Simon Spengler
Schweiz

Simon Spengler: «Albert Longchamp sprach offen über seine Verletzlichkeit»

Simon Spengler bewunderte Schreibstil und journalistische Haltung von Albert Longchamp. Noch mehr beeindruckte ihn aber, wie offen der Jesuit über Schicksalsschläge sprach. Zum Beispiel darüber, dass er «zur Flasche griff, weil das Leben für ihn sonst nicht mehr auszuhalten war».

Simon Spengler*

Albert Longchamp hat mein Leben als Theologiestudent, dann Pfarrblattredaktor, schliesslich Blick-Journalist und dann wieder Info-Beauftragter der Schweizer Bischofskonferenz begleitet. Direkt begegnet sind wir uns nicht allzu oft, aber wir kannten uns und tauschten uns gelegentlich aus.

Longchamp nahm kein Blatt vor den Mund

Bezüglich der Unfähigkeit vieler Hierarchen im Umgang mit Medien nahm er kein Blatt vor den Mund. Die Borniertheit und Beratungsresistenz so manches Bischofs (und Landeskirchenfürsts) ging ihm aber auch an die Nieren.

Ich, der Boulevardjournalist, bewunderte seinen eloquenten Schreibstil. Seine Vision einer offenen, kritischen und von christlichen Werten geprägten Kulturzeitschrift beeindruckte mich, zumal ich seit dem Ende der Jesuiten-Zeitschrift «Orientierung» eine solche  in der Deutschschweiz schmerzlich vermisse.

Machtspiele transparent gemacht

Seine unbeugsame Haltung angesichts des 22-jährigen vatikanischen Verbots, nochmals einen kritischen Artikel über das Opus Dei zu publizieren, war mir als Journalist ein Vorbild. Als Jesuit hielt er sich an das Verbot, ein Verstoss dagegen hätte wohl das Ende seiner Zeitschrift «Choisir» bedeutet. Aber er scheute sich nie, diese Machtspiele im innersten Kern der Kirche transparent zu machen – als  gewiefter Medienmann fand er dazu natürlich auch seine Wege.

Dass viel später ausgerechnet ein Opus-Dei-Mitglied zum Hoffnungsträger der Diözese Chur werden würde, hat der mittlerweile unter Demenz leidende Jesuit wahrscheinlich nicht mehr wahrgenommen. Was er wohl zu dieser Ironie der Geschichte gesagt hätte?

Familie wurde Opfer von Missbrauch

Als Mensch hat mich Albert aber am meisten dadurch beeindruckt, dass er offen über seine eigene Verletzlichkeit sprechen konnte. Sein Neffe wurde Opfer vielfachen sexuellen Missbrauchs durch einen Priester, seine Mutter, Alberts Schwester, nahm sich darauf das Leben. Albert griff zur Flasche, weil das Leben für ihn sonst nicht mehr auszuhalten war. Über all das konnte Albert sprechen, über seine Entziehungskur in Kanada schrieb er ein Buch.

Transparenz als Therapie

Wahrscheinlich musste er sogar über all das sprechen, weil dies für ihn als Journalist die einzig mögliche Therapie war, um nicht zu verzweifeln. Transparenz als Therapie, das ist für mich das Erbe des Jesuiten und Medienmenschen Albert Longchamp. Transparenz als Therapie haben wir auch heute in der Kirche dringend nötig.

* Der Theologe und Journalist Simon Spengler ist für die Kommunikation der Katholischen Kirche im Kanton Zürich verantwortlich.


Simon Spengler | © Christian Merz
6. August 2022 | 15:25
Lesezeit: ca. 2 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!