Letztes Abendmahl in Zeiten von Corona
Schweiz

Sollen wir freiwillig Maske tragen, etwa im Supermarkt oder im Gottesdienst?

Die Maskenpflicht ist weitgehend abgeschafft. Sollen wir freiwillig Maske tragen, etwa im Supermarkt oder im Gottesdienst – um andere zu schützen? Zwei Ethiker und eine Ethikerin haben unterschiedliche Ansichten.

Daniel Bogner, Katholisch-Theologische Fakultät in Freiburg i.Ü.

Daniel Bogner, Moraltheologe und Ethiker.
Daniel Bogner, Moraltheologe und Ethiker.

«Ich fände das gut – weil das, was rechtlich erlaubt ist, nicht immer auch das Beste ist für das menschliche Miteinander. Man muss den Spielraum, den einem das Recht gibt, nicht zu einhundert Prozent ausnützen, sondern kann mit Sinn und Verstand freiwillige Massnahmen für einen höheren Schutz seiner Nächsten ergreifen. Dass das Maske-Tragen in Räumen, wo viele beieinander sind, dazugehört, scheint unbestritten.»

Hanspeter Schmitt, Theologische Hochschule Chur

Hanspeter Schmitt.
Hanspeter Schmitt.

«Die aktuell zurückgewonnene Freiheit löst fast einhellig Freude aus. Gleichwohl bleibt sie an Rücksicht und Verantwortung gebunden, um nachweislich human zu sein. Um solche Verantwortung konkret zu machen, ist es zunächst wichtig, sich den genauen Sachverhalt vor Augen zu halten: Die Lockerung ist ja nicht erfolgt, weil wir pandemisch risikofrei wären. Der Grund liegt darin, dass die Krankheitsverläufe durch Omikron milder sind und den Spitälern keine Überlastung droht.

Das Risiko für viele einzelne, zumal für ältere oder besonders vulnerable Menschen, ist nach wie vor gegeben. Es gilt daher – gerade im Klima ersehnter Normalität – die Lage einzelner Menschen und die jeweiligen Situationen für das eigene Handeln genau zu erwägen. Zum Beispiel wird eine Person mit schweren Vorerkrankungen, die noch dazu im öffentlichen Leben steht, trotz Impfungen schon aus Eigeninteresse darauf angewiesen sein, sich zu schützen und auch von anderen geschützt zu werden.

Wenn diese Person zudem eine hochbetagte Mutter in einer Pflegeinstitution hat, kommt zum Interesse am Eigenschutz auch die Verantwortung für das Wohlergehen der anderen hinzu. Ob das nun für das fallweise freiwillige Tragen einer Maske und für andere Formen der Rücksicht spricht, ist in Anschauung der konkreten Umstände, etwa eines Gottesdienstes, und der Verletzlichkeit der sich hier begegnenden Menschen persönlich zu entscheiden. Ohne ein selbstkritisches Bewusstsein und die Bereitschaft, solidarisch zu handeln, wird das – gleich in welcher Situation – kaum gelingen. Darin liegt aber auch eine der Chancen dieser zurückgewonnenen Freiheit.»

Ruth Baumann-Hölzle, Stiftung Dialog Ethik

Ruth Baumann-Hölzle leitet das "Interdisziplinäre Instituts für Ethik im Gesundheitswesen" der Stiftung Dialog Ethik.
Ruth Baumann-Hölzle leitet das "Interdisziplinäre Instituts für Ethik im Gesundheitswesen" der Stiftung Dialog Ethik.

«Hinter der Frage nach dem weiterhin freiwilligen Tragen von Masken beim Einkaufen und im Gottesdienst verbirgt sich implizit die Frage, ob es in diesen beiden Situationen weiterhin eine moralische Pflicht zum Maskentragen gebe. Eindeutig ist die moralische Pflicht, mit Krankheitssymptomen von übertragbaren Krankheiten zu Hause zu bleiben und sich auszukurieren.

Ansonsten ist es jedoch an der Zeit, dass wir aufhören sollten, irgendwelche Schutzmassnahmen zu moralisieren. Die Wirksamkeit vieler Massnahmen ist nach wie vor wissenschaftlich umstritten und muss während dieser Atempause im Frühling und im Sommer weiter beforscht werden. Aktuell verlangt das Epidemiengesetz von Politik und Gesellschaft, ihr Verhalten während der Covidkrise zu evaluieren.

Dabei geht es um schwerwiegende ethische Fragen rund um Gerechtigkeit, moralischen Stress, erlittene moralische Verletzungen und moralische Zusammenbrüche, aber auch um moralisches Versagen und moralische Verfehlungen. Eine solche Auswertung muss zwingend unterschiedliche Perspektiven auf die Fakten und unterschiedliche Wertvorstellungen einbeziehen. Die Kirchen haben die wichtige gesellschaftliche Aufgabe, mit gutem Beispiel voranzugehen und ihr eigenes Entscheiden und Handeln kritisch zu hinterfragen und daraus die die notwendigen Schlüsse für eine nächste Pandemie zu ziehen. Denn nach einer Pandemie ist stets auch vor einer Pandemie.» (rr)


Letztes Abendmahl in Zeiten von Corona | © KNA
17. Februar 2022 | 17:28
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