Schweizer Kommentare zur Familiensynode: «Der Geist unterlag dem Wort»

Zürich, 26.10.15 (kath.ch) Der Abschluss der Bischofssynode zum Thema Ehe und Familie wurde am Montag, 26. Oktober, im Schweizer Medienwald reichhaltig kommentiert. Recht breit ist der Konsens darüber, dass die Synode Reformen kaum den Weg bahnte. Gehofft wird darum, dass Papst Franziskus in seinem nachsynodalen Schreiben Reformvorschläge aufnimmt.

Georges Scherrer

Unter dem recht doppeldeutigen Titel «Der Geist unterlag dem Wort» schreibt Dominik Staub in der Neuen Luzerner Zeitung: «Letztlich behielten an der Weltbischofskonferenz diejenigen die Oberhand, die den Buchstaben verteidigen.» Bei den zentralen, strittigen Themen seien nur vage Formulierungen herausgekommen. Das Synoden-Dokument spreche bezüglich der Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion von der «Möglichkeit einer volleren Teilnahme am Leben der Kirche», nicht aber von einer vollen Teilnahme. Die Kommunion scheine ausgeschlossen. Von gleichgeschlechtlicher Liebe sei im Abschlussdokument «nur noch beiläufig, schon fast widerwillig die Rede».

Das Abschlussdokument enttäusche all jene, die von der Synode konkrete Schritte oder Lösungen für Menschen in schwierigen Familien- oder Lebenssituationen erwartet hatten, schreibt der Autor und hält fest: «In der Lehre zu Familien- oder Sexualmoral hat sich die Weltbischofsversammlung nicht bewegt.»

«Mit fliegenden Fahnen untergegangen»

Die «liberalen» Kräfte seien «immerhin mit fliegenden Fahnen untergegangen». So habe die «reformfreudige» deutsche Sprachgruppe in ihrem Synodenpapier jene Menschen, denen in der Seelsorge Leid angetan werde, um Verzeihung gebeten. «Die Aufnahme dieser Entschuldigung ins Schlussdokument der Synode haben die Konservativen erfolgreich verhindert», bemerkt Staub.

Eine mutige Familiensynode habe sich Papst Franziskus gewünscht. «Wenn man sich die fast hundert Abschnitte des Abschlussdokuments anschaut, kann man daran zweifeln, dass der Appell des Papstes auch bei den Kardinälen und Bischöfen angekommen ist», schreibt Stefan Reis Schweizer in der Neuen Zürcher Zeitung. Immerhin sei der Bericht von einer freundlichen und einladenden Sprache bestimmt und nicht apodiktisch und moralisierend, «wie man es bisher aus solchen Dokumenten kannte». Letztlich spiegle der Text genau in solchen Punkten ausser den kulturellen Unterschieden, die die Teilnehmer aus aller Welt verkörpern, die Realitäten und Machtverhältnisse in der katholischen Kirche wider.

Nun liege der Ball, etwas «paradox angesichts der Aufgabenstellung für die Synode», wieder beim Papst, so Reis. Vielleicht hätte sich Franziskus ein mutigeres Abschlusspapier gewünscht. Andererseits lass3e es dem Pontifex auch mehr Freiraum, die Diskussionen an der Synode, die inhaltlich weit mehr als der Abschlusstext umfassen, in konkrete Regelungen zu giessen

Neue Zürcher Zeitung: «Völlig inakzeptable Aussagen»

Beim Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen finde sich der durchaus erstaunliche Konsens der deutschen Sprachgruppe, die bisherige Praxis der Kirche infrage zu stellen, «nur teilweise wieder». Enttäuscht würden auch alle, die sich ein Signal für einen neuen Umgang der Kirche mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften erhofft hatten. Reis bemerkt zudem: «Gerade zu diesem Thema gab es während der Beratungen völlig inakzeptable Aussagen.»

Patrick Griesser führt in seinem Kommentar für die Basler Zeitung einen derartigen Ausrutscher auf. Der Papst habe bereits zur Eröffnung der Synode einer derartigen Eskalation einen Riegel schieben wollen. Er habe die Bischöfe und Kardinäle aus aller Welt zur Einheit aufgerufen, dies jedoch «mit mässigem Erfolg» so Griesser. Er verweist auf Kardinal Robert Sarah aus Guinea, der laut seinem Redetext erklärt haben soll: «Was der Nazifaschismus und der Kommunismus im 20. Jahrhundert waren, sind die westlichen Homosexuellen und Abtreibungsideologien und der islamische Fanatismus heute.» Zudem lasse sich an der «Vehemenz gezielter Attacken» wie etwa einem Gerücht über einen angeblichen Hirntumor des Papstes ablesen, wie «tief der Richtungsstreit in der Kirche reiche». Papst Franziskus veränderte jedoch gemäss Griesser «die Kirche in vielerlei Hinsicht – die stärkere Zuwendung zu den Menschen ist die offensichtlichste».

Um einen Kompromiss zwischen Bischöfen aus allen Weltgegenden und mit sehr unterschiedlichen Standpunkten zu finden, wurden die Paragrafen äussert vage formuliert und strittige Fragen bewusst offengelassen, schreibt Andrea Spalinger in der Neuen Zürcher Zeitung. Kirchenintern kämpfe Papst Franziskus gegen den Widerstand konservativer Kreise. Er müsse bei der Umsetzung neuer Ideen vorsichtig vorgehen. Selbst die schwammige Passage zum Umgang mit Wiederverheirateten gehe vielen Bischöfen zu weit, schreibt die Autorin.

feinschwarz.net: In der Postmoderne angekommen

Und sie bewegt sich doch, hält Hanspeter Schmitt auf dem Schweizer theologischen Portal feinschwarz.net fest. Das erklärten nach Abschluss der Weltfamiliensynode auch die meisten Insider und Experten. Gleichwohl beurteilten viele die aktuelle Bewegung der Kirche als zögerlich und unzureichend. Der alte Rigorismus sei zwar überwunden. Dennoch fehle es vielen Betroffenen an klaren Zusagen, was die praktische Anerkennung ihrer in Verantwortung übernommenen Lebensumstände angeht.

Eva-Maria Faber setzt auf feinschwarz.net ihre Hoffnung auf Papst Franziskus. Sie verweist auf die Rede von Papst Franziskus zum Abschluss der letzten Synodensitzung, in der er sagte: «Die erste Pflicht der Kirche ist nicht die, Verurteilungen und Bannflüche auszuteilen, sondern jene, die Barmherzigkeit Gottes zu verkünden, zur Umkehr aufzurufen und alle Menschen zum Heil des Herrn zu führen.»

Die Autorin wünscht sich Konkretisierungen, um engführende Interpretationen zu vermeiden und abzuweisen. Zu fragen sei dann auch, «wie eventuelle Weisungen gegenüber Menschen zu deuten sind, die schon viele Jahre in einer zweiten Partnerschaft leben und in deren Biographie die Prozesse, für die hier Begleitung und Unterscheidung verlangt werden, schon lange zurückliegen», schreibt Faber.

Für Rainer Bucher ist die katholische Kirche endgültig in der «Postmoderne» angekommen. «Mit anderen Worten: Unausgleichbarer Widerstreit wird auch in ihr öffentlich», schreibt der Autor auf feinschwarz.net. Er spricht von einer «Pluralisierung des Wirklichkeitsbegriffs» in der Kirche.

Wer von der Synode weitgehende Reformen innerhalb der katholischen Kirche erwartet hatte, sehe sich enttäuscht, schreiben die Freiburger Nachrichten. Mit einer knappen Zweidrittelmehrheit wurde ein Abschlusspapier angenommen, in dem die Familie weiter als Kern der Gesellschaft betrachtet wird und diese mit dem Ausdruck, sie sei eine «Berufung», sogar noch eine theologische Aufwertung erfahren hat, heisst es in den Zeitung.

Die katholische Kirche habe sich in diesen Oktoberwochen nicht der weltlichen Realität gestellt. Vor allem aus den Reihen der Geistlichen, die aus den Entwicklungsländern nach Rom angereist waren, wurde hier ein Festhalten am Katechismus gefordert. In einem Punkt hat sich die Kirche gemäss der Zeitung der Realität geöffnet: Geschiedene, die zum zweiten Mal vor den katholischen Traualtar treten möchten, dürften darauf hoffen, die Kommunion zu erhalten. Allerdings werde dies noch nicht ein allgemein gültiges Gesetz, sondern soll in jedem Fall einer Einzelentscheidung vorbehalten bleiben.

Tages Anzeiger: Praktische Erfahrung blieb draussen

Ohne Reform und Revolution, wie sie Papst Franziskus erhoffen liess, ist die Synode zu Ende gegangen, schreibt Michael Meier im Tages Anzeiger. Sein Fazit: «Der Berg hat eine Maus geboren.» Während der Synode habe der «aufsehenerregende Antwortbrief» von Papst Franziskus an den Zürcher FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann klargemacht, dass die Kirche auf ihrer Position beharre: Homosexuelle Handlungen verstossen gegen das natürliche Sittengesetz. Es stimme auch nur zum Teil, so Meier, dass Franziskus mit der Familiensynode eine neue Debattenkultur in der Kirche angeschoben habe.

Das grosse Manko dieser Synode sei es gewesen, dass sie sich kaum von Berufstheologen habe beraten lassen. «Diese halten nämlich längst kluge Antworten bereit, wie die Kirche mit gescheiterten Ehen umgehen soll», so Meier. Die Bischöfe mit ihrem Exklusivanspruch auf Definitionsgewalt blieben weit hinter der Lebenswirklichkeit zurück. Mit dem Papst wollten sie die Disziplin lockern, «ohne die Lehre zu verändern – ganz nach der Devise: Ja zum Sünder, Nein zur Sünde. Das aber läuft auf eine doppelte Moral hinaus.» Papst Franziskus könne «alles in der Schwebe halten und die Hoffnungen an das nachsynodale Schreiben binden, das er in nächster Zeit veröffentlichen wird». Für Meier ist Papst Franziskus kein Reformpapst. «Schon sein Nachfolger könnte wieder dort anknüpfen, wo der deutsche Papst Benedikt XVI. aufgehört hatte.» (gs)

26. Oktober 2015 | 16:47
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