Paul Martone.
Kommentar

Paul Martone: «Es ist keine Lösung, die Priesterweihe von der Verpflichtung zum Zölibat abzukoppeln»

Paul Martone* hat als Priester seine Berufung gefunden – nicht trotz dem Zölibat, sondern auch wegen des Zölibats. In seinem Gastkommentar bricht der Walliser eine Lanze für die priesterliche Ehelosigkeit. Deren Abschaffung würde nicht zu einem Aufschwung in der Kirche führen.

Wenn ich die verschiedenen Stellungnahmen, Kommentare und Beschlüsse nachlese, die um den synodalen Weg in Deutschland und auch in der Schweiz kreisen, so scheint mir, dass als Ausweg aus der Misere, in der sich die katholische Kirche zurzeit befindet, zwei Neuerungen immer wieder genannt werden: als Erstes die Aufhebung des Zölibates und als Zweites die Einführung des Frauenpriestertums.

Ich möchte es im Folgenden wagen, eine Lanze für den Zölibat zu brechen, auch im Bewusstsein, dass ich mit meiner Meinung – zumindest wenn man die laufenden Diskussionen in dieser Frage verfolgt –, in einer grossen Minderheit bin und wohl schnell in die Ecke eines reaktionären Konservativen gedrückt werde, der die Zeichen der Zeit nicht erkennt und kein «Aggiornamento» der Kirche wünscht. Aber damit kann ich leben!

«Ich nehme für mich nicht in Anspruch, hier die Fragen um den Zölibat erschöpfend zu beleuchten.»

Ich nehme für mich nicht in Anspruch, hier die Fragen um den Zölibat erschöpfend zu beleuchten. Das ist nicht meine Absicht und würde wohl auch den Rahmen dieser Zeilen sprengen. Es drängt mich jedoch, meiner Überzeugung Ausdruck zu verleihen, dass der priesterliche Zölibat dem Willen Christi entspricht und auch heute noch sinnvoll und auch lebbar ist.

Gute Gründe für Zölibat und Ehe

Gleichzeitig ist mir natürlich bewusst, dass manche Priester auf diesem Gebiet in einer Art und Weise handeln, die jedem einmal abgegebenen Versprechen zuwiderlaufen und die «die Gnade des Weihesakramentes verraten haben», wie Papst Johannes Paul II. es einmal geschrieben hat. Dann gibt es auch tragische Priester, die vereinsamt und komische Käuze geworden sind, die im besseren Fall eine gewisse Unbeholfenheit im Umgang mit Menschen zeigen und nur noch mitleidig belächelt werden.

Es ist mir wichtig zu betonen, dass es gute Gründe für den Zölibat und auch für die Ehe gibt. Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, die verschiedenen Charismen gegeneinander ausspielen zu wollen. Vielmehr soll jeder bemüht sein, sein eigenes Charisma zu entdecken und danach zu leben.

Schrift und Tradition

Als ich 1988 Priester geworden bin, war es für mich selbstverständlich, dass ich in Zukunft zölibatär leben werde. Der Zölibat war für mich nicht eine Schikane, die ich halt auf mich nehmen musste, weil ich Priester werden wollte. Ich fand ihn damals sinnvoll und hilfreich für meinen Dienst als Seelsorger. Und ich bin auch heute noch überzeugt, dass der Zölibat dem Willen Christi für mich entspricht, obschon im Neuen Testament nirgends steht, dass er die Ehelosigkeit verpflichtend gefordert hätte, und obschon ich weiss, dass es Apostel gab, die verheiratet gewesen sind. Dies ist auch von kirchlichen Amtsträgern bekannt und zwar durch mehrere Jahrhunderte hindurch.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat deshalb im Dekret über Dienst und Leben der Priester festgehalten, dass der Zölibat «nicht vom Wesen des Priestertums selbst gefordert» ist (Presbyterorum ordinis 16). Dennoch sei der Zölibat «in vielfacher Hinsicht dem Priestertum angemessen» (ebd.), denn dadurch sei es dem Priester einfacher, sich ganz Christus zu schenken und sich seinem Dienst zu widmen. Ich stimme hier Papst Franziskus zu, der das zölibatäre Leben der Priester als ein Geschenk an die Kirche empfindet. Bei aller Wertschätzung der Ehe und der Familie bin ich sehr dankbar für die Freiheit und Unabhängigkeit, die mir die zölibatäre Lebensform schenkt.

Zölibat als Segen für Kirche und Gesellschaft

Ich bin überzeugt davon, dass ein Zölibat, der in Reife, Freude und Hingabe gelebt wird, ein grosser Segen für die Kirche und für die heutige Gesellschaft ist. Er ist ein freies Versprechen an Gott. Wir wollen als zölibatäre Priester wegweisen von dieser irdischen, vergänglichen Welt in die himmlische, unvergängliche und zwar nicht als Weltflucht, sondern als hilfreicher Hinweis, dass «das Beste noch kommt».

Der Zölibat darf nicht ein schmerzhafter Verzicht sein, den man nur als Märtyrer überlebt, sondern der positive Ausdruck des ungeteilten Ergriffenseins von Christus. Ich sage ihm: «Nur du!», so wie Ehepartner einander auch sagen «Nur du!» und sich damit gegenseitige Liebe und Treue versprechen. Das setzt voraus, dass Ehepaar ineinander verliebt sind und dass ein zölibatärer Priester in Christus «verliebt» ist. Nur wenn die Ehelosigkeit das ist, ist sie sinnvoll, ein echtes und glaubwürdiges Zeugnis. Wir wollen verkörpern, was Paulus sagt: «Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir» (Gal 2,20).

«Jesu Botschaft will ich durch mein Priestersein den Menschen in Erinnerung rufen.»

Wie kann ich dies aber überzeugend leben? Ich rede als Priester von Gott und vom Sinnangebot des Glaubens. Das ist mir ernst, und ich bin überzeugt, dass das, was Jesus gesagt und getan hat, genügt, um glücklich zu werden. Diese Botschaft will ich durch mein Priestersein den Menschen in Erinnerung rufen, und zwar versuche ich, dies mit meinem Leben zu bezeugen. Dabei hilft mir die zölibatäre Lebensform, denn der Zölibat ist eine so einschneidende Sache, dass ihn nur der übernimmt, der es ernst meint. Er will mit dem Verzicht auf Ehe und genitale Sexualität, mit seiner Lebensform darauf hinweisen, dass es mehr gibt als das, was wir sehen, essen und geniessen können.

Ich glaube, dass es auch keine Lösung wäre, die Weihe zum Priester von der Verpflichtung zum Zölibat abzukoppeln und ihn als Wahlmöglichkeit anzubieten. Ich befürchte, dass dadurch nicht nur der Zeugnischarakter verdünnt würde, sondern auch die Gefahr von einem Priestertum zweiter Klasse entstehen könnte. Auf einer Seite die zölibatären, auf der anderen Seite die verheirateten Priester. Je nach kirchlichem Standpunkt wären dann die anderen nur halb so gute Priester.

Sich jeden Tag neu entscheiden

Damit unser Zeugnis glaubhaft sichtbar wird, müssen wir Priester den Zölibat, den jeder Priester ja freiwillig übernommenen hat, freudig leben und ihn in einem positiven Lebensentwurf integrieren. So wird der Zölibat wirklich ein Zeichen der ungeteilten Hingabe an Christus und keine Einladung zu Heuchelei, Doppelmoral und Zwang. Das zu leben, ist nicht immer einfach und problemlos. Mir gelingt das leider auch nicht immer, denn auch ich hinke oft dem Ideal hinterher, es gibt Krisen wie in anderen zwischenmenschlichen Beziehungen auch. Ich muss mich jeden Tag neu entscheiden. Was manchmal schwerer und manchmal leichter fällt.

Ich darf aber nie vergessen, dass ich den Zölibat nur in einer lebendigen Beziehung mit Jesus Christus leben kann, der uns nicht Knechte nennt, sondern Freunde (Joh 15,15). Dies ist letztlich auch das Motiv, das jemanden zum Priestertum ermutigt und das Leben des Priesters tragen kann. «Meine Freunde», das ist ein ganz persönliches, menschlich warmes Wort. Es spricht nicht von Aufgaben, Erwartungen und Verantwortung.

Der Freund hat nicht nur Interesse an dem, was man tut, sondern vor allem an dem, was man ist und wie es einem geht. Bei einem Freund kann man sich ausruhen und aussprechen. Bei ihm kann man sich Luft machen und sein Herz ausschütten. Bei einem Freund findet man Anerkennung, auch noch dann, wenn nur der gute Wille da war, aber alles, was man anfasste, nicht gelang. Von einem Freund nimmt man Rat und Korrektur an, weil man weiss, dass er es gut mit mir meint, er will zu mir halten und versuchen, mich zu verstehen. Deshalb darf ich auch mit meinem Versagen zu Jesus Christus kommen.

«Die Abschaffung des Zölibats würde nicht zu einem neuen Aufschwung führen.»

Die Abschaffung des Zölibats würde uns um jenes Lebenszeichen ärmer machen, das uns Christus und die Apostel vorgelebt haben. Und sie würde wohl nicht zu einem neuen Aufschwung in der Kirche führen oder Missbrauch verhindern. Ich glaube, es wäre wichtig wieder auf den Grund unseres Glaubens zu kommen. Und dieser Grund ist Jesus Christus. Seine Botschaft sollen wir verkündigen – gelegen oder ungelegen, selbst dann, wenn sie unbequem ist und aneckt. Vielleicht haben wir das in der Vergangenheit zu oft vernachlässigt und uns zu sehr darum bemüht, in den Augen der Mehrheit Gefallen zu finden.

Das mag menschlich verständlich sein, christlich ist das aber nicht in jedem Fall. Es gilt, nach einem Wort von Papst Paul VI., «Christus zu den Menschen zu bringen und die Menschen zu Christus». Er wird die Kirche bei allen oft hitzig geführten Diskussionen nicht verlassen, auch wenn viele Menschen bisweilen das Gefühl haben, er schlafe im Boot, das sich Kirche nennt. Das kann manchmal so scheinen, aber es tröstet mich, dass er «nur» schläft, aber nicht ausgestiegen ist.

Berufung gefunden – auch dank Zölibat

Ich bin seit über 30 Jahren Priester. Ich bin froh, darin meine Berufung gefunden zu haben – nicht trotz dem Zölibat, sondern auch wegen dem Zölibat. Vielleicht müsste der synodale Weg auch vermehrt betonen, dass man auch als zölibatär lebender Priester glücklich sein kann, und nicht nur von den Schwierigkeiten reden, die daraus auch entstehen können.

*Paul Martone ist römisch-katholischer Priester und Sprecher für den deutschsprachigen Teil des Bistums Sitten.


Paul Martone. | © Raphael Rauch
19. Februar 2022 | 12:43
Lesezeit: ca. 6 Min.
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