Online-Gespräch zwischen Prag und Wislikofen.
Schweiz

Simon Spengler zum synodalen Prozess: «Ich möchte nicht die ewig gleichen Floskeln hören»

Frankreich und Deutschland stellen sich der Missbrauchskrise – und schlagen Reformen vor, um Machtmissbrauch zu verhindern. Diese Ansage beim europäischen Synoden-Treffen in Prag kommt in der Schweizer Delegation gut an. Insgesamt seien die Voten aber noch sehr unkonkret, kritisiert Simon Spengler.

Sarah Stutte

Der erste Tag der Online-Delegierten in der Propstei Wislikofen beginnt mit einer Messe, gefolgt von der Live-Übertragung per Zoom nach Prag. Ich sitze mit den fünf deutschsprachigen Schweizer Online-Delegierten im Raum Benedikt in der Propstei: Mentari Baumann, Simon Spengler, Renata Asal-Steger, Marjan Marku und Felix Terrier.

Im Zeichen der «Ikone der Freundschaft»

Die drei Delegierten aus der Westschweiz und zwei italienischsprachigen – Valentina Anzini, Claire Jonard, Marie-Antoinette Lorwich, Schwester Luiza Milani und Malika Schaeffer – verfolgen die Prag-Sitzung auf Französisch und Italienisch in der Alten Sakristei.

Mit Europa und der Weltkirche verbunden: beim synodalen Prozess in Wislikofen.
Mit Europa und der Weltkirche verbunden: beim synodalen Prozess in Wislikofen.

Während des Referats des bekannten tschechischen Theologen Tomáš Halík tippen die Online-Delegierten fleissig mit. Der vordere Tisch im Raum ist mit Fahnen aus aller Welt geschmückt und mit dem Ikonenbild «Christus und Abbas Menas», auch bekannt als «Ikone der Freundschaft». Passend zum Anlass und den Absichten des Treffens – in Prag wie auch in Wislikofen. 

Gedanken aufschreiben für die Abendandacht

Auf dem Tisch liegt ein aufgeschlagenes Notizbuch. Felix Terrier, Priester des Bistums Basel, steht ein paarmal auf und schreibt etwas hinein. In einer kurzen Pause gehe ich näher heran: «Fortwährende Offenheit für den Heiligen Geist» ist dort zu lesen. Und darunter: «Jesus will hinausgehen und wir müssen ihm folgen.» Simon Spengler sagt: «Die Gedanken werden später in die Abendandacht einfliessen». 

Simon Spengler, Kommunikationsverantwortlicher der Katholischen Kirche im Kanton Zürich
Simon Spengler, Kommunikationsverantwortlicher der Katholischen Kirche im Kanton Zürich

Von den Reden in Prag ist Simon Spengler bislang nicht vollends überzeugt. «Es wurde viel geredet, aber wenig Substanzielles gesagt», findet er. Auch der Präsidentin der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ), Renata Asal-Steger, ist das alles «noch zu theoretisch. Was heisst das in der Praxis? Ich kann mir noch nicht vorstellen, wie wir gemeinsam auf diesem Weg gehen. Das ist eine mutige Reise ins tiefe Wasser.»

Starke Voten aus Deutschland und Frankreich

Allein beim Ablauf sei vieles unklar, findet Simon Spengler. «Wir sollen täglich um 14.15 Uhr unserer Prager Delegation mitteilen, was wir vom Gesagten und Gesehenen halten. Was diese mit unseren Rückmeldungen macht, weiss ich nicht. Auch nicht, wann wir Zeit haben, uns in unserer Wislikofer Gruppe auszutauschen. Vielleicht beim Essen», sagt er. 

Von Wislikofen aus mit Prag verbunden: Mentari Baumann sitzt auf dem Boden.
Von Wislikofen aus mit Prag verbunden: Mentari Baumann sitzt auf dem Boden.

Beim ersten gemeinsamen Mittagessen werden die einzelnen Länderberichte, die nach alphabetischer Reihenfolge vorgetragen werden, genauer besprochen. Bei fast allen in der Gruppe kommen die Ansprachen aus Deutschland und Frankreich gut an. Beide Länder setzen sich darin offen mit der Missbrauchsvergangenheit auseinander. Klar wird: Der Machtmissbrauch in der katholischen Kirche habe auch systemische Ursachen. Entsprechend müssten Konsequenzen gezogen werden – spirituell wie auch strukturell. Zudem wolle man sich allen Menschen öffnen – auch queeren Personen. 

Rückmeldungen in Kopf und Herz

Weniger angetan sind die meisten in der Runde unter anderem vom Statement aus Zypern. Demnach könne die Kirche nur mit Lainnen und Laien nicht funktionieren. Dafür gefällt Simon Spengler ein Zitat aus Estland gut, wonach «in der Kirche nicht nur der Dialog wichtig ist, sondern auch das Zuhören». Mentari Baumann fällt auf, dass insgesamt sechs Frauen in den einzelnen Ländern zu Wort kommen, was sie positiv bewertet. Claire Jonard dagegen wundert sich, dass die Delegation aus Weissrussland kein Wort über den Ukraine-Krieg verliert. 

Tatjana Disteli spricht von Prag aus nach Wislikofen.
Tatjana Disteli spricht von Prag aus nach Wislikofen.

Mit diesen Rückmeldungen in Kopf und Herz trifft sich die Gesamtgruppe wenig später wieder Online – zu einem ersten internen, dreiviertelstündigen Austausch mit der Schweizer Delegation vor Ort in Prag: Bischof Felix Gmür, Tatjana Disteli und Helena Jeppesen. Diese teilen mit, dass sie gut begonnen haben. Aber das es hier doch noch recht anstrengend sei mit so vielen Menschen.

Der Schweizer Bericht ist am Dienstag nach 17 Uhr vorgesehen

Für den Nachmittag sind alle drei in verschiedenen, mehrsprachigen Gruppen eingeteilt – so wie die Online-Delegation, die zu den einzelnen Prager-Arbeitsrunden dazugeschaltet wird. Auf Dienstagnachmittag nach 17 Uhr ist der Schweizer Länderbericht angekündigt, teilt Helena Jeppesen mit. 

Bischof Felix Gmür (links) beim Gottesdienst am Montagmorgen in Prag.
Bischof Felix Gmür (links) beim Gottesdienst am Montagmorgen in Prag.

Dann fragt sie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Online-Gruppe, was diese an den bisherigen Reden aus den einzelnen Ländern am meisten bewegt hat. Felix Terrier erklärt: «Es gab verschiedene Voten, die mich persönlich abgeholt haben, weil ich dort auch stehe. Bei vereinzelten Reden habe ich jedoch gemerkt, dass hier die Kirche ganz woanders steht.»

Historie der Kirchenverfolgung

Dem stimmt Bischof Felix Gmür zu: «Das ist mir auch aufgefallen. In einigen Ländern gibt es eine Historie der Kirchenverfolgung und des Märtyrertums. Das können wir uns gar nicht vorstellen. Vielleicht wissen sie deshalb selbst noch nicht so genau, in welche Richtung es künftig gehen soll. Nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie keine Erfahrungen damit haben.»

Luiza Milani beteiligt sich als Online-Delegierte in Wislikofen am europäischen Synoden-Treffen.
Luiza Milani beteiligt sich als Online-Delegierte in Wislikofen am europäischen Synoden-Treffen.

Diese Aussage dürfte bei Schwester Luiza Milani gut angekommen sein. Die Albanerin erinnert im Gespräch mit kath.ch an die Verfolgung der Kirche in Albanien – erst durch die Osmanen, später durch die Kommunisten. «Die Menschen in der Schweiz wissen den Glauben nicht mehr zu schätzen», findet sie.

«Mir ist das alles noch zu wenig konkret»

Simon Spengler wiederholt seinen Eindruck vom Vormittag: «Mir ist das alles noch zu wenig konkret. Einzelne Voten, wie das aus Deutschland, fand ich konkret genug. Aber bei vielen anderen möchte ich wissen, was genau gemeint ist und nicht die ewig gleichen Floskeln hören.» 

Von Wislikofen aus mit Prag verbunden.
Von Wislikofen aus mit Prag verbunden.

Dem stimmen auch Mentari Baumann und Renata Asal-Steger zu. Letztere meint, es herrsche noch sehr viel Unklarheit. Mentari Baumann betont, dass die Unterschiede in den wiederkehrenden Forderungen, wie beispielsweise der Stärkung der Frauen, der Bedeutung der Familie und der Laienförderung noch schärfer herausgearbeitet werden müssen. 

«Weniger Kopf, mehr Bauch»

Tatjana Disteli findet, es sei wichtig, «von unseren Bedürfnissen wegzugehen und zu hören, was ist. Weniger Kopf, mehr Bauch», sagt sie. Viele Länder seien in den letzten Jahren aus ihrer Komfortzone herausgeworfen worden. Das habe man ganz stark in den Voten von Frankreich, Belgien und Deutschland gespürt. «Da gibt es einen echte Betroffenheit und einen Willen, Transparenz zu zeigen», sagt die Generalsekretärin der Aargauer Landeskirche.

Bericht aus Prag
Bericht aus Prag

Helena Jeppesen hält fest, dass sich einige Länder bereits mit Erneuerung befasst hätten und andere überhaupt nicht. «Die Atmosphäre hier ist eindringlich. Es herrscht sehr viel Akzeptanz bei den Voten, niemand protestiert bei den vorgetragenen Statements», sagt sie. «Es ist wichtig, die Ehrlichkeit dahinter zu spüren. Das wird wegweisend dafür sein, wohin die Reise gehen soll», betont  Felix Terrier. 

Virtuelle Gruppendiskussionen

Nach dem Zoom-Meeting ziehen sich die einzelnen Online-Delegierten in die virtuellen Gruppendiskussionen zurück. Mentari Baumann und Renata Asal-Steger fehlten bis zu diesem Zeitpunkt noch die Zuteilungen. Am Dienstag soll alles besser werden.


Online-Gespräch zwischen Prag und Wislikofen. | © Christian Merz
6. Februar 2023 | 19:15
Lesezeit: ca. 5 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!