Priester beim Einzug in einen Gottesdienst
Schweiz

Schweizer Studie zur Sexualität angehender Priester: Zensurfall aufgearbeitet

Der Schweizer Missionspater Jakob Crottogini verfasste in den 1950er Jahren eine Studie zur Sexualität von Priesteramtskandidaten. Das Werk wurde vom Vatikan verboten. Nun hat eine Kirchenrechtlerin fehlende Details des Zensurfalls recherchieren können, berichtet die «Neue Zürcher Zeitung».

Die Bonner Kirchenrechtsexpertin Jessica Scheiper hatte den «Fall Crottogini» bereits 2019 in einer Dissertation aufgearbeitet. Eine lückenlose Rekonstruktion war damals jedoch wegen der Aktensperrung des Vatikans nicht möglich, heisst es im Bericht der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ) vom Mittwoch. Die Akte sei seit März 2020 zugänglich. Das hat Scheiper ermöglicht, die fehlenden Details in Rom zu recherchieren. Ihre Auswertungen erscheinen dem Bericht zufolge im kommenden Herbst in der «Münchener Theologischen Zeitschrift».

Über 600 Seminaristen gaben Auskunft

Die Studie, die der Vatikan unter Verschluss halten wollte, beschäftigte sich unter anderem mit dem Sexualleben angehender Priester. Das Werk mit dem Titel «Werden und Krise des Priesterberufes» war die Dissertation aus dem Jahre 1954 von Jakob Crottogini. Crottogini war Priester und Mitglied der Missionsgesellschaft Bethlehem in Immensee SZ. Er hatte in Freiburg Pädagogik und Psychologie studiert.

Für seine Studie hatte der Priester 850 Fragebogen an Seminaristen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz verschickt. Davon seien über 600 zurückgekommen, schreibt die Zeitung und fügt kommentierend hinzu: «Der hohe Rücklauf war angesichts der tabulosen Fragen alles andere als selbstverständlich.» Von den 85 Fragen zur Berufsfindung und den persönlichen Hintergründen hätten sich etliche um die Sexualität gedreht.

Crottogini habe zum Beispiel wissen wollen, wie ihr Verhältnis zur Ehe, zum Zölibat und zur Sexualität sei. Ob sie sich heimlich mit Mädchen träfen, ob sie sich selbst befriedigten und ob sie homoerotische Gefühle hätten.

«Angst vor dem Sexualtrieb»

Das Studie kam zum Schluss, dass die Sexualität für angehende Priester ein zentrales Problem war. Über 58 Prozent der Befragten falle die Ehelosigkeit schwer bis sehr schwer, heisst es in den Ergebnissen der Umfrage von Crottogini. 28 Prozent gaben als Grund dafür den «Verzicht auf Heim und Kind» an, 22 Prozent die «Angst vor dem Sexualtrieb», 7 Prozent die «Angst vor der Einsamkeit». Viele hätten beklagt, dass sie unter mangelnder Aufklärung und «unkeuschen» Phantasien litten.

Laut NZZ schien der Publikation der Studie zunächst nichts im Wege zu stehen. Der katholische Benziger-Verlag in Einsiedeln SZ konnte 4000 Exemplare von «Werden und Krise des Priesterberufs» drucken.

Rom fordert zunächst Streichung heikler Passagen

Erst nachdem sich – noch vor Erscheinen des Buchs – im Mai 1955 ein Artikel in der «Herder Korrespondenz» mit den Ergebnissen befasste, versuchte die Kirche, die Publikation zu verhindern. Zunächst verlangte das Heilige Offizium – heute die Glaubenskongregation – nur, die heiklen Passagen müssten gestrichen werden. Das waren die Seiten, die sich hauptsächlich mit der Sexualität befassten. Ein Jahr später verbot die Behörde jedoch das ganze Werk.

Konsequente Leugnung klerikaler Sexualität

Die Kirchenrechtsexpertin Jessica Scheiper stellt den «Fall Crottogini» in Bezug zum Thema «Missbrauch»: Er sei «eines der vielen Mosaikstücke», die bei einer umfassenden Aufarbeitung zu berücksichtigen seien. Dies hält sie laut NZZ in ihren neusten Auswertungen fest, die im Herbst publiziert werden. «Womöglich hätte viel Leid verhindert und Glaubwürdigkeit gewahrt werden können, hätte die Kirche Studien wie jene von Crottogini für die Priesterausbildung genutzt», so Scheiper.

Das Verbot der Publikation von Crottoginis Untersuchung könne als Exempel für die konsequente Leugnung der klerikalen Sexualität gesehen werden, die möglicherweise den sexuellen Missbrauch in der Kirche begünstigt habe. «Die nicht abebbende Berichterstattung über sexuellen Missbrauch dürfte der Glaubwürdigkeit der Kirche einen grösseren Schaden zugefügt haben, als es das Eingestehen von sexuellen Schwierigkeiten mancher Kleriker je vermocht hätte», urteilt die Expertin. (bal)


Priester beim Einzug in einen Gottesdienst | © KNA
27. April 2022 | 12:32
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