Antje Jackelén
International

Schwedische Erzbischöfin: «Zugang von Frauen zu allen Ämtern ist ein Geschenk an die ganze Christenheit»

Antje Jackelén war die erste Erzbischöfin Schwedens. Die Lutheranerin sagt über die katholische Kirche: «Der einzige Grund, warum Frauen nach wie vor nicht gleichberechtigt sind, ist das Patriarchat – und eben nicht das Evangelium.» Von Kardinal Kurt Koch habe sie sich in ökumenischen Fragen mehr erhofft.

Jacqueline Straub

Bis vor Kurzem waren Sie evangelisch-lutherische Erzbischöfin von Uppsala und damit leitende Bischöfin der schwedischen Kirche. Davor waren Sie Bischöfin in Lund. Wie war der Weg bis dahin?

Antje Jackelén*: Bischöfin zu werden ist kein Karriereweg, sondern ein Berufungsweg. Beide Male wurde ich im ersten Wahlgang gewählt. Es war schön zu sehen, dass ich mit so viel Vertrauen in ein Amt starten kann.

Antje Jackelén war die erste Erzbischöfin Schwedens.
Antje Jackelén war die erste Erzbischöfin Schwedens.

War Ihr Frausein jemals ein Problem?

Jackelén: Es gibt durchaus Widerstand gegen die Ordination von Frauen. Aber diese Gruppe ist winzig.

Welche Erfahrungen haben Sie als Frau in solch einem Amt gemacht?

Jackelén: Ich war die erste Erzbischöfin in Schweden und habe viele gute Erfahrungen gemacht. Die Freude bei den Menschen war gross. Dennoch spüre ich, dass es in der Gesellschaft und somit auch in der Kirche noch immer Misogynie gibt. Frauen schlägt Hass vor allem in den sozialen Medien viel heftiger entgegen als Männern.

«Selbst in Schweden steckt das Patriarchat und der Frauenhass in der DNA einiger Menschen.»

Waren Sie selbst davon auch betroffen?

Jackelén: Gewisse Gruppen verbreiteten im Netz Lügen und Behauptungen über mich, für die ich mich ständig rechtfertigen musste.

Schweden gilt als das Vorzeigeland, wenn es um Gleichberechtigung geht.

Jackelén: Das ist so. Ich finde es erschreckend, dass selbst in Schweden noch das Patriarchat und der Frauenhass in der DNA einiger Menschen steckt. Wie sieht es dann wohl in anderen Gesellschaften aus, in denen die Gleichberechtigung nicht so selbstverständlich ist wie in Schweden?

Antje Jackelén war bis vor kurzem evangelisch-lutherische Erzbischöfin von Uppsala und damit leitende Bischöfin der schwedischen Kirche.
Antje Jackelén war bis vor kurzem evangelisch-lutherische Erzbischöfin von Uppsala und damit leitende Bischöfin der schwedischen Kirche.

Was führte in den reformierten Kirchen zur Gleichberechtigung von Frauen in Ämtern: Der Druck der Basis oder theologische Erkenntnisse?

Jackelén: Die Kirchen der Reformation haben unterschiedliche Wege eingeschlagen und auch zu verschiedenen Zeitpunkten die Ordination von Frauen eingeführt. Es war ein Zusammenwirken der theologischen Arbeit und dem jeweiligen Kontext. In Schweden gab’s Ende der 1950er-Jahre den offiziellen Beschluss, dass Frauen ordiniert werden sollen. Bereits 1960 wurde die erste Frau zur Pfarrerin ordiniert.

«Dass Männer und Frauen gemeinsam die Kirche leiten, sollte selbstverständlich sein.»

Seit über 60 Jahren gibt es in Schweden Pfarrerinnen. Spüren Sie dennoch eine gläserne Decke?

Jackelén: Durch meine Wahl zur Erzbischöfin wurde eine gläserne Decke eingeschlagen. Als erste Erzbischöfin habe ich immer Druck gespürt. Ich wusste: Ich darf nicht scheitern. Gleichzeitig sagen mir Frauen allen Alters, dass ich ein grosses Vorbild für sie bin. Das ist natürlich eine grosse Ehre für mich. Meine erste Veröffentlichung trug den Titel: «Vom Erobern des Selbstverständlichen und dem Willen zur Berührung.» Darum geht es: Das Selbstverständliche muss immer wieder erobert werden. Dass Männer und Frauen gemeinsam die Kirche leiten, sollte selbstverständlich sein. Dennoch ist Gleichberechtigung noch immer nicht überall selbstverständlich.

Gleichberechtigung. Punkt. Amen.
Gleichberechtigung. Punkt. Amen.

Wie kann Gleichberechtigung selbstverständlich werden?

Jackelén: Der Wille zu berühren und sich berühren zu lassen. Es gibt mir auch ein gewisses Selbstvertrauen, wenn ich einsehe, dass es selbstverständlich ist, dass ich hier bin. Ich brauche nicht um Entschuldigung zu bitten. Es war mir wichtig, mir diesen Raum des Selbstverständlichen immer wieder zu erobern.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der orthodoxen oder der katholischen Kirche gemacht?

Jackelén: Ich spürte immer eine grosse positive Neugier. Da hilft es natürlich, dass ich das Kollarhemd und ein Kreuz trage. Ich erinnere mich an eine Begegnung in Kolumbien. Ich war im Kollarhemd in einem Museum, da rief ein Mann hinter mir her. Er fragte, ob ich Pfarrerin sein. Ich sagte, Bischöfin. Es stellte sich heraus, dass er katholischer Priester in Mexiko war. Er sagte: «Wie sehr ich mich danach sehne, dass auch in meiner Kirche Frauen Priester und Bischöfe werden können.» Da spürte ich, dass wir ein gemeinsames ökumenisches Sehnen danach haben, dass, was Paulus im Galaterbrief schreibt, in der Kirche Wirklichkeit wird. Der Zugang von Frauen zu allen Ämtern ist ein Geschenk an die ganze Christenheit und keine Belastung.

Zwei Frauen der Initiative "Maria 2.0" vor dem Kölner Dom, September 2020.
Zwei Frauen der Initiative "Maria 2.0" vor dem Kölner Dom, September 2020.

Sollten katholische Frauen einfach machen oder lieber auf Entscheidungen von Rom warten?

Jackelén: Es braucht kluge und zielbewusste Strategien und Taten.

Was wäre so eine kluge und zielbewusste Tat?

Jackelén: Zur Analyse empfehle ich der Mitte Dezember in «The Tablet» erschienenen Artikel des katholischen Theologen Werner Jeanrond: «Church leadership in crisis amid the twilight of the patriarchs». Ich halte viel davon, international Netzwerke und Allianzen zu bilden, Synergien zu fördern sowie Gebet und mutige Arbeit zusammenzuhalten.

«Die Zeit ökumenischer Schadenfreude ist definitiv vorbei.»

Wie blicken Sie auf die katholische Kirche?

Jackelén: Mit Sympathie. Aber auch mit Besorgnis. Die katholische Kirche steckt in einer grossen Krise. Sie sollte wieder mehr Rücksicht auf den sensus fidei nehmen. Es braucht mehr Transparenz und weniger Hierarchie. Mehr echte Gemeinschaft und gemeinsame Verantwortung mit Laiinnen und Laien.

Hat die Krise der katholischen Kirche Auswirkungen auf die reformierten Kirchen?

Jackelén: Wir sitzen alle im gleichen Boot. Wenn in einer Kirche was schiefläuft, dann treten die Leute auch aus einer anderen Kirche aus. Gleichzeitig profitiert auch die andere Kirche, wenn eine andere positiv auffällt. Die Zeit ökumenischer Schadenfreude ist definitiv vorbei.

Papst Franziskus wird bei seiner Ankunft in Malmö von Antje Jackelen, Erzbischöfin der Lutherischen Kirche Schwedens, begrüßt, am 31. Oktober 2016.
Papst Franziskus wird bei seiner Ankunft in Malmö von Antje Jackelen, Erzbischöfin der Lutherischen Kirche Schwedens, begrüßt, am 31. Oktober 2016.

Wie sehen Sie Papst Franziskus?

Jackelén: Ich schätze an Papst Franziskus sein Streben nach pastoraler Ökumene. Er sieht die Sehnsüchte der Gläubigen. Ich habe ihn mehrere Male getroffen und unsere Begegnungen waren voller Echtheit.

Was halten Sie von Aussagen von Papst Franziskus, wonach Priester nicht wie geschwätzige alte Frauen sein sollen? Oder dass Frauen die Erdbeeren auf der Torte sind?

Jackelén: Hat er das wirklich gesagt? Er hat mich nie wie eine geschwätzige alte Frau oder wie eine Erdbeere auf der Torte behandelt, sondern hat mich mit Erzbischöfin angesprochen. Solche Aussagen sind inakzeptabel. Das passiert, wenn Männer nur mit Männern zusammenarbeiten und nicht mit Frauen. In homogenen Gruppen können stereotype Karikaturen des anderen Geschlechts Wurzeln schlagen. Wo es keine lebendige Relation zum Gegenüben gibt, schleichen sich oft auch Vorurteile und Unbarmherzigkeit ein.

«Die katholische Kirche muss die Bibel und die Taufe ernst nehmen.»

Werden Frauen in der katholischen Kirche jemals gleichberechtigt behandelt?

Jackelén: Ich sehe es als notwendige Voraussetzung für die Zukunft der Kirche. Die katholische Kirche muss die Bibel und die Taufe ernst nehmen. Wenn Frauen getauft werden, können sie nicht von der Weihe ausgeschlossen werden. Der einzige Grund, warum Frauen nach wie vor nicht gleichberechtigt behandelt werden, ist das Patriarchat – und eben nicht das Evangelium.

Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch.
Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch.

Wie würden Sie die Ökumene mit der katholischen Kirche bezeichnen?

Jackelén: Im Jahr 2016 wurde in Lund anlässlich des gemeinsamen katholisch-lutherischen Reformationsgedenkens eine Erklärung veröffentlicht. Wir haben gemeinsam Geschichte geschrieben. Dahinter können wir nicht zurück. Wir haben das Reformationsgedenken als gemeinsames Christusfest gefeiert. Zusammen haben wir die Dankbarkeit für das Evangelium zum Ausdruck gebracht, aber auch den Schmerz darüber, dass unsere Schismen Menschen so viel Leid zugefügt haben. In Lund führte dieses Ereignis dazu, dass die Ökumene sehr gestärkt wurde. Ich sehe eine ökumenische Gastfreundschaft in der Welt, aber was der offizielle ökumenische theologische Dialog anbelangt, ist in Rom eher eine Bremse gezogen worden.

Gehört Kurienkardinal Kurt Koch als Ökumene-Minister zu den Bremsern?

Jackelén: Das kann ich zu wenig beurteilen. Ich habe ihn als sehr freundlich und als guten Gesprächspartner erlebt. Im Formellen hätte ich mir trotzdem mehr Schritte vorwärts erhofft – und keine Schritte zurück.

«Die Reformation in Schweden wurde einheitlich und gemeinsam von oben eingeführt.»

Warum stehen die Lutheraner in Schweden in der apostolischen Sukzession, also in der direkten Nachfolge der Apostel, nicht aber in anderen Ländern?

Jackelén: Das hat damit zu tun, dass die apostolische Sukzession in Schweden nie unterbrochen wurde. Und das hat wiederum damit zu tun, dass die Reformation in Schweden einheitlich und gemeinsam von oben eingeführt wurde. Wir würden mit heutigen Sprachformen sagen: Das war ein politisches Projekt.

*Antje Jackelén (67) hat in Deutschland und Schweden Theologie studiert. Sie promovierte in Lund und war vor ihrer Weihe zur Bischöfin von Lund 2007 an der Lutheran School of Theology in Chicago tätig. 2014 wurde sie Erzbischöfin und somit geistliches Oberhaupt der schwedischen Lutheraner. Im Oktober 2022 trat sie in den Ruhestand.


Antje Jackelén | © zVg
29. Dezember 2022 | 09:02
Lesezeit: ca. 6 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!