Fanny de Tribolet, Forensikerin
Schweiz

«Professionelle Begleitung ist zentral» – gerade im rechtlichen Dunkelfeld

Was lief falsch beim 49-jährigen Regens des Limburger Priesterseminars Christof May? Dieser beging Suizid, nachdem er mit «Vorwürfen wegen übergriffigen Verhaltens» konfrontiert worden war und seine Ämter verloren hatte. Hier brauche es dringend psychologisch-psychiatrische Hilfe, sagt die forensische Psychologin Fanny de Tribolet.

Wolfgang Holz

«Zu uns in die Forensik kommen viele Personen, die mit einer starken psychischen Belastung kämpfen. Die verzweifelt sind aufgrund der Beschuldigungen, mit denen sie konfrontiert wurden», schildert Fanny de Tribolet. Sie spricht aus Erfahrung. Die 34-Jährige ist Leiterin der Präventionsstelle Pädosexualität sowie Fachpsychologin für Psychotherapie und Rechtspsychologin an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich.

Gerade weil der psychische Druck in solchen Krisensituationen für die Beschuldigten enorm sei, «ist es hochrelevant, dass jeder Mensch eine professionelle Unterstützung erhält», betont die forensische Psychologin. Dabei bestehe eine Fürsorgepflicht in erster Linie für die Opfer. Damit es nicht zu weiteren Übergriffen kommt. Aber auch Beschuldigte brauchen laut Fanny de Tribolet «Hilfsstrukturen», an die sich in solchen Momenten wenden können.

Verzweiflung ins Gesicht geschrieben: Gemälde im Kloster Fahr
Verzweiflung ins Gesicht geschrieben: Gemälde im Kloster Fahr

Betreuung mit Verzögerung

Die forensisch-psychiatrische Betreuung wird allerdings erst eingeschaltet, nachdem ein rechtliches Verfahren in Gang gesetzt oder von einem Gutachter eine Therapie empfohlen wurde. «Die Behandlung der psychischen Störung der Patienten steht dann im Vordergrund», erklärt de Tribolet.

Was fremdgefährdende sexuelle Neigungen von Patienten betrifft, könne aber schon im Vorfeld dafür gesorgt werden, dass die Betroffenen lernen, diese zu kontrollieren. Dies geschieht zum Beispiel im Rahmen des Präventionsprojektes «kein Täter werden».

Unterstützung auch im Gefängnis

Wurde aber ein Delikt begangen oder stehen entsprechende Vorwürfe im Raum, werden die Beschuldigten von der forensischen Psychiatrie auch im Gefängnis kontaktiert, um die akute psychische Belastung aufzufangen – wie etwa durch medikamentöse Versorgung der Patienten.

«Wir kümmern uns bei Bedarf auch darum, Betroffenen Zuversicht und neue Perspektiven zu vermitteln», sagt sie. Dadurch sollen Krisen aufgefangen werden. Beispielsweise sollen nach beruflichen Konsequenzen wie dem Verlust des Arbeitsplatzes neue Wege aufgezeigt werden.

Ein Gefängnisseelsorger im Gespräch mit einem Gefangenen
Ein Gefängnisseelsorger im Gespräch mit einem Gefangenen

Primär weitere Übergriffe verhindern

Dass im Fall des 49-jährigen Regens des Limburger Priesterseminars der Bischof als Arbeitgeber dem Beschuldigten bis zur Aufklärung der «Vorwürfe wegen übergriffigen Verhaltens» sämtliche Ämter entzogen hatte – diese Form des Krisenmanagements findet Fanny de Tribolet aus neutraler Sicht betrachtet nicht unüblich. «Denn der Arbeitgeber muss in erster Linie darauf achten, dass es nicht zu weiteren Übergriffen kommt.»

Kein Staatsanwalt eingeschaltet

Das Spezielle am Limburger Missbrauchs-Vorwurf ist jedoch, dass dem Staatsanwalt der Vorfall nach eigenem Bekunden noch gar nicht mitgeteilt worden war. «Das bedeutet, dass die Beschuldigung wegen den vorgeworfenen Übergriffen sich noch im rechtlichen Dunkelfeldbereich befunden hat», sagt Fanny de Tribolet. Gerade in solch einem Moment kann es sinnvoll sein, dass eine professionelle Institution den Fall begleitet und eventuell auch anwesend ist.

Laien übersehen womöglich Suizidgefährdung

«Denn nicht in allen Situationen wird es für einen Laien offenkundig, dass ein Betroffener möglicherweise akut suizidal ist», so die Leiterin der Präventionsstelle. Weiter könnte es für Beschuldigte wichtig sein, dass im Rahmen von Gesprächen mit Fachpersonen eine Schweigepflicht bestehe.

Problem von «geschlosseneren Systemen»

Gerade in «geschlosseneren» Systemen, wie es ein Arbeitsumfeld darstellen kann,  könnte es für Beschuldigte möglicherweise schwerer sein, Vertrauenspersonen zu finden, um über ihre seelische Belastung zu sprechen. «Bei sexuellen Übergriffen spielt oft eine hohe Schamkomponente auf Seiten der Beschuldigten eine Rolle. Eine psychiatrisch-psychotherapeutisch Begleitung und ein direkter Beratungskontakt sind deshalb wichtig.»

Nochmals wichtiger ist jedoch nach Ansicht der Leiterin der Zürcher Präventionsstelle, dass Betroffene, die bei sich eine Tendenz zum Übergriff beispielswiese auf Minderjährige wahrnehmen, die bestehenden Präventionsangebote kennen und nutzen. Daher verweist Frau de Tribolet auf die Website kein-taeter-werden.ch, wo Menschen mit pädophilen Neigungen Hilfe finden können.


Fanny de Tribolet, Forensikerin | © zVg
25. Juni 2022 | 15:25
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