Halloween: keltisch, christlich, heidnisch?

Halloween ist ein anglo-amerikanischer Brauch und hat sich bei uns etabliert. Ob das Fest einen keltischen oder christlichen Ursprung hat, ist umstritten. Manche finden Halloween heidnisch. Mir gefällt der Brauch. Und ich bin sogar ein bisschen neidisch auf die Kinder. Das hätte mir nämlich auch noch gefallen, mich als Hexe oder Vampir zu verkleiden, um Süssigkeiten zu betteln und Streiche zu spielen . . .

Erinnerung an das Sterben

Halloween ist die Abkürzung von All Hallow’s Eve. Das heisst auf Deutsch übersetzt «Der Abend vor Allerheiligen». Allerheiligen feiern wir am 1. November. Am 2. November folgt Allerseelen. In unseren Breitengraden werden die beiden Tage nicht so genau getrennt. Bereits an Allerheiligen, am 1. November also, entzünden Menschen auf den Gräbern verstorbener Angehöriger Kerzen. Es finden Gottesdienste für Verstorbene statt. Menschen denken dabei ganz besonders an ihre Verstorbenen aber auch an Unbekannte. Und da steht natürlich auch der eigene Tod vor Augen. Das ist ein Gedanke, den wir sonst verständlicherweise gerne beiseiteschieben. Halloween, so finde ich, ist da ein spielerischer Einstieg, sich diesen schweren Themen anzunähern.

Grabkerze
Grabkerze

Zu viele Heilige

Der Tag, an dem man an die Verstorbenen denkt, Allerseelen, ist aber eigentlich erst am 2. November. Allerheiligen, am 1. November ist etwas anderes.

Allerheiligen wurde in der Ostkirche eingeführt. Im 8. Jahrhundert übernahm der römische Papst Gregor III den Festtag auch für die Westkirche und legte ihn auf den 1. November. Weshalb führte man das Fest Allerheiligen überhaupt ein? Einfach gesagt: Es gab zu viele Heilige. Ihre Zahl war unübersichtlich geworden. In den katholischen Kirchen muss jede und jeder Heilige einen Gedenktag haben. Man konnte selbstverständlich auch zwei oder drei Heilige auf einen Tag legen, aber das reichte immer noch nicht. An sich sind das ja gute Nachrichten: so viele heilige Menschen. Aber das Jahr hat nun mal nur 365 Tage. Und so führte man eben Allerheiligen ein als eine Art Sammelfest: Für alle offiziellen Heiligen der Kirchen, aber auch für die inoffiziellen Heiligen, also für die Menschen, die zwar heilig lebten, es aber nie in die Ränge der vatikanischen Verwaltung geschafft hatten. Und, es ist auch ein Fest für alle, die heute leben und noch heilig werden möchten.

Skulptur der Heiligen Ursula und Gefährtinnen.
Skulptur der Heiligen Ursula und Gefährtinnen.

Verrückte Heilige

Aber, ist es überhaupt erstrebenswert, heilig zu werden? Möchte ich heilig sein? Wenn ich an Heiligenstatuen in Kirchen denke, dann lieber nicht. Zu steif, zu langweilig, zu distanziert. Heilig verbinde ich auch mit perfekt. Etwas, was ich also sowieso nie erreichen kann. Dabei waren gar nicht alle Heiligen perfekt. Bei weitem nicht. Einige von ihnen waren sogar ziemlich verrückt.

Simon und Teresa gaben alles

Zum Beispiel Simon Stylites, der Säulenheilige. Er lebte um das Jahr 400 in Syrien. Der Legende nach sass Simon über 30 Jahre bis zu seinem Tod auf der Plattform einer 18 Meter hohen Säule und meditierte. Schräg aber auch beeindruckend. Dann die heilige Teresa von Avila; sie lebte im 16. Jahrhundert. Neben ihrer Herzlichkeit hatte sie auch einen eigenwilligen und bisweilen sogar bissigen Zug. Musste sie vielleicht auch haben, damit sie sich gegen die Spanische Inquisition durchsetzen konnte. Hartnäckig verfolgte sie die Gründung neuer Klöster und ihren ganz eigenen spirituellen Weg.Dem Säulenheiligen Simon Stylites und der Klostergründerin Teresa von Avila ist eines gemeinsam: Sie verschrieben sich mit Haut und Haar der Sache, von der sie überzeugt waren, dass Gott sie von ihnen wollte. Oder anders gesagt: Sie setzten mit Engagement ihr ganz persönliches Talent in den Dienst Gottes.

Teresa von Avila
Teresa von Avila

Heilig heisst, Leidenschaften einsetzen

Da stelle ich mir die Frage: Kenne ich meine ganz persönlichen Talente überhaupt? Nehme ich sie ernst? Und setze ich sie auch ein? Es gibt Dinge, liebe Hörerin, lieber Hörer, die können wirklich nur Sie. Talente, die Sie ganz persönlich ausmachen. Sei es, dass Sie die Gabe haben, Konflikte elegant und humorvoll zu entschärfen. Oder Sie sind vielleicht ein Organisationstalent, das wunderbare Feste auf die Beine stellt und andere motiviert dabei mitzumachen. Heilig zu sein heisst also auch, seine persönlichen Talente mit Leidenschaft für Gutes einzusetzen.

Heilig heisst auch, Ganz sein

Heilig ist aber noch mehr. Von seiner Wortherkunft her ist «heilig» es mit dem englischen «whole» verwandt. «Whole» bedeutet «ganz». Heilig sein hat also mit Ganz sein zu tun. Ganz sein, was ist das? Der französisch-deutsche Dichter Adelbert von Chamisso erzählt dazu ein Märchen: «Peter Schlemihls wunderbare Geschichte». Dieser Peter Schlemihl trifft auf einen grau angezogenen Mann. Der macht ihm ein unwiderstehliches Angebot. Für einen Beutel, der immer voller Goldstücke ist, soll Schlemihl dem Mann seinen Schatten überlassen. Schlemihl ist einverstanden. Und er bekommt tatsächlich Gold, sogar sehr viel Gold. Aber der Preis dafür ist hoch. Ohne Schatten wird er von den anderen Menschen nicht mehr akzeptiert. Peter Schlemihl wird ein Ausgestossener.

Susanne Cappus
Susanne Cappus

Mit oder ohne Schattenseiten?

Ein Mensch ohne Schatten oder auch ohne Schattenseiten ist für andere unheimlich. Vielleicht haben Sie es auch schon erlebt, liebe Hörerin, lieber Hörer, wenn jemand allzu perfekt und glatt daherkommt und bei ihm oder ihr alles immer nur rund läuft, dann ist es schwer, mit so einer Person warm zu werden. Das ist irgendwie unnatürlich, unmenschlich. Man geht da lieber auf Distanz. Schatten gehören zum Menschen, unauflöslich. Nur so ist sie oder er ganz. Heilig sein heisst in diesem Sinne nicht, dass ich perfekt sein muss. Heilig sein, heisst ganz sein und da gehört mein Schatten dazu. Günstig wär’s natürlich, wenn ich meinen Schatten kennte und so lenken könnte, dass er mir nicht ständig vor die Füsse oder auf andere Menschen fällt.

Heiligkeit mit Schatten

Der heilige Simon Stylites, der Säulenheilige, warf sicher auch seinen Schatten. Auf einer 18 Meter hohen Säule in der Sonne der syrischen Wüste ist das ja auch kaum zu vermeiden. Und seine extreme Askese war für seine Zeitgenossen sicher nicht immer einfach. Auch die heilige Teresa von Avila war in ihrer klaren und rigorosen Art für ihre Mitmenschen sicher manchmal schwierig auszuhalten. Beide setzten aber mit grossem Engagement ihr ganz persönliches Talent für das ein, was sie als Gottes Willen ansahen. Das ist eine Heiligkeit, die ich durchaus erstrebenswert finde: Heiligkeit mit Schatten und Engagement. Das lässt sich machen. Vielleicht mögen Sie, lieber Hörer, liebe Hörerin, an Allerheiligen, an diesem ruhigen und oft nebligen Tag, darüber nachdenken: Was macht mich ganz persönlich aus? Was ist für mich das Gute, der Wille Gottes? Und, wie sieht mein Schatten aus?

*Susanne Cappus ist christkatholische Diakonin und arbeitet in Dornach.

Bibelstellen: Lev 11.44; 1 Petr 1.15-16

Die SRF-Radiopredigten sind eine Koproduktion des Katholischen Medienzentrums, der Reformierten Medien und SRF2 Kultur.

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Stand mit Souvenirs, Heiligenfiguren und Heiligenbildern am Heiligtum «Unsere Liebe Frau von Guadalupe» in Mexiko-Stadt. | © KNA
30. Oktober 2022 | 04:59
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