Eine Demo fordert am 27. Mai 2012 in Rom eine Aufklärung des Verschwindens der 15-jährigen Vatikanbürgerin Emanuela Orlandi.
International

Seit 39 Jahren verschwunden: Neue Ermittlungen zum «Vatican Girl»

Fast 40 Jahre nach dem mysteriösen Verschwinden eines 15 Jahre alten Mädchens im Vatikan hat die Vatikan-Justiz erstmals offizielle Ermittlungen eingeleitet. Das «Vatican Girl» wird auch dank Netflix bekannter: Der Streaming-Dienst hat die Geschichte von Emanuela Orlandi verfilmt.

Die Strafverfolger wollen dem Verdacht und den Hinweisen nachgehen, wonach Emanuela Orlandi, die Tochter eines Kurien-Angestellten und Staatsbürgerin des Vatikans, entführt oder ermordet wurde. Die Teenagerin kam am 22. Juni 1983 nach einer Musikstunde in der Altstadt Roms nicht mehr nach Hause. Eine Leiche wurde nie gefunden.

Wurde Emanuela von einem Kurienmitarbeiter missbraucht?

Am Montagabend wurde die Aufnahme von Ermittlungen aus dem Vatikan bestätigt, wie verschiedene Medien berichteten. «Das sind gute Nachrichten», sagte Pietro Orlandi, der Bruder der Verschwundenen, der Zeitung «La Stampa». «Ich bin überzeugt, dass es im Vatikan viele Leute gibt, auch solche in hohen Positionen, die wissen, was damals passiert ist.»

Morphologische Analyse der Knochenfunde im Rahmen der Ermittlungen im Fall Orlandi auf dem Campo Santo Teutonico am 27. Juli 2019 im Vatikan.
Morphologische Analyse der Knochenfunde im Rahmen der Ermittlungen im Fall Orlandi auf dem Campo Santo Teutonico am 27. Juli 2019 im Vatikan.

Rund um den Fall gab es in den letzten 39 Jahren unzählige Gerüchte und Theorien: etwa dass Orlandi entführt wurde, um den Papst-Attentäter Ali Agca freizupressen; dass die junge Frau von einem hohen Beamten der Kurie missbraucht wurde; dass der römische Mafiaclan Banda della Magliana in den Fall verstrickt ist.

Die Familie wandte sich an Papst Franziskus

Der Vermisstenfall war jüngst international durch eine eigene Netflix-Serie (»Vatican Girl») bekannt geworden, die diverse Szenarien und verdächtige Elemente rund um den Fall Orlandi aufgezeigt. Wie italienische Medien berichteten, will der vatikanische Hauptstrafverfolger Alessandro Diddi nun alle Beweise und Dokumente von damals neu prüfen und Zeugen hören, darunter auch Kardinäle.

Netflix hat die Geschichte von Emanuela Orlandi mit "Vatican Girl" verfilmt.
Netflix hat die Geschichte von Emanuela Orlandi mit "Vatican Girl" verfilmt.

Ende 2015 hatte die Staatsanwaltschaft von Rom den Fall archiviert. Daraufhin wendeten sich die Angehörigen von Orlandi wieder an den Vatikan und direkt an Papst Franziskus. Beobachter spekulieren, dass der Pontifex selbst zuletzt Druck gemacht haben dürfte.

Gänswein: Es gibt kein «Phantomdossier»

Auch der jüngst gestorbene emeritierte Papst Benedikt XVI. und dessen Privatsekretär Georg Gänswein kommen in dem Fall vor. Pietro Orlandi ist überzeugt, dass Gänswein etwas von einer vatikanischen Akte dazu weiss – das habe der deutsche Erzbischof selbst der Anwältin der Hinterbliebenen gesagt.

In einem Buch, das am heutigen Donnerstag erscheint, schreibt Gänswein aber: «Ich habe nie etwas in Bezug zum Fall Orlandi zusammengestellt. Dieses Phantomdossier wurde nicht offengelegt, einfach nur deshalb, weil es nicht existiert.» (sda)


Eine Demo fordert am 27. Mai 2012 in Rom eine Aufklärung des Verschwindens der 15-jährigen Vatikanbürgerin Emanuela Orlandi. | © KNA
12. Januar 2023 | 10:15
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