Bundesrat Alain Berset
Schweiz

Bundespräsident Berset wird kritisiert: Mangelnde Solidarität mit Juden in der Schweiz

Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) hat in einem Brief an Bundespräsident Alain Berset Kritik an diesem geübt. Dass dieser bisher nicht öffentlich Solidarität für die Jüdinnen und Juden in der Schweiz bekundet habe, angesichts des auch hierzulande zunehmenden Antisemitismus, stört den jüdischen Dachverband massiv. Das EDI reagierte mit einer Stellungnahme auf seiner Webseite.

Sarah Stutte

Bundespräsident Alain Berset hat letzte Woche unerfreuliche Post erhalten. Statt Lob gab es Kritik vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) an den Vorsteher des Eidgenössischen Departement des Innern (EDI). Das SIG bemängelte in dem Schreiben, dass sich Alain Berset bisher nicht öffentlich zu der besorgniserregenden Zunahme antisemitischer Vorfälle in der Schweiz geäussert habe. Die «NZZ am Sonntag» berichtete, dass der Dachverband der Jüdinnen und Juden «enttäuscht sei vom Bundespräsidenten».

SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner
SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner

SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner sagte noch letzte Woche zu kath.ch: «Wir haben in den letzten sechs Wochen sieben physische antisemitische Vorfälle registriert. Das sind für Schweizer Verhältnisse sehr viele – sonst registrieren wir vielleicht einen alle paar Jahre. Auch die Schmierereien sind in einer sehr hohen Frequenz vorgefallen, darunter auch sehr schlimme wie ›Tod den Juden’». Das wurde kürzlich an eine Hauswand mitten in Zürich gesprayt.

Erst Betroffenheit, dann Hass

Ebenfalls im Kanton Zürich wurde ein Mann mit Davidstern-Kette von zwei Jugendlichen angepöbelt. Sie spuckten ihm vor die Füsse und riefen «Free Palestine». Und an der Mauer des jüdischen Friedhofs in Basel kam es zuletzt zu antisemitischen Schmierereien, wie kath.ch berichtete. Das sind nur einige der Fälle, die dem SIG seit den Terrorangriffen der Hamas am 7. Oktober auf Israel gemeldet wurden.

Antisemitische Schmierereien prangen an der Mauer des jüdischen Friedhofs Basel.
Antisemitische Schmierereien prangen an der Mauer des jüdischen Friedhofs Basel.

Erst herrschte – auch hierzulande – Betroffenheit und Mitgefühl mit der israelischen Bevölkerung. Mit Beginn der israelischen Offensive im Gazastreifen hat sich jedoch der Wind gekehrt. Plötzlich schlägt der Hass in Richtung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger um, die sich mittlerweile selbst in der Schweiz teilweise nicht mehr sicher fühlen, wie ein Artikel der Aargauer Zeitung von Anfang November aufzeigte.

Stillschweigen von Berset

Vor diesem Hintergrund hätte sich der SIG mehr Engagement und eine klare Stellungnahme gegen Antisemitismus gewünscht, schrieb die NZZ am Sonntag. Weiter soll es in dem Schreiben des SIG-Präsidenten Ralph Lewin an Alain Berset heissen, dass man «beim Israelitischen Gemeindebund aus der Zivilgesellschaft, von kirchlicher Seite, aber auch von Behörden und der Politik grosse Solidarität gespürt habe».

SIG-Präsident Ralph Lewin
SIG-Präsident Ralph Lewin

«Leider mussten wir aber feststellen, dass es in dieser schwierigen Zeit von Ihrer Seite, vom Amt des Bundespräsidenten, keine öffentlichen Worte der Unterstützung und der Solidarität für die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz gab», zitiert die NZZ am Sonntag weiter. Da sie jedoch nicht nur Jüdinnen und Juden wären, sondern auch Schweizerinnen und Schweizer, heisst es in dem Schreiben von Ralph Lewin, sei es «enorm wichtig gewesen, ebenfalls die öffentliche Unterstützung des Bundespräsidenten zu hören».

Verzögerter Aktionsplan

Der NZZ am Sonntag lag der Brief des SIG vor. Den Versand des Briefes bestätigte der jüdische Dachverband auch auf Anfrage von kath.ch. Eine Herausgabe des Schreibens an diese Redaktion lehnte der SIG jedoch ab und erklärte: «Für eine weitere Kommentierung ist es noch zu früh», so Pressesprecher Christian Götz.

Vorwürfe an Israel: Plakate an einer propalästinensischen Demo in Basel, 2021.
Vorwürfe an Israel: Plakate an einer propalästinensischen Demo in Basel, 2021.

Anscheinend, so mutmasst die NZZ am Sonntag, läge beim SIG und dem Departement Berset noch mehr im Argen. Dies würde unter anderem auch mit dem verzögerten Bekenntnis zu einem nationalen Aktionsplan gegen Rassismus zusammenhängen. Ein solcher wurde erst kürzlich von einer Mehrheit in der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates für nötig befunden.

Anhaltende Irritation

Doch gefordert wurde er schon viel früher. Das zeigt ein von über hundert Nationalrätinnen und Nationalräten unterzeichneter Vorstoss, der im März 2022 von der Grünen-Parlamentarierin Sibel Arslan eingereicht worden war, schreibt die NZZ am Sonntag. Diesen lehnte der Bundesrat damals ab.

Bundesrat Alain Berset
Bundesrat Alain Berset

Auch dazu äussert sich SIG-Präsident Ralph Lewin nun explizit in dem Schreiben an Alain Berset: «Schon damals waren wir irritiert, wie kategorisch Ihre Ablehnung einer nationalen Antisemitismus-Strategie war. Nun hat sich in den letzten Wochen leider sehr deutlich gezeigt, wie wichtig eine solche Strategie für die Schweiz ist.»

Das Innendepartement bestätigte indessen auf Anfrage von kath.ch, das Schreiben des SIG erhalten zu haben und «innert üblicher Frist zu beantworten». Das Antwortschreiben würde nicht öffentlich gemacht, ebenso wie das SIG-Schreiben «eigentlich nicht öffentlich gewesen sei», so EDI-Pressesprecher Markus Binder.

EDI nimmt Stellung

Auf den Vorwurf der mangelnden Solidarität gegenüber den Jüdinnen und Juden in der Schweiz reagierte das EDI bereits am 26. November mit einer Stellungnahme auf seiner Webseite. Dort ist unter anderem zu lesen, dass Bundespräsident Berset seit dem 7. Oktober sowohl die Terroranschläge der Hamas als auch den Anstieg des Antisemitismus und des Rassismus mehrfach öffentlich scharf verurteilt habe.

«In der Stellungnahme sind die verschiedenen Anlässe nachfolgend datiert und aufgelistet», sagt Markus Binder. Und weiter: «Es ist aber keine Stellungnahme zum Brief, sondern bezieht sich nur auf den Artikel der NZZ am Sonntag», erklärt der EDI-Pressesprecher.

Der SIG-Präsident Ralph Lewin sorgt sich darum, dass die Stimmung gegenüber Jüdinnen und Juden in der Schweiz kippt.
Der SIG-Präsident Ralph Lewin sorgt sich darum, dass die Stimmung gegenüber Jüdinnen und Juden in der Schweiz kippt.

Weiter äussert sich das EDI auf seiner Webseite auch zum Aktionsplan gegen Rassismus und Antisemitismus. So ist dort zu lesen, dass das «EDI seit vielen Jahren Projekte zur Prävention von Antisemitismus unterstützt, auch in der Schule».

Angesichts des wachsenden Ausmasses von Hass im Internet hätte die Fachstelle Rassismusbekämpfung vor zwei Jahren einen entsprechenden Schwerpunkt lanciert und unterstütze seither spezifisch Vorhaben, die sich mit Rassismus und Antisemitismus im Netz auseinandersetzen würden. «Der Bundesrat lehnte damals weitergehende Massnahmen aus Ressourcengründen ab», heisst es in der öffentlichen Erklärung des Departements.


Bundesrat Alain Berset | © Oliver Sittel
28. November 2023 | 09:00
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