Schweizerische Flüchtlingshilfe: Bevorzugung christlicher Flüchtlinge ist unhaltbar

Zürich, 3.3.16 (kath.ch) Schweizer Bischöfe und Politiker fordern, die Schweiz solle bevorzugt christliche Flüchtlinge aufnehmen. Doch lässt sich diese Haltung mit dem geltenden Asylgesetz vereinbaren? Nein, sagt Stefan Frey, Mediensprecher der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH). Er hält die Diskussion über eine solche Selektion für «sehr gefährlich».

Sylvia Stam

Der Basler Bischof Felix Gmür hatte es bereits in der «Schweizer Illustrierten» (SI) gesagt, ehe Gerhards Pfisters Äusserungen in der «Rundschau» auf Schweizer Fernsehen SRF die Runde machten. «Viele Flüchtlinge werden deshalb verfolgt, weil sie Christen sind – etwa im Irak. Für sie sollten unsere Türen weiter offen stehen», so Bischof Felix Gmür gegenüber der SI.

Er begründete seine Haltung damit, dass Christen oft nicht in umliegende arabische Länder flüchten könnten. «Saudi-Arabien zum Beispiel nimmt keine Flüchtlinge auf, schon gar keine Christen». Gegenüber kath.ch ergänzt er, dass die Migration ein «systemisches Problem» sei, das global vernetzt gelöst werden müsse. «Was fehlt, ist die Mitwirkung einiger arabischer Länder.» Diese sollten sich auch um ihre muslimischen Glaubensgeschwister kümmern. Jordanien und der Libanon etwa nähmen Flüchtlinge jeder Religion auf. Insgesamt dürfe es keine Bevorzugung geben, aber auch keine Benachteiligung. «Wenn Christen keinen Platz mehr haben, nur, weil sie Christen sind, sind wir gefordert», so Gmür dezidiert. Er räumt allerdings ein, dass auch andere Minderheiten gefährdet seien, etwa die Jesiden im Irak. Felix Gmür hat in seinem Bischofssitz in Solothurn neun christliche und drei muslimische Flüchtlinge untergebracht.

Wer braucht Schutz?

Stefan Frey, Mediensprecher der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zeigt zwar Verständnis dafür, dass sich ein Kirchenmann so äussert, stellt dann aber gegenüber kath.ch klar: «Das Problem stellt sich so nicht.» Bei den Menschen, die an die Schweizer Grenze kommen, laute die Frage einzig: Wer braucht Schutz? «Diese Frage haben wir ungeachtet von der Herkunft zu beantworten, und Religion spielt in dem Bereich explizit keine Rolle.»

Dass Christen verfolgt seien, sei eine unbestrittene Tatsache. Doch die Genfer Konvention definiere den Schutzstatus von Flüchtlingen unabhängig von der Religionszugehörigkeit. Das Problem sei also keine rein schweizerische Angelegenheit.

Dennoch verhehlt Frey ein gewisses Befremden nicht: «Das Evangelium beschreibt mehrfach, dass man Fremden aufnehmen soll, und auch in der christlichen Tradition wurden Flüchtlinge bislang unabhängig von ihrer Herkunft aufgenommen.»

Genau dies sagt auch Markus Büchel, Bischof von St. Gallen, in einer entsprechenden Anfrage von kath.ch: «Meine christlichen Wurzeln, mein Christ-Sein bedeutet für mich, offen zu sein für alle Menschen in Not, egal welcher Staatsangehörigkeit oder Religion.»

«Christen zu helfen darf kein Tabu sein»

Dennoch zeigt er Verständnis für seinen Basler Amtskollegen und kann unterstützen, dass dieser christlichen Flüchtlingen «die Türen weit offenhalten möchte.» Deutlicher wird Martin Grichting, Generalvikar des Bistums Chur: «Es darf nicht länger verschwiegen werden, dass die Christen weltweit am meisten wegen ihres Glaubens verfolgt und getötet werden. Neuerdings werden sie, einfach, weil sie Christen sind, sogar in Flüchtlingseinrichtungen in Europa bedroht und verfolgt». Grichting verweist auf Medienberichte, wonach es in Berliner Flüchtlingsheimen immer wieder zu religiös motivierten Übergriffen auf Christen komme. Deshalb dürfe es «kein Tabu sein, diesen am meisten diskriminierten Frauen, Kindern und Männern besonders zu helfen», so Grichting gegenüber kath.ch.

Eine Selektion aufgrund der Religionszugehörigkeit zu fordern, hält Frey jedoch für «sehr gefährlich». Auch aus dem Blickwinkel der Nächstenliebe könne man doch nicht sagen: «Ihr seid Christen, ihr seid die Guten, und die andern interessieren uns nicht!»

Christliche Flüchtlinge ins Land holen?

Wie aber sieht es aus, wenn die Schweiz gezielt christliche Flüchtlinge ins Land holen würde? Auch hier winkt Frey ab. Solche Stimmen habe man bereits gehört, als der Bundesrat entschieden habe, Kontingenzflüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. «Man hat das damals abgelehnt mit dem Argument, es komme darauf an, welcher Mensch unter welchen Zuständen am meisten leidet. Verfolgung aufgrund der Religion spielt in den Lagern keine prioritäre Rolle.» Frey sieht ausserdem die Gefahr, dass eine Sogwirkung entstehen könnte, wenn die Schweiz deklarieren würde, sie konzentriere sich auf christliche Flüchtlinge. «Dann würden wohl Zehntausende bei uns anklopfen».

Dem oft gehörten Argument, christliche Flüchtlinge liessen sich besser in unsere christlich geprägte Kultur integrieren als muslimische, kann Frey gar nichts abgewinnen. Viele syrische oder eritreische Flüchtlinge seien orthodoxe Christen. Diese hätten in ihrer Ausprägung von Kirche nicht viel zu tun mit der katholischen oder reformierten Kirche in der Schweiz. «Dass Syrien eine hohe Kultur und eine pluralistische Gesellschaft kennt, bedeutet nicht zwingend, dass Syrer es einfacher hätten, sich in der Schweiz zu integrieren.» Er nennt als Gegenbeispiel syrische Kurden, mit denen er zu tun habe, die aus ganz abgelegenen Regionen kämen und denen die europäische Kultur sehr fremd sei. (sys)

3. März 2016 | 17:04
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