Sich selber auf den Arm nehmen bleibt das grösste Kunststück

Serie:

«Was wäre wenn …?» (3) «… künftige Kaderleute der Kirche eine `Humorprüfung` ablegen müssten?» – Fragen an den Schweizer Circus-Seelsorger Ernst Heller

Zürich, 3.1.12 (Kipa) Menschen mit Humor nehmen sich nicht zu wichtig, meint Ernst Heller (64), katholischer Seelsorger für Circus-Leute und Schausteller in der Schweiz. Und: Humorlose, griesgrämige und engherzige Christen seien die grössten Hemmnisse des Christentums, um Menschen von heute zu erreichen.

Frage: Wenn es zutrifft, dass Gott Humor hat, wie manche vermuten: Woran lässt sich das Ihres Erachtens feststellen?

Ernst Heller: Ganz so wie bei den Menschen auch, welche ja Gottes Ebenbilder sind. Man kann diese Welt mit all ihrem Leid, ihren Widersprüchen, ihren Freuden, mit all dem Bösen entweder zynisch oder voll Liebe betrachten. Wer sie mit Liebe betrachtet und aushält, ist immer auch humorvoll – ganz nach dem Motto: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Trotz aller Trauer und Verzweiflung zaubert die Liebe uns ein Lächeln auf das Gesicht, welches tröstet und heilt.

Frage: Lässt sich Humor «lernen»? Oder ist man einfach damit gesegnet – oder eben nicht?

Heller: Humor lässt sich immer «lernen», nämlich dann, wenn man sich der Liebe öffnet. Liebe, Zärtlichkeit, Grosszügigkeit, Sympathie und Herzenswärme lassen immer Humor – eben ein Lächeln auf dem eigenen Gesicht und jenem der anderen – entstehen.

Frage: Was strahlen Menschen mit Humor nach Ihrer Erfahrung aus?

Heller: Sie nehmen sich nicht zu wichtig; ganz nach dem Bonmot des grossen Papstes Johannes XXIII.: «Giovanni, nimm dich nicht so wichtig!» Wer sich selbst mit etwas Abstand betrachtet, wer sich selbst nicht zu wichtig nimmt, wird heiter, gelassen, grosszügig sich selbst und anderen gegenüber und eben humorvoll.

Das grösste Kunststück des Menschen ist immer noch, sich selbst auf den Arm zu nehmen. Dies gilt für jeden, nicht nur für Artisten.

Frage: Sind Circus-Leute, Schausteller und Markthändler, mit denen Sie es ja täglich zu tun haben, in der Regel humorvolle Menschen? Wenn ja: Was könnten Kirchenleute diesbezüglich von ihnen lernen?

Heller: Viele sind sehr humorvoll, weil sie liebenswürdige Menschen sind. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht wird erst eine gute Vorstellung im Circus möglich, und auch als Markthändler kann man so die Menschen gewinnen.

Frage: Macht Humor das Leben leichter? Und wenn ja: Weshalb?

Heller: Sicher macht Humor das Leben leichter, weil unser Gott als Gott der Liebe selbst humorvoll ist. Humor gehört zum menschlichen Wesen, denn allein dieses kennt unter all den Geschöpfen Gottes den Humor. Wer sich nicht humorvoll verhalten will, verhält sich letztlich gegen die uns von Gott geschenkte menschliche Natur.

Frage: Christen müssten erlöster ausschauen, meinte der Philosoph Friedrich Nietzsche einst. Hat Humor mit Gelassenheit zu tun?

Heller: Dieses Wort des grossen Philosophen Nietzsche verstehe ich gut. Humorlosigkeit, Griesgrämigkeit, Bitterkeit und Engherzigkeit bei Christen selbst sind die grössten Hemmnisse, welches das Christentum heute daran hindert, Menschen von heute zu erreichen.

Frage: Unser nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag im Rahmen der Serie «Was wäre, wenn…»: Wer sich um eine leitende Stellung in der Kirche bewirbt, zum Beispiel Bischof werden will, müsste nebst manchen anderen Eigenschaften auch viel Humor besitzen und deshalb eine «Humorprüfung» ablegen. Wie lässt sich feststellen, ob jemand viel, wenig oder keinen Humor hat?

Heller: Humor hängt mit der Bereitschaft zur Liebe zusammen. Liebenswürdigkeit, Gelassenheit und Grosszügigkeit bei sich selbst und bei anderen führen von selbst zu Heiterkeit und Gelassenheit.

Die beste Prüfung ist also, ob ein Kandidat die Beweglichkeit, Kunstfertigkeit und Gelenkigkeit besitzt, sich selbst auf den Arm zu nehmen.

Frage: Nehmen sich viele Kirchenleute vielleicht deshalb besonders wichtig, weil es in ihrem Kerngeschäft ja schon um Tod und Leben geht?

Heller: Das glaube ich nicht. Gerade Menschen, welche auch die Schattenseiten des Lebens kennen und mit ihnen auch beruflich umgehen müssen, werden entweder zynisch oder eben liebenswürdig, humorvoll. Dies gilt für Ärzte und auch Seelsorger. Ich persönlich kenne sehr wenige humorlose Seelsorger und auch Ärzte.

Frage: Weshalb sind lachende, lächelnde oder schmunzelnde Menschen zugänglicher?

Heller: Weil sie letztlich das Leben und die Menschen mit all ihren Macken, Widersprüchen, hässlichen und schönen Seiten doch lieben: Humor ist, wenn man trotzdem liebt – und lächelt.

Hinweis: Dieses Interview wurde schriftlich geführt.

Hinweis für Redaktionen: Zu diesem Beitrag sind kostenpflichtige Bilder erhältlich. Bestellungen sind zu richten an: kipa@kipa-apic.ch. Honorare für Nutzungsrecht: Erstes Bild CHF 80.–, ab dem zweiten Bild zum gleichen Anlass CHF 60.–.

In der Serie «Was wäre, wenn…» stellt die Presseagentur Kipa ungewohnte Fragen, die sich zwischen Schrägheit und Vision bewegen. Sie sollen Anlass sein, Gegebenes einmal von einer ungewohnten Seite her zu betrachten und damit auf lustvolle Art zum Nachdenken anzuregen.

(kipa/job/gs)

3. Januar 2012 | 11:58
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!