Samuel Behloul im Zentrum für Interreligiösen Dialog
Schweiz

«Religiös begründete Gewalt kann brutaler sein als andere Gewalt»

Luzern, 25.9.17 (kath.ch) Statt über gewalttätige Religionen sollte man besser über die Selbstermächtigung des Menschen in Religionsfragen reden, sagt Samuel Behloul im Gespräch mit kath.ch. Der Titularprofessor am Religionswissenschaftlichen Seminar hat an der Universität Luzern über «Gewalt im Namen des Islam – Ein (Miss-)Brauch des Islam?» referiert. Dies im Rahmen der Tagung «Gewalt – Herrschaft – Religion» am 22. und 23. September.

Sylvia Stam

Was hat Gewalt mit Religion zu tun?

Samuel Behloul: Das Phänomen der Gewaltausübung ist integraler Bestandteil der Menscheitsgeschichte. Der Mensch befand sich immer in einem Spannungsfeld zwischen Gewaltlegitimierung und Gewalttabuisierung. Für beide Zwecke wurde auch immer wieder Religion herangezogen. Die mit Religion begründete Gewalt kann unter Umständen allerdings viel brutaler sein als andere Formen von Gewalt. Dies, weil Menschen, die im Namen Gottes Gewalt ausüben sich in der Endkonsequenz Gottes selbst bemächtigen, so dass alles Schreckliche dann «nur» im Namen Gottes beziehungsweise «unausweichlich» und «dringend» nach göttlichem Willen begangen wird.

Das Schreckliche wird so «dringend» nach göttlichem Willen begangen.

Warum ist dieses Thema derzeit dermassen aktuell?

Behloul: Das ist sicherlich zunächst der tagespolitischen Aktualität geschuldet, was dann dazu führt, dass man generell die Gewaltanfälligkeit der Religionen debattiert. Aber anstatt von an sich friedlichen und an sich gewalttätigen Religionen zu sprechen, halte ich es für dringlicher, über das Phänomen der ultimativen Selbstermächtigung des Menschen, auch in Religionsfragen zu reden. Im Islam erleben wir beispielsweise seit Jahren einen schwindenden Einfluss theologisch geschulter Autoritäten, an deren Stelle theologisch und hermeneutisch selbstermächtigte Religionsanalphabeten getreten sind.

Im Islam schwindet der Einfluss theologisch geschulter Autoritäten.

Sie haben über Gewalt im Namen des Islam referiert und den Missbrauch des Islam angesprochen.

Behloul: Ich habe im Titel meines Referates das Wortspiel «(Miss-)Brauch» geführt um auf die zwei entgegengesetzten Positionen hinzuweisen, wonach die Gewalt im Namen des Islam entweder nichts mit dem Islam zu tun habe, oder umgekehrt gerade systemisch zum Islam gehöre. Solche Polemiken sind nicht weiterführend.

Ich rede lieber von der Zweckbindung bestimmter heiliger Texte, Symbole und kultischer Handlungen. Religiöse Texte und religiöse Symbole sind interpretationsoffen. Darin liegt auch die grundsätzliche Ambivalenz aller Religionen im Umgang mit Gewalt. Der Islam ist nicht einfach das, was er ist, sondern immer auch das, was er werden kann.

Die katholische Kirche ist gerade dabei, eigene Gewaltkapitel aufzuarbeiten.

Inwiefern ist Gewalt heute auch im Christentum – speziell in der katholischen Kirche – ein Thema?

Behloul: Wenn man heute von der Friedfertigkeit des Christentums spricht, verweist man gerne entweder auf die Bergpredigt in der Bibel oder auf den aufgeklärten Zustand des Christentums im Westen. Dabei wird übersehen, dass es, global betrachtet, in verschiedenen Spielarten des Weltchristentums gewaltfördernde Einstellungen und Tendenzen gibt, sei es hinsichtlich des Umgangs mit Frauen oder mit Minderheiten oder sei es hinsichtlich der Frage nach der Rolle religiöser Institutionen in der Politik. Und die katholische Kirche ist gerade dabei, eigene Gewaltkapitel aufzuarbeiten, etwa die Pädophilieskandale oder den unmenschliche Umgang mit Schützlingen in katholischen Kinderheimen.

Welche Ressourcen bieten Religionen im Umgang mit Gewalterfahrung?

In Bibel und Koran werden Gewalt und Tötung nicht verschwiegen.

Behloul: Religiöse Texte wie etwa die Bibel und der Koran bewegen sich sehr nahe an der menschlichen Wirklichkeit. In symbolisch-narrativer Form zeigen sie uns die Brüchigkeit und die Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen auf. Gewalt und Tötung werden dabei nicht verschwiegen. Sie werden sogar gerechtfertigt – wenn auch unter äusserst strengen Auflagen – aber auch tabuisiert. Und dies gerade, weil sowohl die Bibel als auch der Koran den hohen Wert, ja sogar die Sakralität des menschlichen Lebens als Geschöpf Gottes betonen.

Was nehmen Sie persönlich von der Tagung mit?

Behloul: Während der Tagung ist aus meiner Sicht vor allem der folgende wichtige Aspekt im Zusammenhang mit Religion und Gewalt zum Ausdruck gekommen: Religiös legitimierte Gewalt richtet sich oft nicht in erster Linie gegen die Un- oder Andersgläubigen, sondern gegen die ‘Abweichler’, ‘Häretiker’ und ‘Abtrünnigen’ innerhalb der eigenen Religion. Das kennen wir aus der Geschichte des Christentums und aktuell können wird das gut auch am Beispiel des IS (Terrorgruppe «Islamischer Staat», Anm. d. Red.) beobachten.

Samuel Behloul im Zentrum für Interreligiösen Dialog | © Regula Pfeifer
25. September 2017 | 11:17
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