Religiöse Unterweisung als Machtinstrument.
Schweiz

Selbstaufgabe, Abkapselung, Exorzismus: Das werfen Betroffene Eucharistein vor

In der katholisch-charismatischen Gemeinschaft Eucharistein herrschte ein System der Bevormundung. Der eigene Wille, die eigenen Gefühle waren wertlos, sagen Mitglieder. Gründer Nicolas Buttet bestreitet die Vorwürfe.

Regula Pfeifer

Die Westschweizer Zeitung «Le Matin Dimanche» hat Betroffene der charismatischen Gemeinschaft Eucharistein ausfindig gemacht. Über deren Erfahrungen berichtet sie heute unter dem Titel «Schwerwiegende Missstände in einer katholischen Gemeinschaft». Die Gemeinschaft verfügt über ein Haus in Saint-Maurice und zwei Schlösser in Frankreich.

Möglich wurde der Bericht dank Zeugenaussagen von Betroffenen. Diese sahen sich ermutigt, vom erlittenen Leid zu erzählen – nach dem Abgang des bisherigen Leiters und Gründers der Gemeinschaft, Nicolas Buttet.

Nicolas Buttet, Gründer von "Eucharistein".
Nicolas Buttet, Gründer von "Eucharistein".

Gründer hat Messe- und Besuchsverbot

Laut der Zeitung ist Buttet von seinem Dienst suspendiert worden. Buttet darf nun weder die Messe lesen, noch die Beichte abnehmen – und hat sogar ein Besuchsverbot für die Gemeinschaft. Er lebe nun in einem Kloster in Frankreich, berichtet «Le Matin Dimanche».

Die Massnahmen gegen Buttet sind eine Folge der Untersuchung, welche die katholische Kirche zwischen Januar und Februar 2022 durchführte. Der Bericht stellte fest, das Gemeinschaftsleben sei durch ein «pyramidales, missbräuchliches und infantilisierendes System» geprägt, das die Menschen in den verschiedenen Dimensionen ihres Seins, insbesondere ihrer Psychologie, vernichte.

Von links: Cyrille Jacquot, Leiter der Gemeinschaft Eucharistein, bei seiner Wahl 2020, Dominique Rey, Bischof von Fréjus-Toulon.
Von links: Cyrille Jacquot, Leiter der Gemeinschaft Eucharistein, bei seiner Wahl 2020, Dominique Rey, Bischof von Fréjus-Toulon.

Die Gemeinschaft wird inzwischen durch Cyrille Jacquot geleitet, der als ausgeglichen und humanistisch gelte. Er versuche die Situation zu bereinigen, so die Zeitung.

«Man hat mir meine Tochter gestohlen.»

Mutter eines Eucharistein-Mitglieds

Einige Betroffene haben nun gegenüber der Zeitung von ihren schlimmen Erfahrungen berichtet. So erzählte eine Westschweizer Mutter, sie fühle sich verraten, insbesondere «in ihrem Glauben». Man habe nicht auf ihre Worte gehört. Und: «Man hat mir meine Tochter gestohlen.»

Versteinertes Lächeln

Ihre Tochter war in den Walliser Bauernhof von Eucharistein eingetreten und immer mehr von der Gemeinschaft einvernahmt worden. Fragen habe sie nur nach Rücksprache bei deren Leiter beantwortet. Das einst sanfte Gesicht der Tochter habe sich zunehmend versteinert, bei einem konstanten Lächeln. Schliesslich sagte sich die Tochter definitiv von der Familie los und zog ins Schloss Rima in Südfrankreich, das zur Gemeinschaft gehört.

Nicolas Carron, ein Mitbegründer von Eucharistein 1996, hatte die Gemeinschaft 2015 verlassen. Sie seien zuerst «eine Gruppe Freunde gewesen, voller Ideale», sagte er gegenüber «Le Matin Dimanche». Mit der Zeit aber hätten sich Ungleichheiten bei der Arbeit und der Rolle der einzelnen herauskristallisiert. Nicolas Buttet sei immer mehr aufgestiegen. Und das anfänglich Spontane sei mit der Zeit immer strikter geworden.

Absolute Selbstaufgabe verlangt

Als besonders problematisch beurteilt Carron, dass Buttet von den Beteiligten die absolute Selbstaufgabe gefordert habe. Das habe dazu geführt, dass die Beteiligten Entscheide getroffen hätten, die ihrem eigenen Willen widersprachen.

«Mir wurde beigebracht, dass was mein Körper, meine Gefühle oder mein Intellekt ausdrücken, im Gegensatz stehe zu dem, was Gottes Projekt mit mir sei», sagt ein weiterer Beteiligter. Er habe unter Angst und Schlaflosigkeit gelitten. Doch auch die Gemeinschaft zu verlassen, sei schwierig gewesen. «Sie sagten uns, wir würden in der psychiatrischen Klinik landen oder Gottes Plan mit uns verraten.»

Zum Exorzismus gedrängt

Ein weiterer Betroffener erzählte, er sei zu einem Exorzismus gedrängt worden. Und zwar, nachdem er seine Wut ausgedrückt habe wegen einer Situation, die er als ungerecht empfand. «Die andern haben über uns entschieden», sagte er dazu.

Ein Priester hält ein Kreuz in der Hand und ein Exorzismus-Handbuch im Arm.
Ein Priester hält ein Kreuz in der Hand und ein Exorzismus-Handbuch im Arm.

Mitbegründer Carron bestätigte: «Die Gemeinschaft machte viele Exorzismen.» Das sei vor allem im Schloss Rima in Südfrankreich geschehen – durch einen Walliser Priester. Das habe bei den Betreffenden teilweise zu gewalttätigen, mehrtätigen Reaktionen geführt.

Nicolas Buttet verlangt Annullierung des Berichts

Den suspendierten Nicolas Buttet hat die Zeitung in Martigny getroffen. Er habe in Rom eben eine Annullierung des kirchenrechtlichen Untersuchungsberichts von 2022 verlangt, gab er bekannt. Und zwar, weil er nicht angehört worden sei und weil eine Befragerin befangen gewesen sei.

Buttet bestritt im Gespräch die Vorwürfe. Insbesondere habe er keinen Zwang gegenüber Mitgliedern der Gemeinschaft ausgeübt. Er habe sein starkes Charisma bewusst zurückgehalten.



Religiöse Unterweisung als Machtinstrument. | © Geralt/Geralt
22. Januar 2023 | 17:25
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